7.1 Staat und Hof des ersten Königs

7.1 Staat und Hof des ersten Königs

Im 18. Jahrhundert und schon seit 1688 hat sich die allgemeine europäische Lage in einer Weise verändert, die für das Aufsteigen des Hohenzollernstaates noch günstigere Bedingungen enthielt als die vorangegangene Epoche. Der Zusammenschluss und das Erstarken der Seemächte, wie es sich seit der Thronbesteigung Wilhelms III. in England allmählich geltend machte, ihr Gegensatz zu Frankreich und die große Koalition gegen Ludwig XIV., die in dem Spanischen Erbfolgekriege den französischen Ausdehnungsbestrebungen Schranken setzte, führte im Utrechter Frieden zu einer Wiederherstellung des europäischen Gleichgewichts in der Weise, dass nun drei große Mächte sich untereinander die Waage hielten und dass das Übergewicht Frankreichs aufhörte, ohne das Österreich eine für Preußen gefährliche Machtsteigerung erfuhr. Im Norden verlor Schweden, das seit dem Dreißigjährigen Kriege so schwer auf Brandenburg gedrückt hatte, seine Großmachtstellung, und die Erhebung Russlands, das nun als eine neue große baltische Militärmacht an seine Stelle trat, vernichtete zwar die brandenburgischen Hoffnungen auf die Nachfolge in die frühere Machtstellung Schwedens an der Ostsee, brachte aber doch auch dem Hohenzollernstaat manche Vorteile, ohne dass zunächst der Druck der russischen Nachbarschaft allzu schwer empfunden wurde, obwohl Polen, das unter den sächsischen Herrschern seiner Auflösung entgegenging, seit dem Thronfolgekrieg von 1733 schon mehr und mehr in die Abhängigkeit von Russland zu geraten drohte.

Die Gunst dieser Lage ist allerdings unter den beiden ersten Nachfolgern des Großen Kurfürsten noch nicht voll ausgenutzt worden, und das war auch nicht möglich, da ein gewisses Maß von innerer Festigung des Staates dazu gehörte, um in durchgreifender Weise sich in den europäischen Angelegenheiten zu betätigen. Friedrich I. hat sich mit der Erwerbung der Königskrone begnügt, und Friedrich Wilhelm I. hat die Odermündungen mit Stettin erworben. Aber er hat zugleich durch seine inneren Reformen die Möglichkeit für die weit ausgreifende Machtpolitik seines Nachfolgers geschaffen. Erst Friedrich der Große hat dann die europäische Konjunktur in vollem Maße benützt, um seinem Staate die Stellung zu verschaffen, die ihm bei der Schwäche Österreichs und bei der starken Entwicklung seiner eigenen Machtmittel zukam. Er hat Preußen zu dem Range einer Großmacht erhoben und damit dem europäischen Staatensystem eine andere Gestalt gegeben, so dass es seitdem aus fünf großen Mächten bestand: Preußen war das Bindeglied zwischen den drei älteren Mächten und der Vormacht des Ostens Russland; es wurde ein mitbestimmender Faktor in der europäischen Politik.

Das ganze 18. Jahrhundert ist ein Zeitalter von ausgesprochen weltlichem Charakter. Der Gegensatz der Konfessionen, der schon seit dem Großen Kriege abgeschwächt war, aber 1688 doch noch einmal eine bedeutende Rolle in der europäischen Politik gespielt hatte, verlor allmählich seine Schärfe und seine politische Bedeutung; im Innern der Staaten trat der Gegensatz von Orthodoxie und Aufklärung an seine Stelle, aber ohne das erhebliche politische Wirkungen damit verbunden gewesen wären. Umso bedeutender machten sich im Leben der Völker die wirtschaftlichen Interessenkämpfe bemerkbar. Der Merkantilismus gelangte überall auf seinen Höhepunkt, in dem preußischen Staate jetzt in der Form eines rein binnenländischen, vornehmlich auf Förderung der Gewerbetätigkeit gerichteten Systems, bei dem aber die grundlegenden landwirtschaftlichen Interessen nicht, wie in Frankreich, vernachlässigt wurden. Der Absolutismus, gestützt auf Heer und Beamtentum, fasst die Provinzen immer fester zu einem einheitlichen Großstaat zusammen, der mehr von dem Gedanken der Macht als der Wohlfahrt und mehr von dem des Gemeinwohls als des formalen Rechts getragen wird. Die ständische Gliederung der feudalen Gesellschaftsordnung wird noch nicht überwunden, aber den Bedürfnissen des Staates angepasst. Der Adel wird an den Staatsdienst gewöhnt und behält seine obrigkeitliche Stellung über den Bauern; die Städte und die bürgerlichen Gewerbe werden vom Staate beaufsichtigt und reglementiert; auch die Kirche, namentlich die protestantische, muss sich bequemen, ihre Mitwirkung zur Erreichung der Staatszwecke zu leihen. Es ist ein System, das erst unter Friedrich dem Großen seine Wirkungen nach allen Seiten hin entfaltet, das aber auf den Grundlagen ruht, die der Große Kurfürst gelegt hatte, und das schon unter den beiden ersten Königen aufgebaut worden ist.

So erscheinen im vorläufigen Überblick die Grundzüge des Zeitalters, zu dessen näherer Betrachtung wir uns jetzt wenden.

Die Regierung des Kurfürsten Friedrich III. beginnt mit einem Protest gegen den letzten Willen seines Vaters. Gestützt auf ein Gutachten seiner Geheimen Räte, denen er die Sache zur Beratung vorgelegt hatte, erklärte er das Testament von 1686 für ungültig und setzte sich nach langen Verhandlungen mit dem ältesten seiner Stiefbrüder, dem Markgrafen Philipp Wilhelm, in dem Potsdamer Vertrag von 1692 dahin auseinander, dass dieser sich mit einer Abfindung begnügte, die ihm ein Einkommen von 24.000 Talern jährlich sicherte. Unter den Hausgütern, auf die dies Einkommen begründet war, befanden sich die Herrschaften Schwedt und Vierraden, von denen die Nachkommen dieses Sohnes des Großen Kurfürsten einige Generationen hindurch den Titel „Markgrafen von Schwedt“ geführt haben, bis diese Nebenlinie 1788 wieder erloschen ist. Sie hatten keine landesfürstliche Stellung, sondern nur die eines großen Grundherrn; der Einheit des Staates und seiner Verwaltung hat diese Sonderherrschaft nicht mehr gefährlich werden können. Die jüngeren Brüder wurden mit geringeren Einkünften ausgestattet. Das sehr reichlich dotierte Wittum der Kurfürstin-Witwe wurde etwas verringert; doch ist es zu ernsteren Streitigkeiten deswegen nicht gekommen; 1689 ist sie schon gestorben.

Die Staatsräson hatte über die Pietät gesiegt, ähnlich wie einst bei dem Regierungsantritt des Kurfürsten Joachim Friedrich. Ein wichtiger Präzedenzfall war geschaffen für den Grundsatz des Erstgeburtsrechts bei der Erbfolge und der Unteilbarkeit des gesamten Staatsgebiets mit Einschluss der von dem Erblasser neu erworbenen Bestandteile. Die Einheit der Staatsbildung ist damit für die Zukunft erst vollkommen gesichert worden.

Im Übrigen folgte die Regierung Friedrichs III. in der Hauptsache der politischen Richtung, die der Große Kurfürst in seinen letzten Jahren eingeschlagen hatte, nur ohne die Kraft und Größe, die ihm eigen gewesen war. Friedrich III. hatte mehr Sinn für den Schein, als für das Wesen der Macht; seine Prunksucht und Verschwendung, die dem allgemeinen Zuge des absolutistischen Hoflebens entsprachen, waren mit den geringen Mitteln und den großen Aufgaben des brandenburgisch-preußischen Staates auf die Dauer unvereinbar. Von einer persönlichen Führung der Staatsgeschäfte, wie sie die Regierung des Großen Kurfürsten charakterisierte, kann bei seinem Nachfolger kaum die Rede sein. Er hat fast immer mit Premierministern regiert, zuerst mit Danckelman (1688 – 1697), dann mit Kolbe von Wartenberg (1702 – 1711). Dazwischen liegt ein Zeitraum von 5 Jahren, in dem der Kurfürst vergeblich versucht hat, die Zügel selbst zu führen; die maßgebende Persönlichkeit in dieser Zeit ist der Feldmarschall v. Barfus. In den letzten drei Jahren nach dem Sturze Wartenbergs macht sich schon der Einfluss des Thronfolgers in den Geschäften bemerklich.

Die erste dieser Epochen (1688 – 1697) fällt zusammen mit dem Kriege der „großen Allianz“ gegen Ludwig XIV., der mit dem Frieden von Rijswijk endete. In diesen Jahren führte Eberhard von Danckelman die Geschäfte mit einigen sachverständigen Gehilfen, wie Knyphausen, und zwar ganz im Sinne der Traditionen des Großen Kurfürsten, in dessen politischer Schule er sich zum Staatsmann gebildet hatte.

Danckelman stammte aus einer bürgerlichen reformierten Familie, die um ihres Glaubens willen aus dem Gebiet des Bischofs von Münster hatte weichen müssen und ihren Wohnsitz in der westfälischen Grafschaft Lingen, einem Besitztum der Oranier, genommen hatte. Sein Vater, der dort die Stelle eines Landrichters bekleidete, war von dem Großen Kurfürsten, der in seinem Hause eingekehrt war, einmal als der glücklichste Mensch gepriesen worden, weil er sieben Söhne von seltener Vortrefflichkeit der Geistes- und Charakteranlagen besaß. Alle diese Söhne sind dann auf die Veranlassung des Kurfürsten in seinen Dienst getreten; sie sind sämtlich zu hohen Stellen aufgestiegen und haben sich durch Talent und Redlichkeit bewährt. Der bedeutendste unter ihnen war Eberhard, der schon in jungen Jahren sich durch Wissen und Geisteskraft auszeichnete und zum Erzieher des Prinzen Friedrich, nachmaligen Kurprinzen und Kurfürsten, bestellt worden war. In dieser Stellung hat sich Danckelman nicht bloß die Zufriedenheit des Kurfürsten, sondern auch die Zuneigung seines Zöglings erworben, der ihn bei seinem Regierungsantritt zum Geheimen Rat ernannte und ihn 1695 mit dem Titel eines Oberpräsidenten des Geheimen Rats überraschte. Aber auch vorher schon ist Danckelman der eigentliche Leiter der brandenburgischen Politik gewesen, die namentlich durch die enge Verbindung mit Wilhelm III. von Oranien gekennzeichnet wird. Friedrich III. hat dessen Anschlag auf England 1688 wirksam unterstützt. Er besetzte Köln und stellte eine starke Truppenmacht am Niederrhein auf, um in Verbindung mit den Niederländern und dem Kaiser gegen Frankreich, auf dessen Einschreiten gerechnet werden musste, zusammenwirken zu können. Durch diese Aufstellung gegen Frankreich gedeckt, hat sich der Übergang Wilhelms III. nach England vollzogen. 6000 Mann brandenburgischer Truppen sind direkt in den Dienst der Niederlande gestellt worden; es ist aber nicht richtig, was früher oft angenommen wurde, das brandenburgische Regimenter mit nach England hinüber gegangen seien. Nur der Marschall Schomberg, ein reformierter Pfälzer, der in französischen Diensten gestanden hatte und nach der Aufhebung des Edikts von Nantes nach Brandenburg gekommen war, nur dieser brandenburgische General ist an der Unternehmung selbst beteiligt gewesen.

Im Jahre 1689 schloss sich dann Brandenburg an die Große Allianz gegen Ludwig XIV. an, zu der die Niederlande und England, der Kaiser, Spanien und der Herzog von Savoyen sich vereinigt hatten. Die Generäle Schöning und Barfus führten die brandenburgischen Truppen vom Niederrhein her auf den Kriegsschauplatz; bei verschiedenen Gelegenheiten, ganz besonders bei der Belagerung von Bonn, das damals eine der stärksten Rheinfestungen war, haben die Brandenburger sich ausgezeichnet. Der Kurfürst selbst erschien dort im Lager. Er war zwar kein Feldherr, aber seine Anwesenheit war doch nicht unwichtig, weil es zwischen den beiden Generälen zu störenden Reibungen gekommen war, die nur durch ein Machtwort des Herrschers beigelegt werden konnten. Der Feldmarschall Hans Adam v. Schöning, der im Gefühl seiner Unentbehrlichkeit und seines Ansehens bei den Truppen zur Unbotmäßigkeit neigte, musste später vom Kurfürsten entfernt werden und ist in sächsische Dienste gegangen. Bonn ist am 13.Oktober 1689 von den Brandenburgern genommen worden.

 

Auch an diesem Kriege hat Brandenburg nicht ohne Subsidien teilgenommen, die von den Seemächten, dem Kaiser und Spanien gezahlt werden sollten, aber auch wieder nur unvollständig gezahlt worden sind. Zur selbstständigen Kriegführung war Friedrich III. so wenig imstande wie der Große Kurfürst; und die geringschätzige Behandlung Brandenburgs als bloße „Auxiliarmacht“ (Auxiliar = helfend, zur Hilfe dienend) durch die Verbündeten machte sich bei dem Friedensschluss zu Rijswijk, wo Friedrich nichts von seinen Entschädigungsforderungen, selbst nicht einmal seine Subsidienansprüche, durchsetzen konnte, auch in Äußerlichkeiten, durch kränkende Zurücksetzung der brandenburgischen Gesandten, in einer für Friedrich III. ganz besonders empfindlichen Weise bemerklich.

Dieser unbefriedigende Ausgang des Krieges, der auch eine finanzielle Schwächung des Staates zur Folge hatte, steht wohl in Zusammenhang mit dem bald darauf erfolgten Sturze Danckelmans, der allerdings in der Hauptsache ein Werk höfischer Intrige gewesen ist. Seine Hauptgegnerin war die Kurfürstin Sophie Charlotte. Sie sah sich durch den allmächtigen Minister von dem Einfluss auf ihren Gemahl ausgeschlossen, den sie für sich in Anspruch nahm. Sie empfand es als unleidliche Anmaßung, dass er den Grundsatz strenger Sparsamkeit auch den weitgehenden Bedürfnissen ihres Hofhalts gegenüber zur Geltung zu bringen suchte. Sein strenges, finsteres, immer die Staatsräson betonendes Wesen war ihr zuwider. Ihre Feindschaft gegen ihn wurde nun der Kristallisationskern für die zahlreichen Elemente am Hofe, die nach dem Sturz des Ministers trachteten. Die höfischen Adelsfamilien, die sich durch den Emporkömmling aus den einflussreichsten Stellungen verdrängt sahen, manche im regelmäßigen Dienst ergraute Geheime Räte, die ihm seine sprunghafte Beförderung nicht verzeihen konnten, Streber, Schmeichler und Projektenmacher, denen er mit seiner strengen Sachlichkeit im Wege stand — das alles vereinigte sich zu einer gefährlichen und einflussreichen Clique, die das Ohr des Herrschers zu gewinnen verstand und die Stellung des Ministers allmählich untergraben hat. Man sprach, mit Hindeutung auf die sechs Brüder des Oberpräsidenten, von denen außer ihm selbst noch zwei dem Geheimen Rat angehörten, von dem Danckelmanschen Siebengestirn, das den Staat regiere. Man bauschte gelegentliche Äußerungen des Ministers auf, um zu zeigen, dass er selbst eigentlich den Herrn spielen wolle. Eine gewisse magistrale Überlegenheit machte sich wohl in der Tat im Verkehr mit dem früheren Zögling bei dem stolzen und herrischen Manne geltend. Er merkte wohl, dass er dem Kurfürsten, der selbst Herr sein wollte, allmählich unbequem wurde und bat verschiedene Male um seinen Abschied; endlich erhielt er ihn, durch eine kurfürstliche Ordre vom 4. Dezember 1697, die ihm sein schlimmster Gegner, der Feldmarschall von Barfus, sein Nachfolger in der Gunst des Kurfürsten, überbrachte. Sie war noch in gnädigen Ausdrücken gehalten; aber die erbetene Abschiedsaudienz wurde Danckelman verweigert, und acht Tage darauf erhielt er schon den Befehl, den Hof zu meiden und seinen Aufenthalt in Neustadt a. d. Dosse zu nehmen. Am 20. Dezember wurde er verhaftet, erst nach Spandau, dann nach Peiz gebracht; und während er dort in strenger Haft gehalten wurde, ist ein Prozess gegen ihn geführt worden, der jahrelang gedauert hat und damit endete, dass der wackere Generalfiskal Duhram, der die Anklage zu vertreten hatte, die zahlreichen, durch Gerücht und Denunziation von allen Seiten her zusammen gebrachten Anklagepunkte als unzureichend und großenteils auch als unbegründet dartat, so dass eine gerichtliche Verurteilung überhaupt nicht erfolgen konnte. Der Kurfürst aber, als oberster Richter, tat nun einen Machtspruch gegen den gestürzten Minister, und der lautete auf Konfiskation seines Vermögens und fernere Haft in Petz. Erst 1702 ist diese Haft etwas gemildert worden; 1707, nach dem Tode der Königin Sophie Charlotte, wurde Danckelman in Freiheit gesetzt. Aber sein Vermögen blieb konfisziert; es wurde ihm ein Jahrgehalt ausgesetzt und als Aufenthaltsort Kottbus angewiesen; am Hofe durfte er nicht erscheinen. Erst Friedrich Wilhelm I. hat diese schlimme Ungerechtigkeit seines Vaters gesühnt, allerdings auch noch nicht vollständig. Gleich nach seinem Regierungsantritt berief er Danckelman an den Hof zurück und rehabilitierte ihn im Geheimen Rat. Aber zu den Geschäften wurde der frühere Minister nicht wieder hinzugezogen; auch die Konfiskation seines Vermögens blieb bestehen; er lebte von seinem Jahrgehalt, jetzt in Berlin, wo er 1722 gestorben ist. Der Sturz Danckelmans bezeichnet für die brandenburgisch-preußische Verwaltungsgeschichte einen wichtigen und verhängnisvollen Einschnitt, weil damit für längere Zeit die guten Traditionen und Einrichtungen der Epoche des Großen Kurfürsten ihre Wirksamkeit verloren, und weil bei dem Mangel einer festen Leitung von oben die höfische Intrige eine gefährliche Macht gewann und jahrelang die Ordnung der Geschäfte gestört hat. Besonders verderblich war es, dass der Hofkammerpräsident Freiherr Dodo von Kuyphausen mit in den Sturz Danckelmans verwickelt worden ist. Seine großartigen Leistungen in der Domänenverwaltung machen den hauptsächlichsten Ruhmestitel der neun ersten Regierungsjahre Friedrichs III. aus. Man erntete damals die Frucht der Bestrebungen, die unter der Regierung des Großen Kurfürsten noch nicht zum Ziele geführt hatten. Die Begründung der Geheimen Hofkammer, einer kollegialischen Zentralbehörde für die Domänenverwaltung in allen Provinzen, die 1689 gelang, bezeichnet einen sehr bedeutenden Fortschritt in diesem wichtigen Zweige der Finanzverwaltung. Die alte lässige Naturalwirtschaft des Administrationssystems, bei der niemals ausreichende Überschüsse zu erwarten waren, war erst jetzt vollkommen ersetzt worden durch das neue geldwirtschaftliche System der Pacht oder, wie man damals sagte, der „Arrende“, das bei festen, gleichmäßigen Geldeinnahmen überhaupt erst einen Überblick über die Einkünfte im ganzen möglich machte. Erst Kuyphausen hat das Kassen- und Rechnungswesen, das sich in der Berliner Hofrentei konzentrierte, in feste Ordnung gebracht und hat regelmäßige jährliche Voranschläge (Etats) aufgestellt und nach ihnen gewirtschaftet. Es waren vielverheißende Anfänge; aber nach dem Abgang ihres Urhebers sind sie nicht mit Umsicht und Konsequenz fortgebildet worden; die gute Ordnung geriet bald wieder in Verfall, und wir werden noch sehen, welche unheilvolle Verwirrung in den nächsten Jahren auf dem Gebiete der Domänenverwaltung eingerissen ist.

Die große Angelegenheit, die jetzt zunächst alle andern Interessen und Sorgen am Hofe des Kurfürsten zurückdrängte, war der Plan zur Erwerbung der Königskrone, die Lieblingsidee des Kurfürsten, wie es scheint, schon seit seinem Regierungsantritt, die aber von Danckelman nicht so, wie er es gewünscht hätte, gefördert, sondern vielmehr durch allerlei ökonomische und politische Bedenken in ihrer Verwirklichung verzögert und behindert worden war. Nach dem Sturze des Ministers, der wohl auch mit seiner Haltung in dieser Frage zusammenhängt, und nach den Demütigungen des Friedens von Rijswijk trat dieser Wunsch bei Friedrich III. mit neuer Stärke hervor. Er war der bezeichnende Ausdruck seiner politischen Gesamtbestrebungen, die auf eine wirksame Darstellung der brandenburgischen Macht vor aller Welt gerichtet waren. Friedrich der Große hat bekanntlich sehr abfällig darüber geurteilt, dass sein Vorfahr die königliche Würde für sich und sein Haus erstrebt habe, bevor er noch eine wirklich königliche Macht besaß. So stark fühlte sich Friedrich III. in der Tat noch nicht, das er durch einen selbständigen Akt für sich allein eine vollendete Tatsache zu schaffen gewagt hätte, deren Anerkennung dann dem Reiche und der europäischen Staatengesellschaft einfach zugemutet worden wäre. Es stand für ihn von vornherein fest, dass er die Königskrone nur im Einverständnis mit dem Kaiser erwerben könne. Dessen Zustimmung begehrte er nicht eigentlich als Fürst des Reiches, sondern als europäischer Souverän. Denn nicht auf seine Reichslande wollte er die Königswürde begründen, sondern auf sein souveränes Herzogtum Preußen. Er wollte nicht ein Lehnskönig, sondern ein ganz unabhängiger König sein. Darum war auch nicht von einer Übertragung der Krone durch den Kaiser, von einer Schaffung der Königswürde durch ihn die Rede. Es handelte sich nur um die Zustimmung einer Macht, die nach den altherkömmlichen, noch keineswegs ganz ausgerotteten Vorstellungen die erste Stelle in der europäischen Staatengesellschaft einnahm, deren Beherrscher gleichsam der Dekan des Kapitels der europäischen Souveräne war.

Seit dem Jahre 1690 sehen wir den Kurfürsten mit dem Kaiser über diese Angelegenheit verhandeln. Zunächst traten die Schwierigkeiten dazwischen, die sich mit der Rückgabe von Schwiebus verbanden. Der Revers des Kurprinzen war auch für Danckelman ein Geheimnis geblieben. Erst spät und widerwillig entschloss sich der Kurfürst, es seinen Ministern zu eröffnen, als der Kaiser immer dringender an die Erfüllung der vom Kurprinzen übernommenen Verpflichtung mahnte. Die Geheimen Räte, auch Danckelman, vertraten die Ansicht, dass der Revers, als erschlichen und widerrechtlich vollzogen, für ungültig erklärt werden solle. Aber zu einer so offenen Verleugnung seiner eigenen Handlungsweise konnte sich der Kurfürst nicht entschließen; er war geneigt, die Verpflichtung zu erfüllen, suchte dabei nur noch allerhand kleine Vorteile herauszuschlagen, und so geriet man in lange Unterhandlungen, die erst mit einem Vertrage vom 20. Dezember 1694 ihr Ende erreicht haben; im Januar 1695 ist dann die Rückgabe von Schwiebus vollzogen worden — zum großen Leidwesen der protestantischen Einwohner, die nun unter das drückende Kirchenregiment des katholischen Erzhauses zurückkehren mussten. In letzter Stunde hatten die brandenburgischen Bevollmächtigten noch erklärt, das nun, nach der Rückgabe von Schwiebus, die schlesischen Ansprüche Brandenburgs, auf die der Große Kurfürst bei der Abtretung des Kreises verzichtet hatte, wiederauflebten; aber die kaiserlichen Kommissare hatten sich geweigert, die Erklärung in das Protokoll aufzunehmen. Bei dieser Gelegenheit hat denn auch Brandenburg endlich die längst zugesagte Anwartschaft auf Ostfriesland wirklich erhalten. Hinsichtlich der Königskrone erhielt der Kurfürst damals noch keinerlei Zugeständnis von Seiten des Kaisers; es wurde aber doch schon als eine verheißungsvolle Aussicht betrachtet, das ihm jetzt wenigstens der früher immer noch vermiedene Titel eines Herzogs in Preußen vom Kaiser zugestanden wurde. Der alte Widerspruch gegen die Säkularisation des Ordenslandes ist erst damit auch der Form nach vollständig aufgegeben worden. Nach dem Frieden von Rijswijk haben sich dann die Beziehungen zum Kaiser wieder sehr verschlechtert; es kam 1697 sogar zu einem vorübergehenden Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Der Geheime Rat v. Bartholdi, dem später die Vertretung in Wien zufiel, riet dem Kurfürsten, auf die Zustimmung des Kaisers zu verzichten, die königliche Würde aus eigener Machtvollkommenheit anzunehmen und der politischen Welt zu überlassen, sich damit abzufinden; der Geheime Rat Rüdiger von Ilgen, der damals neben Fuchs in den auswärtigen Angelegenheiten zu besonderem Einfluss gelangte, schlug vor, man möge die Anregung zu der Rangerhöhung von den preußischen Landständen ausgehen lassen. Aber der Kurfürst beharrte auf den Verhandlungen mit dem Kaiser, und die nahmen nun einen sehr langsamen Gang. Der Kaiser hatte die größten Bedenken bei der Sache, politische und konfessionelle. Das Gespenst eines neuen Vandalenkönigs an der Ostsee tauchte wieder in den Erwägungen der kaiserlichen Politik auf; und zugleich erschien es als eine Art von Sakrileg, einem ketzerischen Fürsten zu der königlichen Würde zu verhelfen, mit der doch nach alter Vorstellung ein Akt religiöser Weihe notwendig verbunden war. Von dieser Seite her gewann die ganze Angelegenheit einen merkwürdigen Zusammenhang mit katholisch-propagandistischen Bestrebungen, die ja damals überhaupt sehr in Blüte standen und kurz vorher (1697) in Sachsen so guten Erfolg gehabt hatten. Die Jesuiten bemächtigten sich der Sache und suchten bei dieser Gelegenheit womöglich eine Bekehrung des brandenburgischen Hauses herbeizuführen. Der Pater Vota, ein feiner, höfisch-geschmeidiger Gelehrter, der zu dem engeren Kreise der geistreichen Kurfürstin gehörte, einflussreich in Polen als Beichtvater des früheren Polenkönigs Johann Sobieski und gelegentlich Vertreter der Wünsche des Kurfürsten am Warschauer Hofe, stellte in einer Denkschrift aus dem Oktober des Jahres 1700 dem Kurfürsten in sehr geschickter Weise die Unterstützung der päpstlichen Kurie bei der Erwerbung der Königswürde in Aussicht gegen gewisse religiöse Zugeständnisse, die — ohne die odiösen Formalitäten eines eigentlichen Konfessionswechsels — auf ein Bekenntnis zur allgemeinen Kirche im Sinne der ersten vier christlichen Jahrhunderte hinauslaufen sollte. Es war eine geschickte Anknüpfung an den Gedanken einer Wiedervereinigung der christlichen Bekenntnisse, wie er in dem Leibnizschen Kreise und auch in den Unterhaltungen der brandenburgischen Hofgesellschaft eine gewisse akademische Rolle spielte. Irgendeine ernstere Hinneigung zur katholischen Kirche war weder bei dem Kurfürsten noch bei seiner Gemahlin vorhanden, deren Interesse überhaupt mehr einer freien Weltbildung nach französischem oder niederländischem Zuschnitt als kirchlich religiösen Fragen zugewandt war. Dass der Vorschlag keinerlei Erfolg gehabt hat, wollte Pater Vota selbst freilich hauptsächlich der ungeschickten Dazwischenkunft eines geistlichen Rivalen zuschreiben, des Bischofs von Ermland, Andreas Chrysostomus Zaluski, der anlässlich eines Besuchs beim Papst Innozenz XII. den Kurfürsten in etwas plumper Weise in das Netz der Propaganda zu ziehen suchte und damit, wie Vota meinte, alles verdorben habe. Wir wissen übrigens heute, nachdem auch das Vatikanische Archiv für diese Fragen durchforscht worden ist, das die Vermutung, als habe die Kurie damals planmäßig die Bekehrung des brandenburgischen Hauses in die Wege zu leiten versucht, auf einem Irrtum beruht. Erst aus dem Jahre 1711 finden sich Spuren eines solchen Plans, der aber nicht zur Ausführung gelangt ist.

Von irgendwelcher Bedeutung für die Erwerbung der Königskrone sind diese geistlichen Bekehrungsversuche nicht gewesen. Von einer Dankesschuld des preußischen Königshauses an die Jesuiten könnte höchstens insofern die Rede sein, als der Beichtvater des Kaisers Leopold, der Jesuitenpater Wolf (Freiherr von Lüdinghausen), der im Interesse der Propaganda eine Heirat zwischen dem preußischen Thronfolger und einer Tochter des Kaisers zu stiften bemüht war, seinen Einfluss dazu gebraucht hat, die religiösen Bedenken des Kaisers gegen den Krönungsplan zu beseitigen.

Den Ausschlag aber gaben dabei politische Erwägungen, die mit der Rücksicht auf die brandenburgische Kriegsmacht und ihre Bedeutung in dem bevorstehenden Spanischen Erbfolgekrieg zusammenhingen. Am 16. November 1700 wurde nach längeren Unterhandlungen, die die österreichischen Staatsmänner Graf Kaunitz und Graf Harrach mit dem preußischen Gesandten in Wien, Herrn v. Bartholdi, geführt hatten, ein förmlicher Bündnisvertrag zwischen dem Kaiser und dem Kurfürsten geschlossen, eine Erneuerung des früheren Bündnisses von 1686, die gewöhnlich als „Krontraktat“ bezeichnet wird: darin verpflichtete sich der Kurfürst, mit 8.000 Mann seiner Truppen zur Verteidigung der österreichischen Ansprüche auf die spanische Erbfolge mitzuwirken, wofür der Kaiser 150.000 Gulden Subsidien jährlich in Aussicht stellte. Der Kurfürst versprach ferner, im Reiche für die Anerkennung der hannoverschen Kurwürde, die 1692 vom Kaiser bewilligt worden war, sowie für die Wiederzulassung der böhmischen Krone zur vollen Ausübung der kurfürstlichen Rechte wirken zu wollen und verpflichtete sich, bei der künftigen Kaiserwahl seine Stimme für das Haus Österreich abzugeben; dagegen sicherte der Kaiser nun die sofortige Anerkennung der preußischen Königswürde zu, wenn der Kurfürst „über kurz oder lang, zu welcher Zeit es ihm gefallen werde, wegen seines Herzogtums Preußen sich vor einen König proklamieren und krönen lassen wird“. Das anfänglich hervortretende Begehren der kaiserlichen Diplomaten, diese Klausel so zu fassen, als handle es sich um eine Schöpfung der preußischen Königswürde durch den Kaiser, war durch Bartholdi und seine Auftraggeber ebenso vereitelt worden, wie die Andeutung einer Art von Verpflichtung des künftigen Königs, die Zustimmung des Kaisers zu seiner Rangerhöhung nachzusuchen.

Zwei Tage nach dem Abschluss dieses Vertrages erfuhr man in Wien, am 18. November, den Tod des Königs Karl II. von Spanien, der am 1. November gestorben war. Es war hohe Zeit für Österreich gewesen, die preußische Waffenhilfe zu gewinnen. Der Spanische Erbfolgekrieg stand vor der Tür.

Der Kurfürst aber beeilte sich nun, den langersehnten feierlichen Akt seiner Königskrönung vorzunehmen. Es geschah zu Königsberg, am 18. Januar 1701, mit allem Pomp, den dieser prachtliebende Hof zu entfalten vermochte. Am Tage vorher war der hohe Orden vom Schwarzen Adler gestiftet worden, der an den einst vom Kaiser verliehenen Reichsadler im Wappenschilde der alten Hochmeister anknüpfte und dessen Devise „Suum cuique“ im Sinne gerechter Austeilung von Lohn und Strafe gemeint war. Zum Behuf der kirchlichen Salbung waren eigens zwei evangelische Bischöfe geschaffen worden, ein reformierter, Benjamin Ursinus v. Bär, und ein lutherischer, Bernhard von Sanden. Aber nicht aus der Hand dieser Geistlichen hat der Kurfürst die Königskrone empfangen, sondern er hat sie sich selbst aufs Haupt gesetzt, übrigens nicht in der Kirche, sondern in einem Gemache des Schlosses; ebenso dann auch seiner Gemahlin. Mit der Krone auf dem Haupte haben König und Königin die Kirche betreten und hier die geistliche Salbung empfangen. Die Unabhängigkeit der weltlichen Gewalt von der geistlichen wurde dadurch nachdrücklich zur Geltung gebracht.

Von irgendwelchen Zugeständnissen an die katholische Kirche war keine Rede; der päpstlichen Kurie ist von dem Krönungsakt überhaupt keine Anzeige gemacht worden. Sie verhielt sich denn auch vollständig ablehnend in der Frage seiner Anerkennung. Ein Breve des Papstes Clemens XI. erhob Widerspruch dagegen bei den katholischen Höfen, und der päpstliche Staatskalender fuhr fort — noch bis zum Jahre 1787 — den preußischen König als Markgrafen von Brandenburg“ zu bezeichnen; denn auch die Kurwürde des Heiligen Römischen Reiches wurde dem Ketzer von dieser Seite offiziell nicht zugestanden. Sonst ist die Anerkennung der preußischen Königswürde nirgends auf Schwierigkeiten gestoßen. Dass sie von Seiten Frankreichs erst im Utrechter Frieden (1713) erfolgt ist, lag in der bald nach der Krönung eintretenden kriegerischen Verwicklung begründet.

 

Die Kosten der Feierlichkeit waren sehr bedeutend in Anbetracht der schwachen Finanzen des Staates. Die märkischen Stände haben im Voraus 100.000 Taler dazu bewilligt; eine sogenannte „Kronsteuer“, die in allen Landen ausgeschrieben wurde, brachte einen Ertrag von einer halben Million, von der freilich auch noch für andere Staatszwecke etwas abgefallen ist. Aber diese Ausgaben haben doch nicht bloß der Befriedigung persönlicher Eitelkeit gedient. Die Rangerhöhung des brandenburgisch-preußischen Herrschers konnte damals im Interesse seines Ansehens in Europa als eine politische Notwendigkeit erscheinen, weil die rivalisierenden Nachbarn in Hannover und Sachsen, der eine durch Erringung der Kurwürde und durch die nicht lange darauf verwirklichte Aussicht auf den englischen Thron, der andere durch die Erwerbung der polnischen Krone, einen bedeutenden Schritt aufwärts getan hatten auf der Leiter der internationalen fürstlichen Rangordnung. Und mit dem Ansehen ist auch die innere Einheit des preußischen Staates durch die Annahme der Königswürde gefördert worden. Der neue König nannte sich zwar — eine Fassung, auf die man nach langen Erwägungen gekommen war — „König in Preußen“, weil Polen, das ja noch den westlichen Teil des alten Ordenslandes beherrschte, gegen den Titel: „König von Preußen“ Einspruch erhoben haben würde; aber er war nun König, und zeigte sich als solcher auch außerhalb des „Königreichs Preußen“. Man sprach fortan von einer Königlich preußischen Armee; in allen Provinzen hießen die Regierungen und die übrigen Behörden „Königliche“.

Die Reichslande des Königs von Preußen machten eben damals einen bedeutenden Schritt vorwärts zur vollständigen Herauslösung aus der Unterordnung unter die Reichsgerichte. Am 16. Dezember 1702 empfing König Friedrich I. ein kaiserliches Privilegium de non appellando für seine nicht zur Kur gehörigen Reichslande. Es war noch kein unbeschränktes Privilegium, wie es die Kurmark auf Grund der Goldenen Bulle von 1356 genoss, sondern in seiner Geltung beschränkt durch die Wertgrenze der Streitobjekte von 2.500 Goldgulden; in allen Sachen, die unter dieser Wertgrenze blieben, durfte aus den Landen des Königs nicht mehr an die Reichsgerichte appelliert werden. Man bedurfte daher eines gemeinsamen Ober-Appellationsgerichts für diese Lande; es ist am 4. Dezember 1703 begründet worden. Der Rechtszusammenhang der hohenzollernschen Monarchie gewann dadurch eine bedeutende Stärkung; aber ein einheitliches Oberstes Gericht für den ganzen Staat war dieses Tribunal noch nicht. Es war dem Kammergericht, das ja eine höhere Zuständigkeit besaß, nicht über-, sondern nebengeordnet; auch Preußen stand nicht unter diesem Oberappellationsgericht, sondern unter seinem besonderen Tribunal in Königsberg, das gleich nach der Erwerbung der Souveränität 1657 begründet worden war. Selbst von den nicht zur Kur gehörigen Reichslanden war zunächst noch die Grafschaft Ravensberg, die 1653 gegen Verzicht auf die Appellation an die Reichsgerichte ein besonderes Appellationsgericht in Berlin erhalten hatte, von der Zuständigkeit des neuen Obertribunals noch ausgenommen. Diese Buntscheckigkeit in der Gerichtsverfassung zeigt deutlich, dass man es damals noch nicht mit einem Einheitsstaat zu tun hat; sie ist erst 1748 durch die Coccejische Justizreform beseitigt worden; erst seit dieser Zeit ist das Oberappellationsgericht wirklich der Oberste Gerichtshof der Monarchie geworden.

Eins der hauptsächlichsten Werkzeuge des Kurfürsten bei der Durchführung des Kronprojekts war der Freiherr Johann Kasimir Kolbe von Wartenberg gewesen, der aus dem pfälzischen in den brandenburgischen Dienst übernommen, vom Kaiser 1699 mit dem Reichsgrafentitel begnadet, nach Danckelmans Sturz allmählich der Günstling und einflussreichste Berater des Kurfürsten geworden war, in der Stellung als Oberkämmerer, mit der er eine Reihe von Spezialaufträgen, wie Verwaltung der Kammerschatulle, des Postwesens, der Jägerei u. a. verband. Er nahm die erste Stelle am Hofe ein; außer den Prinzen des königlichen Hauses ist er der einzige gewesen, dem der Schwarze Adlerorden gleich nach der Stiftung verliehen worden ist. Seit 1702 erscheint er als Premierminister, ohne dass er eine ordentliche Bestallung deswegen erhalten hatte und ohne dass er beim Geheimen Rat introduziert worden wäre. Er hatte es verstanden, sich ein Einkommen von 123.000 Talern zu verschaffen und führte die Geschäfte im Geiste eines Höflings, nicht eines Staatsmannes. Er besaß eine virtuose Kunst in der Behandlung des Königs und verstand es, ihn durch den Zauber seiner Persönlichkeit und den Ton herzlicher und unbedingter Ergebenheit immer fester an sich zu fesseln. Bald gebot er unumschränkt am Hofe; nur wer sich ihm fügte, konnte sich halten oder vorwärts kommen. Umso merkwürdiger erscheint die Abhängigkeit des allmächtigen Günstlings von seiner Frau, einer intriganten, habsüchtigen und ehrgeizigen Person von niederem Herkommen, anrüchiger Vergangenheit und anstößigem Leben. Sie verstand es, trotz aller Schwierigkeiten, sich am Hofe durchzusetzen, und wurde der Mittelpunkt eines lebhaften Ränkespiels, das die Stellung ihres Gemahls mehr als einmal zu erschüttern drohte. Aber nach jeder Krisis befestigte sich der Oberkämmerer nur noch mehr in der Gunst des Königs, dem er unentbehrlich wurde, weil er nur dem einen Grundsatz folgte, allen Launen seines Gebieters zu schmeicheln.

So herrschte ein anderer Geist in dem neuen Königreich als zu Danckelmans Zeit: statt der Staatsräson dominierte die Hofkabale. Es kam bald dahin, dass die Ausgaben des Hofes sich verdoppelten und verdreifachten, ohne das neue Einnahmequellen eröffnet worden wären. Die Finanzen gerieten in Unordnung. Man versäumte, die verheißungsvollen Anfänge guter Ordnung im Kassen- und Rechnungswesen fortzubilden und nach festen Etats zu wirtschaften. Die Geheime Hofkammer wurde aus ihrer Stellung als oberste Zentralbehörde der Kammerverwaltung verdrängt durch das sogenannte Ober-Domänendirektorium, dessen Mitglieder nun die oberste Leitung und Aufsicht führten, während den Geheimen Kammerräten der alten Behörde die Arbeit und die Verantwortlichkeit aufgebürdet wurde. An der Spitze dieses Ober-Direktoriums stand Wartenberg selbst, der als Oberkämmerer auch über die noch nicht zum eigentlichen Kammerstaat gehörigen Geldquellen verfügte; er hatte es verstanden, sich allen Einfluss auf den Herrscher zu sichern, während er sich von aller Verantwortlichkeit förmlich entbinden ließ. Neben ihm war später von besonders verderblichen Einfluss in dieser Behörde der Hofmarschall, Reichsgraf von Sayn-Wittgenstein, ein Mann von hohem Rang und niedrigem Charakter, ohne Tüchtigkeit und Redlichkeit in seinen Ämtern, ganz abhängig von seinem Gönner, dem Oberkämmerer, der seinen Kreaturen durch die Finger sah. Der ehrliche Barfus hatte sich nicht unter das Joch des neuen Günstlings gebeugt und war ersetzt worden durch den geschmeidigeren Grafen von Wartensleben, der als Feldmarschall und Generalkriegskommissar die militärischen Angelegenheiten samt der Steuerverwaltung in Händen hatte. Unter diesen Männern — man sprach wohl von dem „dreifachen W“ des Landes — ging bald der Rest der guten alten Ordnung verloren; namentlich die Domänenverwaltung geriet ganz in Abhängigkeit von dem beständigen Geldbedürfnis des Hofhalts.

Bei dieser Lage der Dinge wurde ein Reformprojekt verhängnisvoll, das unter andern Umständen von segensreichen Folgen hätte werden können. Der kurmärkische Kammerrat Luben, geadelt unter dem Namen von Wulffen, hatte einen Plan entworfen, der eine ergiebige Geldquelle für den Moment zu eröffnen schien. Er wollte die Domänen in Erbpacht austun, nicht die ganzen Ämter, sondern die einzelnen Vorwerke, Mühlen, Krüge usw. Es war ein Plan, der bei richtiger Ausführung sozialpolitische Wirkungen von Bedeutung hätte haben können: neben den Rittergütern wäre eine große Anzahl kleinerer oder mittlerer Güter entstanden, deren Inhaber wohl meist bürgerlichen Standes gewesen wären; die bäuerliche Erbuntertänigkeit mit den Frondiensten wäre auf dem Gebiet des Domaniums damit zugleich beseitigt worden. Der Staat hätte die Domänen aus der Hand gegeben, hätte aber für den Moment große Summen zur Verfügung erhalten durch die Erbstandsgelder und Kautionen, die die neuen Wirte erlegen mussten. Eben dies war der Hauptgrund für Wartenberg und Wittgenstein, die Ausführung des Reformprojekts in die Hand zu nehmen und die dagegen sich regenden Widerstande bei den Provinzialbehörden mit rücksichtsloser Strenge zu unterdrücken. Der Plan an sich war gut, aber er ist in der Ausführung verfälscht und verdorben worden. Zahlreiche Missgriffe kamen vor; Unsicherheit bei den Behörden, Unzufriedenheit bei den Pächtern trat überall hervor. Mit den eingenommenen Geldern wurde auf das unverantwortlichste gewirtschaftet; sie wurden für die augenblicklichen Bedürfnisse, namentlich auch des Hofes, verbraucht; es zeigte sich als ein verhängnisvoller Umstand, dass der Hofmarschall zugleich der maßgebende Mann im Ober-Domänendirektorium war.

So hörte bald alle Ordnung und Übersicht auf, und die Reform kam ins Stocken. Nun regten sich die Gegner des Projekts, unter ihnen die tüchtigsten der alten Kameralbeamten, an ihrer Spitze der Geheime Rat Bogislaw von Kameke. Die allgemeinen Schwächen des Planes wurden jetzt nachdrücklich hervorgehoben. Man warnte davor, dass der Domänenbesitz von der Krone für alle Zukunft aus der Hand gegeben werde, das man den Erbpächtern die Güter unter Bedingungen überlasse, die wohl dem gegenwärtigen Wert entsprechen mochten, aber nicht einem erhöhten, wie er nach der Lehre von der steigenden Grundrente für die Zukunft zu erwarten sei. Die Ungeschicklichkeiten und Unredlichkeiten der Verwaltung dienten dazu, das Gewicht dieser Gründe zu verstärken.

Auch auf anderen Gebieten als dem der Domänenverwaltung kamen schlimme Früchte der verderbten Verwaltung zum Vorschein. Die Stadt Krossen war im Jahre 1708 abgebrannt, und der König hatte zu ihrem Wiederaufbau 70.000 Taler bewilligt, die aus einer von Wittgenstein verwalteten Brandkasse gezahlt werden sollten. Da zeigte sich, dass diese Kasse leer war: Wittgenstein hatte unbefugter Weise die Gelder anderweitig verwendet. Es ist charakteristisch für den damaligen Zustand der Staatsverwaltung, dass diese Ungeheuerlichkeit dem Könige zwei Jahre lang verborgen bleiben konnte.

Entscheidend für das Schicksal dieser Verwaltung wurde erst das furchtbare Massenelend, das im Gefolge der vom Osten her eindringenden Pest seit dem furchtbar kalten Winter von 1709 in Ostpreußen, und teilweise auch in den angrenzenden Gebieten entstand. Zu der Seuche kamen Misswachs und Hungersnot; die Menschen starben zu Hunderttausenden; aller Wohlstand wurde vernichtet, die Staatseinkünfte fielen aus. Man suchte die schlimmen Zustände dem König lange zu verbergen, bis er endlich doch die Wahrheit erfuhr. Ein Gutachten der Geheimen Hofkammer vom 1. November 1710, das Wittgenstein selbst — gewiss widerwillig genug — mit unterschreiben musste, brachte die völlige Unhaltbarkeit des bisherigen Verwaltungssystems und seine Mitschuld an der Verelendung der Provinzen an den Tag. Es gab den Anstoß zu einer umfassenden Untersuchung der Wittgensteinschen Verwaltung; und nun kamen böse Dinge zu Tage: nicht nur Unordnung und Misswirtschaft, sondern auch schamlose Unterschleife bei der Brandkasse, beim Salzwesen und auf vielen anderen Gebieten. Wittgenstein war geständig und appellierte an die Gnade des Königs. Er kam mit einer großen Geldbuße, gewissermaßen einer Art von Schadenersatzleistung, davon, wurde aber des Landes verwiesen. Das war der Anfang zum Sturz des Günstlingsregiments. Auch Luben von Wulffen war kurz vorher zur Untersuchung gezogen worden und aus dem Lande entwichen. Man machte den Urheber des Projekts der Vererbpachtung der Domänen für alles Unheil verantwortlich, das, zum Teil ohne seine Schuld, daraus entstanden war, und verfolgte ihn steckbrieflich als einen Schwindler und Vagabunden. Wartenberg hielt sich noch einige Wochen lang in seiner Stellung, aber auch seine Uhr war abgelaufen. Nicht ohne Rührung trennte sich der König am letzten Tage des Jahres 1710 von dem alten Günstling, der, wie kein anderer, verstanden hatte, seinen Neigungen entgegenzukommen und der Eigenart seines Wesens sich anzupassen. Von einer Untersuchung gegen Wartenberg war nicht die Rede; er erbat und erhielt seine Entlassung mit einer Pension von 24.000 Talern, und zog sich erst auf sein Gut nach Woltersdorf, dann nach Frankfurt a. M. zurück.

Die Gegner Wartenbergs und Wittgensteins, die schon längst auf den Sturz der im Lande allgemein verhassten Verwaltung hingearbeitet hatten, bekamen jetzt das Ruder in die Hand; an ihrer Spitze stand der Geheime Rat von Kameke, der sich der Gunst des Kronprinzen zu erfreuen hatte. Sie erlangten die Beseitigung des Ober-Domänendirektoriums, die Aufhebung der Erbpacht, wo sie eingeführt worden war, und die Wiederherstellung der früheren Ordnung. Die Geheime Hofkammer wurde wieder die oberste Behörde der Domänenverwaltung; aber Kameke, der 1711 als Hofkammerpräsident an ihre Spitze trat, wurde jetzt, ähnlich wie früher Wartenberg, zugleich auch mit der Verwaltung der bisher von ihrem Geschäftskreise noch abgesonderten Einkünfte aus den Schatullgütern, Forsten, dem Salz- und Postregal beauftragt. Damit war bereits die allgemeine Konsolidation aller Domänen- und Regalieneinkünfte angebahnt, die unter Friedrich Wilhelm I. zur festen und dauernden Ordnung geworden ist.

Einen Glanzpunkt in der Regierung des ersten Königs bildet das Interesse für Kunst und Wissenschaft, das zwar auch dem Großen Kurfürsten nicht gefehlt, und schon unter ihm zur Berufung und Beschäftigung fremder, namentlich holländischer Künstler, zur Stiftung einer reformierten Universität für seine rhemischen Lande in Duisburg und unter anderem auch zur Begründung einer Bibliothek im Schlosse zu Berlin geführt hatte, das aber doch erst in den ruhigeren Zeiten seines Nachfolgers zu einer reicheren und fruchtbareren Betätigung gelangt ist. Dabei machte sich der Einfluss der französischen Flüchtlinge geltend, die der Mehrzahl nach erst unter dieser Regierung in den preußischen Landen angekommen sind. Namentlich die gelehrten Kreise Berlins haben dadurch gleichsam ein neues Gesicht erhalten. Französische Theologen und Philologen wie Lenfant, Beausobre, Vignoles, Lacroze stehen damals an der Spitze des geistigen Lebens in der preußischen Hauptstadt. Sie und andere, namentlich Geistliche und Schulmänner wie Jablonowsky und Frisch, wurden im Jahre 1701 zu einer gelehrten Gesellschaft nach dem Muster der Pariser Akademie und der Londoner Royal Society zusammengefasst durch die Begründung einer preußischen Sozietät der Wissenschaften, aus der unter Friedrich dem Großen die heutige Akademie der Wissenschaften geworden ist. Leibniz, der bedeutendste deutsche Gelehrte jener Zeit, trat an die Spitze dieser Körperschaft, die dadurch für einige Zeit eine führende Stellung in der deutschen Gelehrtenrepublik gewann. Er hatte von Hannover aus den Plan schon lange betrieben, ohne seine Verwirklichung erreichen zu können, bis die Kalenderreform, die nun auch im evangelischen Deutschland zur Durchführung kam, den Anstoß dazu gab, indem zugleich das Kalendermonopol der Sozietät die notwendigsten Mittel zum Unterhalt lieferte. Namentlich die Naturwissenschaften, und insbesondere Studien, die eine praktische Bedeutung für das bürgerliche Leben und die wirtschaftlichen Bestrebungen hatten, waren dieser Sozietät zur Pflege zugewiesen: sie erhielt eine Sternwarte und ein chemisches Laboratorium; sie hatte die Kalender zu machen und Seidenraupen zu züchten; auch die orientalischen Sprachen wurden hier getrieben, mit besonderer Rücksicht auf die Mission in Ostasien. Daneben wünschte der König ein großes Wörterbuch der deutschen Sprache, nach dem Muster des Dictionnaire der französischen Akademie — ein Wunsch, der freilich unerfüllt geblieben ist, dem aber eine große Bedeutung zukommt, weil er die Veranlassung dazu gegeben hat, das überhaupt neben den Naturwissenschaften und dem, was damit zusammenhing, auch die Geisteswissenschaften von Anfang an mit in den Kreis der Bestrebungen dieser gelehrten Körperschaft gezogen wurden, was in dem ursprünglichen bescheideneren Plane von Leibniz noch nicht gelegen hatte.

Zwei Richtungen in der Wissenschaft und im geistigen Leben überhaupt, die damals emporgekommen sind, verdienen eine besondere Erwähnung, weil sie in enger Verbindung mit dem Geist und Charakter des preußischen Staates standen. Die eine ist die freiere, innigere, mehr gefühlsmäßige als dogmatische Theologie, die sich dem in Orthodoxie erstarrten Luthertum entgegensetzte und den Eifer für die „reine Lehre“ hinter dem Ideal eines christlichen Lebens zurücktreten ließ, gewöhnlich bezeichnet mit dem Namen des Pietismus. Ihre Hauptvertreter waren damals Philipp Jakob Spener, Propst an St. Nikolai zu Berlin, und August Hermann Francke, der von edelster Nächstenliebe und tatkräftigem Gottvertrauen durchdrungene Begründer des Hallischen Waisenhauses. Die andere Richtung ist eine juristische, vornehmlich staats- und kirchenrechtliche. Ihre Hauptvertreter sind Pufendorf und Thomasius. Samuel Pufendorf war schon durch den Großen Kurfürsten als brandenburgischer Historiograph an den Berliner Hof gezogen worden und hat dort im ersten Jahrzehnt Friedrichs III. seine bedeutende Tätigkeit entfaltet; Thomasius war sein hervorragendster Schüler und Freund. Die neue Staatslehre dieser Männer geht in den Bahnen des Naturrechts und der Aufklärung. Sie suchen den Staat als eine natürliche, weltliche Einrichtung, als eine Erscheinung des sozialen Lebens zu begreifen, im Gegensatz zu der bisher in Deutschland herrschenden Auffassung, die die höchste Gewalt aus göttlicher Übertragung ableiten und die Bibel zur Norm der Staatskunst machen wollte. Die Staatslehre ist damit aus den Fesseln der geistlichen Scholastik erlöst, die bei den Protestanten im 17. Jahrhundert noch ebenso wie bei den Katholiken herrschte. Die neue Auffassung wurde allerdings noch lange von den Theologen bekämpft und hat sich nur langsam Bahn gebrochen, aber sie liegt dem praktischen System des sogenannten aufgeklärten Absolutismus zugrunde. Sie vertritt die Ansicht von dem sogenannten jus eminens des Monarchen, das diesem erlaubt, im Interesse des öffentlichen Wohls auch in das Privateigentum der Bürger einzugreifen, wo es vonnöten ist. Es ist eine kühne reformatorische Lehre, die mit dem straffen Geiste des werdenden Militärstaats trefflich zusammenpasste und in der freieren weltlichen Staatsauffassung eigentlich erst die Konsequenzen des protestantischen Denkens zog. Ganz im Sinne des neuen Großstaats war auch die kirchenrechtliche Lehre, die Pufendorf und Thomasius vertraten, und die man als die „territorialistische“ der alten „episkopalistischen“ gegenübergestellt hat. „Territorialistisch“ bedeutet in diesem Zusammenhang ihre Geltung für das neue größere „Staatsgebiet“, gerade im Gegensatz zu dem alten engeren „Territorialstaat“. Diese Lehre unterscheidet das alte Kirchenregiment der territorialen Zeit von der neuen Kirchenhoheit in dem größeren Gesamtstaat. Als Inhaber der Kirchenhoheit hat der Monarch danach vor allem die Aufgabe, das kirchliche Leben der verschiedenen Kirchengemeinschaften, die in seinem Staatsgebiet nebeneinander leben, äußerlich zu beaufsichtigen, die Ordnung im Staate aufrechtzuerhalten, und namentlich auch dafür zu sorgen, dass der Friede nicht durch die Zänkereien und gegenseitigen Verketzerungen der Theologen verschiedener Bekenntnisse gestört werde. Der Geist, in dem diese als ein freies Staatshoheitsrecht aufgefasste Kirchenhoheit sich zu betätigen hat, ist der Geist der Toleranz. Es ist die theoretische Fortbildung der praktischen Kirchenpolitik, die der Große Kurfürst eingeleitet hatte, und zugleich ein Programm für die Tätigkeit seiner Nachfolger auf diesem Gebiet, wie es dem Gebot der neuen „Staatsräson“ entsprach.

Diese in frischem Reformeifer vorwärtsdrängende Juristenschule und die neue, das praktische Christentum betonende theologische Richtung bestimmten nun auch im Wesentlichen den Charakter der neuen Universität, die schon der Große Kurfürst für den magdeburgischen Landesteil hatte gründen wollen, und die dann unter seinem Nachfolger 1692 eröffnet und 1694 feierlich eingeweiht worden ist: der Universität Halle. Die neue Hochschule vertrat vor allem diese beiden Richtungen des geistigen Lebens, die für den preußischen Staat besonders charakteristisch geworden sind, namentlich auch im Gegensatz zu dem Geiste der sächsischen Landesuniversität Leipzig, die in den alten Geleisen der lutherischen Orthodoxie und einer trockenen, scholastischen Jurisprudenz verharrte und die freieren Geister von sich stieß, die sich in Halle sammelten, wie Thomasius und Francke. Auf dieser Hochschule sollten nun vor allem die Beamten und die Pastoren für den neuen Großstaat gebildet werden, Männer, die nicht mehr in dem engen Gesichtskreis des ständisch-partikularistischen Kleinstaats und der eng damit verschwisterten lutherischen Orthodoxie aufgewachsen waren, sondern mit freierem und weiterem Blick die Ziele großstaatlicher Macht- und Wohlfahrtspolitik im monarchischen Geiste zu fördern und die durch die Staatsräson gebotene gegenseitige Toleranz der Bekenntnisse zu üben verstanden: Beamte, die von dem alles überwindenden Grundsatz der salus publica durchdrungen waren; Geistliche, die das Hauptgewicht auf das innere Glaubensleben und auf die praktische Betätigung des Christentums legen sollten. Hier hat Thomasius mit der jugendlichen Frische, die ihn charakterisiert, zuerst den Versuch gewagt, in den Vorlesungen die deutsche statt der herkömmlichen lateinischen Sprache anzuwenden; hier hat er in Wort und Schrift gegen die Hexenprozesse, gegen die Anwendung der Tortur im Strafprozess geeifert, große praktische Reformen vorbereitet und der Humanität einen Dienst geleistet, der für alle Zeiten ein Ruhmestitel der Hallischen Hochschule bleiben wird.

Jeder der hauptsächlichsten Landesteile der preußischen Monarchie hatte jetzt seine besondere Universität: die Marken Frankfurt a. O., Preußen seine Albertina; die rheinischen Lande Duisburg, Magdeburg die neue Hallische Hochschule, die zwischen den zwei lutherischen und der reformierten den neuen Typus einer Universität darstellt, die nicht mehr auf dem eng konfessionellen, sondern auf einem freieren, den Streit der Bekenntnisse versöhnenden geistigen Boden erwachsen ist.

So gewann das geistige Leben der Nation seine ersten engeren Beziehungen zu dem Hohenzollernstaat; und seine Pflege wurde eine Aufgabe, welche dies aus Armut und Unkultur allmählich aufstrebende Zeitalter, das noch immer vom Lärm der Waffen erfüllt war, späteren Geschlechtern hinterließ. Noch mehr als die Wissenschaft aber war die bildende Kunst, wie sie sich in der damals etwa 20.000 Einwohner zählenden Haupt- und Residenzstadt Berlin entfaltete, auf die Anregung und Unterstützung des fürstlichen Mäzens angewiesen. Auch hier schwebte das Beispiel Frankreichs und Ludwigs XIV. vor, das den holländischen Kunstgeschmack, wie ihn der Große Kurfürst begünstigt hatte, bald ganz und gar zurückdrängte. Daneben freilich wirkte das Beispiel Italiens ein. Nach dem Muster von Paris und Rom wurde schon unter Danckelmans Staatsleitung, 1696, in Berlin eine Akademie der Künste begründet, die zugleich eine hohe Schule für fortgeschrittene Kunstjünger und eine anregende Vereinigung von Meistern und Freunden der Kunst sein sollte. Sie erhielt ihr Heim in einem nach den Plänen eines französischen Architekten von verschiedenen Baumeistern, darunter Nering und Schlüter, hergestellten neuen Marstallgebäude, das von der Straße Unter den Linden bis zur Dorotheenstraße reichte und in dem später auch der Sozietät der Wissenschaften Räume zur Verfügung gestellt wurden.

Eine wirkliche Kunstuniversität ist diese Akademie noch nicht geworden, und auch das Interesse der Hofleute und des Adels, auf das man gerechnet hatte, lies zu wünschen übrig. Die Hauptsache war, das vom Hofe selbst eine lebhafte Bau- und Kunsttätigkeit angeregt wurde, die eine Anzahl von nicht unbedeutenden Künstlern beschäftigte. Keiner von ihnen reichte freilich auch nur entfernt an den Mann heran, der diesen Kunstbestrebungen erst höhere Bedeutung und bleibenden Wert verliehen hat: das ist Andreas Schlüter, der als Hofbildhauer 1694 in brandenburgischen Dienst gezogen, sich dann — ohne eine eigentlich technische Vorbildung — auch als Baumeister in großartiger Weise betätigt hat, bis zu dem Missgeschick, das ihm 1706 mit dem ungenügend fundamentierten „Münzturm“ widerfuhr, der wieder abgetragen werden musste. Zeigten sich hier die Grenzen seines technischen Könnens, so hat doch im allgemeinen die künstlerische Genialität seines Schaffens in Erfindung, Ausführung und Anregung den Kunstbestrebungen Friedrichs I. überhaupt erst Leben und Seele eingehaucht, und alle bedeutenden Werke jener Zeit sind entweder von ihm geschaffen oder doch von seinem Geiste beeinflusst: so der große Neubau des Schlosses, das in den auf Schlüter selbst zurückgehenden Teilen die edelste, nirgend übertroffene Vollendung des Barockstils zeigt und nach seinem Rücktritt von der Bauleitung durch den Westanbau Eosanders v. Göthe mit dem Hauptportal — abgesehen von der großen Kuppel — seine jetzige Gestalt erhalten hat; weiter das Zeughaus mit den Helmornamenten und den Masken der sterbenden Krieger von Schlüters Hand, ein rechtes Wahrzeichen für den militärischen Charakter des preußischen Staates; vor allem aber das eherne Reiterstandbild des Großen Kurfürsten auf der Langen Brücke, eins der schönsten Denkmäler aller Zeiten, Schlüters Meisterwerk, in dem der Geist des neuen Fürstentums in kraftvoller Schönheit zur Anschauung gebracht ist; eine wohlgelungene Bronzestatue Friedrichs I. selbst nach Schlüters Modell, die eigentlich für Berlin bestimmt war, ist aus unbekannten Gründen hier nicht zur Aufstellung gelangt und später (1801) nach Königsberg gebracht worden, wo sie auf dem Platz vor dem Schlosse nicht recht zur Geltung kommt.

Ein zweites Residenzschloss mit einem großen Garten wurde in „Lietzenburg“ gebaut, das später nach der Königin den Namen Charlottenburg empfing und das als Sommeraufenthalt des Hofes der Schauplatz einer geistreich angeregten Geselligkeit geworden ist, wie sie Sophie Charlotte zuerst am preußischen Hofe heimisch zu machen versucht hat. Hier ließ sich die Königin, eine Freundin feiner Musik, auf einer eigenen kleinen Bühne die neuerdings in Aufnahme gekommenen Opern vorspielen, von denen der König selbst, in diesem Punkte in calvinistischen Vorurteilen befangen, nichts wissen wollte, abgesehen von gelegentlichen Prunk- und Festvorstellungen. Hier hat die geistreiche Liebhaberin der Philosophie sich mit Leibniz über die Probleme unterhalten, die er dann später in seiner „Theodicee“ behandelt hat, während ein anderes Mal wohl der englische Freidenker Toland ihr seine schon zum Pantheismus neigenden deistischen Ansichten vortragen durfte, deren literarischen Ausdruck er ihr gewidmet hat. Sie veranlasste auch wohl die evangelischen Theologen, mit dem Jesuitenpater Vota religiöse und dogmengeschichtliche Fragen zu diskutieren; die Union der verschiedenen christlichen Bekenntnisse war ja ein Lieblingsgedanke des Leibniz’schen Kreises. Daneben gab Bayles Dictionnaire mit seiner skeptischen Beleuchtung aller Probleme den Anreiz zu angeregten Unterhaltungen in dieser Hofgesellschaft, die durch einige ihrer Mitglieder in einer Art von Personalunion mit der Gesellschaft der Wissenschaften stand. Den eigentlichen Mittelpunkt bildete immer die Königin selbst mit ihrer lebendigen, Geist und Geschmack verbindenden Konversation. Selbst der Zeremonienmeister dieses Hofes, Joh. v. Besser, hat als ein weltmännischer, freilich etwas verschnörkelter und schwülstiger Poet Anspruch auf größere Beachtung, als sie ihm im Allgemeinen zuteil geworden ist.

Der Strahl von Schönheit und Vornehmheit, der damals von dem Hofleben des ersten Königs ausging, bildet einen wirksamen Kontrast gegen die Härte und Dürftigkeit, die diesem in Krieg und Arbeit groß gewordenen Staate vorher und auch nachher noch wieder lange Zeit hindurch das eigentlich bezeichnende Gepräge gegeben haben. Es war ein Vorfrühling, dem noch lange, strenge Zeiten gefolgt sind, bis wirklich Berlin einer der Mittelpunkte für Geist und Bildung in deutschen Landen geworden ist.

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