7.3 Der Militär= und Beamtenstaat Friedrich Wilhelms I.

7.3 Der Militär= und Beamtenstaat Friedrich Wilhelms I.

Während der Unterhandlungen und Feldzüge des nordischen Krieges hat Friedrich Wilhelm I. die Geschäfte der inneren Staatsverwaltung nicht aus den Augen verloren; wichtige Reformen fallen in diese Zeit, und nach dem Frieden von Stockholm konnte der König darangehen, den Ausbau seines Militär- und Beamtenstaates zu einem vorläufigen Abschluss zu bringen. Seine Regierung bezeichnet die Vollendung des Absolutismus. Sie ist noch erfüllt von einem stillen, zähen Kampf mit den Ständen. Es ist der letzte Akt dieses hundertjährigen Kampfes, ein letztes Aufflackern des Widerstandes hie und da, das aber nirgends andere Formen angenommen hat, als die eines passiven Widerstandes gegen die durchgreifenden Reformen des Königs. Man kann daher auch den Kampf Friedrich Wilhelms I. mit den Ständen nicht gut im Zusammenhang darstellen. Er ist eine Begleiterscheinung bei einer Reihe von Regierungs- und Verwaltungsakten, von denen noch weiterhin die Rede sein wird; so bei der Allodifikation der Rittergüter, bei den Reformen im Steuerwesen, in Sonderheit bei der Einrichtung des Generalhufenschoßes in Ostpreußen. Bei dieser Gelegenheit hat der König das bekannte Wort geschrieben: „Ich ruiniere die Junkers ihre Autorität; ich komme zu meinem Zweck und stabilisier die souveraineté wie einen Rocher von bronce.“ Unter seiner Regierung waren die Landtage schon in allen Provinzen bis auf Cleve-Mark, wenigstens in der alten Form, verschwunden; und in Cleve-Mark durften sie, nachdem sie der König einmal sistiert hatte (1721 – 1722), nur noch zusammentreten unter der Bedingung, dass sie sich willfährig bewiesen und der Regierung keine Schwierigkeiten bereiteten. Nicht nur die politische Bedeutung, sondern auch die administrative Wirksamkeit der Stände hat unter Friedrich Wilhelm I. aufgehört; über den alten ständischen Einrichtungen erhob sich, sie erdrückend und überragend, der feste und solide Bau des monarchischen Beamtenstaates.

In dieser Wendung liegt zugleich ein bedeutsamer Fortschritt in der Vereinheitlichung des bunt zusammengesetzten Staatswesens, in dem die partikularistischen Kräfte immer mit den ständischen Bestrebungen Hand in Hand gingen, während Heer und Beamtentum die mächtigen Klammern der Einheit wurden. Bald nach dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms l. macht sich eine Wandlung bemerkbar in dem sehr merkwürdigen Hausgesetz vom 13. August 1713, das die sämtlichen Fürstentümer und Länder des königlichen Hauses samt den Domänen, Schatullgütern und Forsten mit einem ewigen Fideikommiss belegt und damit für unteilbar und unveräußerlich erklärt. Zwei Zwecke treten dabei in seltsamer Verflechtung hervor: einmal wird gesetzlich festgestellt, was beim Regierungsantritt Friedrichs III. tatsächlich durchgesetzt war: die Unteilbarkeit des Staatsgebietes in seinem ganzen Umfang, unter Beseitigung des altherkömmlichen Grundsatzes, das jeder Herrscher das Recht habe, mit den von ihm selbst erworbenen Landesteilen nach Gefallen zu schalten und zu walten; zweitens wird die Unveräußerlichkeit des ganzen Domanialbesitzes in hausgesetzlicher Form angesprochen, offenbar im Gegensatz zu den Vererbpachtungsplänen der vorigen Regierung, die ja in ihrer finanziellen Wirkung einer Veräußerung gleichgekommen sein würden. Seltsam ist nur die Verbindung dieser beiden Bestimmungen, die Land und Leute mit dem Kammergut des Hauses auf eine rechtliche Linie stellt. Man hat darin den Sinn finden wollen, dass die Domänen dadurch zu Staatseigentum erklärt worden seien; richtiger wäre es, den patrimonialen Charakter der darin herrschenden Auffassung hervorzuheben, für welche auch Land und Leute nur als Besitz des Hauses erscheinen. Aber wie dem auch sein mag, die Staatseinheit gewann mit diesen Bestimmungen eine starke rechtliche Grundlage: man könnte sagen, dass die ursprüngliche Personalunion unter den einzelnen Landen der preußischen Monarchie erst jetzt grundgesetzlich befestigt und damit, wenn man das Wort in einem weiteren Sinne, als heute meist üblich ist, anwenden will, zu einer Realunion umgestaltet worden sei. Die Vollendung des Absolutismus zeigt sich auch darin, dass er seine historische Mission, die Verschmelzung der Territorien zu einem größeren Staatsganzen, mit steigendem Erfolg durchführt.

Wir wissen, dass dieses Regierungssystem nicht auf persönlicher Willkür oder despotischer Laune beruhte, sondern auf einer großen politischen Notwendigkeit: die europäische Lage forderte damals die Bildung militärischer Großstaaten; und das ist nun die historische Leistung Friedrich Wilhelms I., das er eigentlich erst die solide Grundlage geschaffen hat, die Dauer und Wachstum der preußischen Königsmacht sicherstellte. Der Große Kurfürst und König Friedrich I. hatten, wie wir gesehen haben, noch nicht aus eigenen Mitteln Krieg führen und eine große Armee erhalten können. Erst Friedrich Wilhelm I. hat es fertiggebracht, das preußische Kriegswesen finanziell auf eigene Füße zu stellen und dabei die Armee so zu vergrößern, dass sie einen respektablen Faktor in der europäischen Politik bildete. Durch ihn ist Preußen in den Stand gesetzt worden, ohne Subsidien fremder Mächte Krieg zu führen und dabei allein sein eigenes Interesse wahrzunehmen, was die Voraussetzung einer gesunden Politik war. Friedrich Wilhelm I. hat die Armee, die unter dem großen Kurfürsten zuletzt 30.000 Mann, unter Friedrich I. im Kriege 40.000 Mann betrug, auf 80.000 Mann im Frieden gebracht, und es so eingerichtet, das sie nicht bloß aus den eigenen Mitteln des Landes erhalten werden konnte, sondern das auch noch mehrere Millionen erspart wurden, die zur Ansammlung eines Kriegsschatzes dienten. Und er hat diese militärische und finanzielle Machtentwicklung möglich gemacht, ohne dass das Land unter dem schweren Druck dieser Rüstung zusammenbrach; im Gegenteil, er hat durch Ordnung, Sparsamkeit und Redlichkeit in der Verwaltung, durch die Anbahnung einer erziehenden und bevormundenden Wohlfahrtspolizei die natürliche wirtschaftliche Entwicklung des Landes, die zu langsam für die politisch-militärischen Machtpläne gegangen wäre, künstlich befördert und gesteigert, um die Steuerkraft der Bevölkerung zu heben und damit das zu stärken, was er gern, freilich nicht in so korrektem Latein, als den nervus rerum gerendarum zu bezeichnen pflegte. Die preußische Verwaltung, wie er sie eingerichtet hat, suchte planmäßig den Wohlstand der Untertanen zu fördern, weil man wusste, dass er die unentbehrliche Grundlage der Macht war, die auch den Mittelpunkt aller administrativen und wirtschaftspolitischen Pläne und Handlungen bildete. Die Staatsräson beherrschte das ganze Wirtschafts- und Kulturleben dieses spartanischen Staates vollkommen; und ihr Hauptinstrument war eben das Heer.

Friedrich Wilhelm I. ist der eigentliche Schöpfer der preußischen Armee, nicht bloß, weil er sie erst zu einer achtunggebietenden Größe gebracht hat, sondern vor allem, weil er der Begründer einer durchgreifenden monarchischen Disziplin und zugleich auch des für ein Soldheer unerlässlichen militärischen Drills gewesen ist.

Das erste, was er vollbrachte, war eine Reinigung und Umgestaltung des Offizierskorps. Unter seinen Vorgängern waren noch manche Elemente von fragwürdiger Herkunft und Reputation unter den Offizieren gewesen, Abenteurer aus aller Herren Ländern, die zum Teil eine dunkle Vergangenheit hatten, und mit deren Pflichteifer und Gehorsam es oft übel aussah. Friedrich Wilhelm I. entfernte alle unwürdigen Subjekte aus dem Offizierstand, er verzichtete grundsätzlich auf die Anstellung von Ausländern und zog dafür, anfangs nicht ohne Anwendung von Zwang, die Söhne des einheimischen Adels zum Offiziersdienst heran. Trotzdem er durch die Allodifikation der Lehen seit 1717 das dingliche

Friedrich Wilhelm als Schöpfer der preußischen Armee. Das Offizierskorps. 283

Lehnsband mit dem grundbesitzenden Adel löste und die Rittergüter in freies Eigentum umwandelte, hat er doch keineswegs das persönliche Dienst- und Treuverhältnis antasten wollen, das den Edelmann als Vasallen an die Person seines Lehns- und Landesherrn band. Im Gegenteil, die vasallische Disziplin wurde jetzt wieder verschärft, es wurden Vasallentabellen eingeführt, die den König darüber unterrichteten, was seine Edelleute und deren heranwachsende Söhne taten und trieben. Der Adel wurde verhindert, im Ausland zu dienen, wie es vielfach üblich war, es galt vielmehr als Standespflicht für die jüngeren Söhne, als „Junker“ in die Armee des Königs einzutreten. Um dem großenteils unbemittelten Adel der östlichen Provinzen eine für den Offizierstand geeignete Erziehung seiner Söhne möglich zu machen, gründete Friedrich Wilhelm I. an Stelle der „Akademien“ in Kolberg und Magdeburg das „Kadettenkorps“ in Berlin, aus dessen Zöglingen er dann sein Offizierskorps ergänzte.

Dieser adlige Offiziersersatz hat sich vortrefflich bewährt, nicht nur für die Armee, sondern auch für den Staat. Denn dieses System hatte eine wichtige politische Nebenwirkung: es diente dazu, eine enge Verbindung zwischen Adel und Offizierskorps zu stiften und aus den frondierenden märkischen, pommerschen und ostpreußischen Junkern allmählich loyale, königstreue Untertanen zu machen, die ihren Stolz darein setzten, unter den Fahnen des Königs zu dienen. Vor allem aber wandelte sich der Geist des Offizierskorps selbst: seit dieser Zeit — sagt Friedrich der Große in seinen brandenburgischen Denkwürdigkeiten — litten die Offiziere nur noch untadelige Namen unter sich. Das adlige Standesbewusstsein wurde eine starke Grundlage für das korporative Ehrgefühl der Offiziere. Sie bildeten den ersten Stand im Staate. Der König selbst fühlte sich als Offizier, er trug seit 1725 beständig die Uniform und hat damit ein Beispiel gegeben, das alle europäischen Souveräne nachahmten. Durch sein persönliches Beispiel erzog er das Offizierskorps zu einem bis dahin unerhörten dienstlichen Pflichtgefühl. Alle Offiziere waren jetzt vom König ernannt und an unbedingten Gehorsam ihm gegenüber gewöhnt; eine straffe monarchische Disziplin bildete fortan die Grundlage der preußischen Armee.

Die Ergänzung der Mannschaften beruhte nicht mehr auf der freiwilligen Werbung allein, wenn diese auch immer noch die Hauptsache blieb und mehr als die Hälfte der Geworbenen Ausländer waren. Die Werbung lag noch immer nicht in der Hand der oberen Militärbehörden, sondern in der der Kapitäns, die zur Instandhaltung ihrer Kompanien Pauschalsummen erhielten, von denen sie auch die Werbekosten zu decken hatten. Die Gewaltsamkeiten der Werber führten zu manchen Reibungen und Konflikten mit den benachbarten Ländern, namentlich mit Hannover und Mecklenburg. Aber auch im Inland wurde unter Anwendung von Zwang geworben. Die Vorstellung, dass die Bevölkerung zur „Landfolge“ verpflichtet sei, vor allem bei Landesnot, war nie ganz erloschen. Als das Stehende Heer aufkam, suchte man dies alte Herkommen für dessen Ergänzung nutzbar zu machen. In dem Kriege mit Ludwig XIV. war schon 1693 den Kreisen oder Provinzen die Pflicht auferlegt worden, eine Anzahl von Rekruten gegen feste Werbegelder an die Regimenter zu liefern; und obwohl die Leute, die man auf diese Weise erhielt, nicht von besonderer Zuverlässigkeit und militärischer Brauchbarkeit waren, so dass die Einrichtung wieder abgeschafft wurde, war man doch während des Spanischen Erbfolgekrieges im Jahre 1711 wieder darauf zurückgekommen. Eine Art von Dienstzwang, der freilich noch keineswegs allgemein war, bestand also seitdem bereits. Die Immediatuntertanen auf den Domänen waren außerdem, namentlich seit 1704, zum Dienst in einer Landmiliz herangezogen worden, die ähnlich wie in Frankreich, Hannover und England, neben das stehende Heer trat. Es war eine der ersten Regierungshandlungen Friedrich Wilhelms I., dass er diese Miliz, die durch ihre militärische Untüchtigkeit den Ruf seiner Armee zu schädigen drohte und außerdem das Werbematerial einschränkte, gänzlich aufhob, und selbst den Gebrauch des Namens „regulierte Miliz“ für das Stehende Heer bei schwerer Strafe verbot. Dafür wurde aber die Zwangswerbung im Inlande bei der starken Vergrößerung der Armee in weiterem Umfange als bisher angewandt, und zwar ohne die Vermittlung der Ortsobrigkeiten durch die Kapitäne selbst und ihre Werber.

Bei dem starken Rekrutenbedarf erregte dies System der Mannschaftsergänzung große Beunruhigung im Lande. Es kam vor, das Gutsherren mit ihren Leuten sich gegen die Werber zur Wehr setzten, und vor allem geschah es, das junge Leute heimlich auf fremdes Gebiet austraten, um den Nachstellungen der Werber zu entgehen. Das Land war mit Entvölkerung bedroht, wenn hier nicht eingegriffen wurde; und so entschloss sich der König durch ein Edikt von 1714 alle Zwangswerbung im Lande zu verbieten. Das Verbot war freilich mehr zur Beruhigung der Bevölkerung, als zur strikten Ausführung bestimmt. Es kam in der Hauptsache nur darauf an, dass kein Skandal entstand; die Werber sollten List statt der offenen Gewalt anwenden. Da aber diese Maßregel noch nichts half, so untersagte der König durch ein neues Edikt von 1721 alle Anwerbung von Inländern überhaupt, soweit sie angesessene Leute waren; die noch nicht Angesessenen durften also auch weiterhin genommen werden. Und da die Werbung im Ausland umso größere Schwierigkeiten und Kosten verursachte, je stärker sie betrieben wurde, die inländischen Rekruten aber nicht nur billiger, sondern auch im allgemeinen zuverlässiger und brauchbarer waren, vor allem seltener desertierten, so warben die Kapitäne auch im Inland weiter mit mehr oder minder Anwendung von Zwang, und der König lies es geschehen, da man es verstand, offene Gewaltsamkeiten zu vermeiden.

So bildete sich gewohnheitsrechtlich, in Anknüpfung an die älteren Ergänzungsmethoden und im Widerspruch zu dem Verbot der Zwangswerbung, eine Art von Dienstpflicht heraus, die allerdings in der Hauptsache auf die unteren Klassen der Bevölkerung beschränkt blieb und ganz besonders die Söhne der erbuntertänigen Bauern traf; die waren ja daheim zum Gesindedienst bei dem adligen Gutsherrn verpflichtet und betrachteten es wohl kaum als eine ungerechtfertigte Zumutung, wenn sie der Gutsherr einem Sohn oder Bruder zur Einstellung in seine Kompanie überlies. Das Interesse der Gutsherren an der Arbeitskraft dieser Leute fand insofern Berücksichtigung, als durch die zugleich eintretende Ordnung des Beurlaubungswesens dafür gesorgt wurde, dass die ausgebildeten Leute außer den zwei Exerziermonaten im Frühjahr, während welcher die Kompanien komplett sein mussten, in die Heimat beurlaubt wurden, so dass ihre Arbeitskraft, namentlich zur Zeit der Ernte, nicht entbehrt zu werden brauchte. Für die Kapitäne hatte diese Einrichtung noch den besondern Vorteil, dass sie befugt waren, den Sold der Beurlaubten, den die Kriegskasse regelmäßig nach der vollen Etatstärke auszahlte, in ihrer Kompaniekasse zu behalten, wodurch ihnen die Möglichkeit gegeben war, bei ihrer Kompaniewirtschaft, die sie auf eigene Rechnung führten, mehr oder weniger bedeutende Überschüsse zu erzielen, die ihnen als Zubuße zu ihrem kargen Gehalt von den vorgesetzten Behörden gern gegönnt wurden. Es wurde allmählich üblich, schon die Kinder für den Kriegsdienst zu „enrolieren“, d. h. ihre Namen in Stammrollen einzutragen, ähnlich, wie es bei den Milizpflichtigen geschehen war. Diese gewohnheitsrechtlich entstandene Einrichtung, die sich trotz mancher Klagen nach den verschiedensten Richtungen hin, militärisch, wirtschaftlich und sozial im allgemeinen bewährte, sanktionierte der König schließlich, indem er durch zwei Zirkularorders an die Regimentskommandeure vom 10. Mai und 15. September 1733 das Land in bestimmte Kantons, d. h. Bezirke von je 5.000 Feuerstellen etwa, einteilte, von denen jede einem bestimmten Regiment zur Ergänzung seines Mannschaftsbestandes zugewiesen wurde. Die Absicht bei dieser Maßregel war, Unordnungen abzustellen, die daraus entsprangen, das Werber aus verschiedenen Regimenter sich gegenseitig ins Gehege kamen; außerdem musste sie dazu dienen, die örtliche Willkür und Ungleichmäßigkeit in der Aushebung inländischer Rekruten zu beseitigen, den Einfluss der Gutsherren dabei einzuschränken, und den Militärdienst mehr als eine öffentliche Pflicht erscheinen zu lassen. Ein eigentliches „Kantonreglement“, das diese Dienstpflicht erst begründet hätte, existiert also nicht; es handelt sich vielmehr in den Verordnungen von 1733 nur um die nähere Regelung einer bereits als bestehend vorausgesetzten Einrichtung.

Dieses Kantonsystem bedeutete also etwas ganz anderes als die allgemeine Wehrpflicht, die 1813 und 1814 durch Scharnhorst und Boyen begründet worden ist. Die Kantondienstpflicht war nicht allgemein, da die höheren Stände, alle Kapitalisten, Manufakturisten, Künstler usw. davon eximiert waren; und diese Exemtionen wurden später unter den Nachfolgern Friedrich Wilhelms I. noch vermehrt und selbst auf eine ganze Reihe gewerbreicher Städte und einzelne Landstriche oder Provinzen ausgedehnt. Die Kantonpflicht ruhte in der Hauptsache auf den Bauernsöhnen und den Handwerksgesellen. Ihr lag noch nicht, wie im 19. Jahrhundert der allgemeinen Wehrpflicht, das Prinzip staatsbürgerlicher Gleichheit zugrunde, sondern gerade im Gegensatz dazu die Rechtsungleichheit der ständischen Gesellschaftsordnung, die der Absolutismus noch keineswegs beseitigt hat. Damit hing auch zusammen, das der Geist der Disziplin in dem preußischen Heere neben dem monarchischen Gehorsam zum Teil auch auf die Psychischen Faktoren begründet war, auf denen das gutsherrlich-bäuerliche Verhältnis beruhte: die Selbstverständlichkeit von Über- und Unterordnung, das Autoritätsbewusstsein und das Abhängigkeitsgefühl, die Gewohnheit, zu befehlen und zu gehorchen; dazu kam ein Beisatz von patriarchalischem Wohlwollen und Vertrauen, der aus jenem Verhältnis doch noch nicht ganz verschwunden war. Wie der Grundadel im Offizierskorps, so wurde der bäuerliche Kantonist das maßgebende Element in der Mannschaft des preußischen Heeres, und das Verhältnis zwischen Soldat und Offizier zog wertvolle Nahrung aus dem altherkömmlichen Untertanenverband zwischen Junker und Bauer. Aber während so die private Abhängigkeit dazu diente, der militärischen Disziplin eine feste Grundlage zu geben, wirkte doch auf der anderen Seite der öffentliche und monarchische Zug im Heerwesen auflockernd auf jenes private Band der bäuerlichen Untertänigkeit zurück. Die Armee war eine Welt für sich, mit besonderen Gesetzen und besonderer Gerichtsbarkeit und Polizei. Der Kantonist, der in die Heimat beurlaubt wurde, blieb unter der Jurisdiktion seines Regiments, wodurch die patrimoniale obrigkeitliche Gewalt des Gutsherrn beeinträchtigt wurde; und auch der enrollierte Bauernbursche, der zur Auszeichnung ein Büschel am Hut (später eine rote Halsbinde) tragen durfte, entzog sich schon in manchen Stücken der gutsherrlichen Botmäßigkeit und fühlte sich bereits mehr als Untertan des Königs, dessen Autorität in der Armee so hoch über der des Junkers stand.

Die ökonomische Verwaltung im Heerwesen beruhte auf den Grundsätzen der Naturaleinquartierung und der Soldverpflegung. Kasernen gab es im Allgemeinen noch nicht; die Soldaten lagen bei den Bürgern in Quartier und mussten sich ihre Nahrung selbst kaufen und zubereiten. Ein großer Teil von ihnen war verheiratet und konnte während der dienstfreien Zeit in irgendeinem bürgerlichen Gewerbe tätig sein; die Soldatenfrauen, welche auch unter der militärischen Gerichtsbarkeit standen, trieben oft einen kleinen Hökerhandel. Zur Erziehung der Soldatenkinder, nicht nur der elternlosen, sondern auch derer, um welche sich die Eltern nicht kümmern konnten oder mochten, wurde das große Potsdamer Militärwaisenhaus begründet. Von den Ausrüstungsgegenständen wurden nur die Waffen und die große Montur vom Regiment geliefert; die Anschaffung der kleinen Bekleidungsstücke, für die Soldabzüge gemacht wurden, gehörte mit zur Kompaniewirtschaft des Kapitäns. Durch dieses System, das auf die Staatliche Menage ganz verzichtete, wurde die Armee mit ihrem großen Verbrauch gleichsam zum Schwungrad des wirtschaftlichen Verkehrs in den Garnisonstädten. Der starke Bruchteil von Ausländern bedeutete eine entsprechende Steigerung der Konsumtion, die den bürgerlichen Gewerben zugutekam. „Wenn die Armee marschiert“, sagte Friedrich Wilhelm I., „verliert die Akzise ein Drittel“: so stark hing der Ertrag dieser Verkehrssteuer mit dem Verbrauch der Soldaten zusammen; und nur durch diese Einrichtung wird es erklärlich, das die Garnisonen nicht bloß als Last, sondern auch als fördernd für die städtischen Nahrungen empfunden wurden, und das namentlich die kleinen Gewerbetreibenden ein Interesse daran hatten, dass ihr Ort mit Militär belegt war.

Friedrich Wilhelm I. hat aber nicht bloß als Organisator, sondern auch als Exerziermeister epochemachend gewirkt. Wie sein Freund Fürst Leopold von Anhalt auf der großen Wiese vor Halle, so drillte er selbst persönlich sein Regiment auf dem Exerzierplatz im Potsdamer Lustgarten. Der Drill war auf die damals übliche Lineartaktik berechnet, die auf dem Prinzip beruhte, die Truppen in langen, geschlossenen Linien, nur drei Glieder tief, im Gleichschritt und guter Richtung an den Feind heranzubringen und dabei ein schnelles, regelmäßiges, ungezieltes Feuer zu unterhalten. Der eiserne Ladestock, den der alte Dessauer an Stelle des hölzernen einführte, sollte ein schnelleres Schießen ermöglichen. Neben dem Schießen aber hatte der Bajonettangriff eine ganz hervorragende Bedeutung, und darum stellte man namentlich beim ersten Gliede gern große, starke Leute ein. Dies war der Ausgangspunkt der bekannten Liebhaberei des Königs für die großen Grenadiere, die sein Leibregiment zu einer wahren Riesengarde machte. Für diese langen Kerls war dem sonst so sparsamen kein Preis zu hoch, und ein fürstliches Geschenk von ein paar großen Rekruten verfehlte selten die beabsichtigte Wirkung auf die Stimmung des Soldatenkönigs. Die Rekrutenkasse, die er begründete, um die Werbegelder für dieses Luxusregiment zu bestreiten (übrigens eine Metamorphose der „Marinekasse“ des Großen Kurfürsten), gab Veranlassung dazu, auch in Preußen einen Missbrauch einzuführen, der anderswo schon vielfach im Schwange ging, indem gewisse Ämter gegen Angebot von Zahlungen für die Rekrutenkasse vergeben wurden, wobei oft das Höchstgebot den Ausschlag gab.

Die Armee wurde seit Friedrich Wilhelm I. vollends zum Rückgrat der ganzen Staatsverwaltung, die auf das militärische Bedürfnis zugeschnitten und von militärischem Geist erfüllt war. Die Anhaltung von Derserteurs wurde zu einer neuen staatsbürgerlichen Pflicht, welche die Bevölkerung im Umkreis großer Garnisonen oftmals in Anspruch nahm. Dann wurden in den Dörfern die Sturmglocken geläutet und die Männer zum Aufspüren und Abfangen des Fahnenflüchtigen aufgeboten. Die Unterhaltung der Armee wurde geradezu die Hauptaufgabe der Finanzverwaltung; und aus der Finanzverwaltung ist in Preußen wie in anderen kontinentalen Staaten die ganze innere Verwaltung hervorgewachsen. Das Werkzeug dieser Finanz- und Inneren-Verwaltung aber, das Beamtentum, hat, ebenso wie das Heer, erst unter Friedrich Wilhelm I. seine volle Ausbildung und sein dauerndes, eigenartiges Gepräge erhalten. Der Schwerpunkt liegt dabei in den Kommissariats- und Kammerbehörden, die wir bis zum Ende Friedrichs I. bereits verfolgt haben.

 

Die Konsolidation der Schatullgüter, Forsten und aller Regalien mit der Domänenverwaltung, die bereits im Jahre 1711 angebahnt worden war, wurde durch Friedrich Wilhelm I. gleich nach seiner Thronbesteigung zu einer dauernden organischen Einrichtung gemacht, indem am 27. März 1713 das Generalfinanzdirektorium errichtet wurde, das an die Stelle der alten Geheimen Hofkammer trat und statt der alten Hofrentei die neue sogenannte Generalfinanzkasse neben sich hatte, deren Einkünfte durch die Reform fast auf das Doppelte vermehrt waren. An der Spitze der ganzen Domänenverwaltung stand der Präsident von Kameke, der schon 1711 mit diesem Posten betraut worden war. Im Gegensatz zu dem gescheiterten Projekt der Vererbpachtung wurde jetzt das System der Zeitpacht mit kurzen, sechsjährigen Pachtperioden zur Durchführung gebracht, und zwar in der Form der Generalpacht, indem grundsätzlich die Domänenämter als Ganzes in Bausch und Bogen verpachtet wurden, wobei der Generalpächter, der sogenannte „Beamte“, der auch die obrigkeitlichen Befugnisse auszuüben hatte, zwar Unterpächter bestellen konnte, der Amtskammer aber für das Aufkommen der ganzen Pachtsumme allein verantwortlich blieb. In der Absicht, jede Vermischung der Domäneninteressen mit der adligen Gutswirtschaft zu vermeiden, hielt der König streng darauf, das zu diesen Pachtungen nur Bürgerliche zugelassen wurden; aus solchen Amtleuten ist im Laufe der Zeit ein Stand von intelligenten und kapitalkräftigen bürgerlichen Landwirten hervorgegangen, die neben den adligen Gutsbesitzern eine Rolle von wachsender Bedeutung spielten. Durch die allgemeine und endgültige Durchführung der Pachtwirtschaft auf den Domänen wurden die alten Stellen der adligen Amtshauptleute, die mit einem kleinen Gehalt von 300 – 500 Talern versehen waren, zu bedeutungslosen Sinekuren; sie dienten seit Friedrich Wilhelm I. in der Regel zur Belohnung verdienter Offiziere, deren Einkommen auf diese Weise vermehrt werden sollte.

Neben dem General-Finanzdirektorium als der obersten Domänenbehörde stand das General-Kriegskommissariat, dem die Leitung der Heeres- und Steuerverwaltung oblag. Es war erst im Jahre 1712 in eine kollegialische Behörde umgewandelt worden, während vorher der General-Kriegskommissar allein über seinen Gehilfen die Leitung und Verantwortlichkeit besessen hatte. Der Urheber dieser Umwandlung war der General Friedrich Wilhelm von Grumbkow, ein gescheiter, tätiger, aber intriganter Mann, der unter Friedrich Wilhelm I. auch außerhalb seines Amtsbereichs eine wichtige Rolle gespielt hat. Mit dieser Umwandlung streifte das General-Kriegskommissariat vollends die frühere Unterordnung unter das Generalkommando der Armee ab und entwickelte sich mehr und mehr zu einer Behörde, deren Schwerpunkt auf dem Gebiete der Zivilverwaltung, namentlich des Steuer- und Polizeiwesens lag. Die kollegialische Verfassung empfahl sich für sie unter anderem auch deshalb, weil sie ebenso wie das General-Finanzdirektorium im Gebiete ihrer Verwaltungsinteressen eine weitreichende administrative Rechtsprechung auszuüben hatte.

Diesem Schritt in der Zentralinstanz folgte dann in den ersten Regierungsjahren Friedrich Wilhelms I. die allgemeine Umwandlung aller Kommissariatsbehörden der Provinzen in kollegialische Provinzial-Kriegskommissariate, wie sie in Preußen und Cleve schon längst bestanden. In allen Provinzen wurde dabei die Mitwirkung ständischer Organe bei der Steuerverwaltung, wo sie noch bestand, abgeschafft: das Magdeburger Kreditwerk (eine ähnliche Einrichtung wie das kurmärkische) verschwand ebenso wie der von den Ständen verwaltete ostpreußische Landkasten und andere ähnliche Einrichtungen. Nur in der Mark Brandenburg gab es kein besonderes Provinzial-Kriegskommissariat; dort blieb auch das alte landständische Kreditwerk mit seinen Einnahmen aus den alten Steuern des 16. Jahrhunderts unter dem Namen der Kurmärkischen Landschaft bestehen; die Verwaltung der Kontribution aber lag in den Händen der Kreise und Landräte, über die das General-Kriegskommissariat unmittelbar die Aufsicht führte.

Mit der Umwandlung der Provinzial-Steuerbehörden in kollegialische Kommissariate, die zugleich die Beseitigung der Reste ständischer Steuerverwaltung bedeutete, war in den übrigen mittleren Provinzen, namentlich Magdeburg und Pommern, eine wichtige Veränderung in der Stellung der Landräte verbunden, die dort bisher noch nach alter Weise Vertreter der Stände bei der Provinzial-Steuerverwaltung gewesen waren. Diese Landräte altständischen Stils wurden nun in Landräte auf kurmärkischem Fuß verwandelt, d. h. in Bezirksbeamte, die nur in ihrem Kreise, nicht in der Provinzialverwaltung zuständig waren und in fester Unterordnung unter dem Provinzial-Kriegskommissariat standen — eine Veränderung, die wenigstens in Magdeburg nicht ohne heftiges sträuben der Beteiligten durchgeführt werden konnte. Die Präsentation der Landräte durch den Kreistag, die in der Kurmark üblich war, fiel daher in Magdeburg und auch anderswo unter Friedrich Wilhelm I. meist fort: die Landräte wurden in der Regel ohne Befragung der Kreisstände vom König auf Vorschlag der Kommissariatsbehörden ernannt.

Der Geschäftskreis der Kommissariate, wie er sich unter Friedrich Wilhelm I. ausbildete und erweiterte, zeigt besonders deutlich das Hervorwachsen der inneren Verwaltung aus der Militär- und Steuerverwaltung. Von dieser letzteren hatten die Kommissariatsgeschäfte ihren Ausgang genommen; in der Folge wurden sie in steigendem Maße die Organe der allgemeinen Landespolizei, insbesondere der wirtschaftlichen Verwaltung, namentlich in den Städten. Diese Entwicklung schloss vor allem an die Akzise an: das ganze Verkehrswesen, die Beaufsichtigung der Zünfte, die Beförderung der Manufakturen, der Schutz der einheimischen Arbeit gegen fremden Wettbewerb, die ganze merkantilistische Handels- und Gewerbepolitik überhaupt wurde zum Gegenstande der besonderen Fürsorge der Kommissariatsbehörden.

In diesen beiden nebeneinander stehenden Gruppen von Finanzbehörden, den Kammern und den Kommissariaten, lebte ein verschiedenartiger Geist, der zu manchen Reibungen und Konflikten führte. Die Amtskammern, die für die Domänen zu sorgen hatten, förderten hauptsächlich die landwirtschaftlichen Interessen. Sie standen noch auf dem Boden des reinen Agrarstaats und sahen im König vor allem den größten Grundbesitzer im Lande. In der Handelspolitik hatten sie freihändlerische Neigungen, wie denn ja die Landwirte damals nichts so eifrig begehrten, als die Zulassung der freien Ausfuhr von Getreide, Wolle, Holz und anderen Produkten. Dagegen vertraten die Kommissariatsbehörden in erster Linie die Interessen der Städte, die wegen der militärischen Garnisonen und wegen der Akzise für sie von vorwaltender Bedeutung waren; sie suchten vor allem die Gewerbe und die städtischen Nahrungen überhaupt zu befördern; sie sind die Anwälte eines merkantilistischen Schutzzoll- und Verbot-Systems; sie waren vor allem für das Verbot der Ausfuhr von Rohwolle und Getreide.

Um diese und andere Fragen, um die Gestaltung der Zollgesetzgebung und der Akzisetarife, um die Behandlung der Mediatstädte und ihre Umwandlung zu Immediatstädten, um die Einführung des Salzzwangs, um den Umfang der Brauerei und des Krugverlags auf dem Lande wurden heftige Kämpfe geführt, und häufige Reibungen störten den Gang der Verwaltung, da jede von beiden Gruppen bei dem durch die hohen Anforderungen des Königs gesteigerten Ressorteifer eine Ehre darein setzte, in ihrem Geschäftszweige wirtschaftliche und finanzielle Erfolge zu erzielen, sei es auch auf Kosten der anderen Hälfte. Vergeblich mahnte der König die Behörden zur Einigkeit in seinem Dienst, der durch die Ressortstreitigkeiten mehr geschädigt als gefördert wurde; der einmal entfesselte Wetteifer war nicht mehr zu dämpfen; es kam selbst dazu, das Kammern und Kommissariate langwierige, geldfressende Prozesse gegeneinander führten; und so entschloss sich der König, wie es scheint auf den Rat seines Freundes, des Fürsten Leopold von Anhalt, die streitenden Behörden miteinander zu vereinigen, und zwar nicht nur, wie Leopold vorgeschlagen hatte, in den Provinzen, sondern auch am Hofe selbst.

In der Einsamkeit des Jagdhauses Schönebeck (in der Schorfheide) entwarf Friedrich Wilhelm I. im Dezember 1722 eigenhändig die Grundzüge der Instruktion für die neue oberste Verwaltungsbehörde, der er den Namen General-Ober-Finanz-Kriegs- und Domänen-Direktorium gab. Es handelte sich dabei nicht bloß um die Verfassung der Behörde selbst, sondern zugleich um einen Inbegriff des gesamten materiellen Verwaltungsrechts, dessen Grundsätze hier in drastischer, lapidarer Form niedergelegt sind. Der Geheime Sekretarius Thulemeier, den sich der König dann von Berlin nach Potsdam kommen ließ, musste die ungefügen Sätze dieser königlichen Niederschrift in eine kanzleimäßige Form übertragen. Alsdann wurde den Ministern eröffnet, dass der König sowohl das General-Kriegskommissariat wie das General-Finanzdirektorium kassiert habe, weil er mit ihrem Verhalten nicht zufrieden gewesen sei, dass er aber die Präsidenten und Räte in die neue Behörde übernehmen wolle. Dabei wurde die Gelegenheit nicht versäumt, dem einen oder anderen eine scharfe Admonition zukommen zu lassen, was damals auch den obersten Beamten (oder vielmehr nach dem Sprachgebrauch der Zeit „königlichen Bedienten“) gegenüber durchaus nicht ungewöhnlich war. Mit dem Jahre 1723 trat die neue Behördenorganisation ins Leben. Das Generaldirektorium, wie die neue Behörde gewöhnlich kurzweg genannt wurde, hatte nun also die gesamte finanzielle und innere Verwaltung zu besorgen, einschließlich der Militärökonomie und des Kriegsproviantwesens. Es war aus vier Provinzialdepartements zusammengesetzt, an deren Spitze je ein dirigierender Minister stand, dem drei bis vier vortragende Räte mit dem Titel „Geheime Finanzräte“ beigeordnet waren. Das erste Departement unter Grumbkow umfasste die Provinzen Ostpreußen, Pommern und Neumark, das zweite unter dem Wirklichen Geheimen Rat Krant die Kurmark, Magdeburg, Halberstadt, das dritte unter Görne, dem bisherigen Präsidenten des General-Finanzdirektoriums, die rheinischen, das vierte unter Creutz, dem bisherigen Generalkontrolleur der Finanzen, die westfälischen Provinzen. Außerdem hatte jedes dieser Departements einige Angelegenheiten für den Gesamtumfang des Staates zu besorgen: so das erste die Grenz- und Rodungssachen, das zweite das Marschwesen und die Militärökonomie, das dritte das Post- und Münzwesen, das vierte die Kassen- und Rechnungssachen. Doch hatten diese Departements kein selbständiges Leben, sondern dienten nur zur Vorbereitung der Vorträge in den Plenarsitzungen und zur Ausführung der dort gefassten Beschlüsse. Der Geschäftsgang war durchaus kollegialisch geordnet; jedes Departement hatte einen bestimmten Vortragstag; die Vorträge geschahen vor dem Plenum der ganzen Behörde, Minister und Räte mussten sich über den Beschluss vereinbaren; kam es zu einer solchen Vereinbarung nicht, so musste ebenso wie bei allen außerordentlichen Fragen, für die in der Instruktion keine Richtschnur enthalten war, die Entscheidung des Königs eingeholt werden. Der König selbst wollte der Präsident des Generaldirektoriums sein; aber er hat den Sitzungen der Behörde tatsächlich niemals beigewohnt: der immer leer bleibende Präsidentenstuhl konnte als ein Symbol der höchsten Autorität und königlichen Selbstregierung gelten, die Friedrich Wilhelm I. nicht nur in Anspruch nahm, sondern auch wirklich auszuüben verstand. Die Amtsräume der neuen Behörde befanden sich wie die ihrer Vorgänger im Schlosse selbst. Die ganze Ordnung des Behördenwesens hat noch etwas Patriarchalisches. Minister und Räte mussten um 8 Uhr erscheinen und sollten alles, was an Geschäften vorhanden war, im Laufe des Tages abtun. Waren sie bis 2 Uhr nicht damit fertig, so sollte ihnen das Mittagessen aus der königlichen Küche heraufgebracht werden, und je die Hälfte sollte umschichtig speisen und arbeiten; nach dem Essen sollte dann fortgefahren werden, bis alles erledigt war. Ein besonderes Justizdepartement für die administrative Gerichtsbarkeit war den Provinzialdepartements beigefügt; es ist aber seit 1739 zu einem bloßen Justiziariat eingeschrumpft, das von einem einzelnen Rat besorgt wurde.

In den Provinzen wurden die Amtskammern und die Kriegskommissariate ebenfalls vereinigt und unter dem Namen „Kriegs- und Domänenkammern“ neu geordnet und instruiert. Auch diese Kammern, die nun also für die Städte ebenso wie für das platte Land, für die Steuern ebenso wie für die Domänen und Regalien zu sorgen hatten, erhielten eine durchaus kollegialische Verfassung. Alle Beschlüsse mussten auch hier im Plenum gefasst werden; dabei hatte aber jeder Rat sein besonderes Departement, das in der Regel aus einer Anzahl von Städten, Kreisen und Domänenämtern bestand. Die Kammerbezirke fielen meist mit den Provinzen zusammen, die früher selbständige Territorien gewesen waren. An der Spitze der Behörde stand ein Präsident und in der Regel zwei Direktoren. Der Präsident, ausnahmslos ein Edelmann, hatte die allgemeine Aufsicht über die gesamte Verwaltung der Provinz zu führen, die er auch häufig bereisen musste, während den Direktoren, meist alten routinierten Räten, die  eigentliche dienstliche Leitung und Beaufsichtigung des Kollegiums oblag. Der König hielt streng darauf, dass die Räte in den Kammern nicht Eingeborene der Provinzen waren, die sie zu verwalten hatten; er wollte aus diesen Behörden von vornherein den ständisch-partikularistischen Geist verbannen, der in den älteren Schichten des Behördenwesens noch nicht ganz verschwunden war. Eine besondere Vorbildung verlangte der König nicht für den Posten eines Kriegs- und Domänenrats; nur mussten es geschickte und muntere Leute mit offenem Kopf sein, die etwas vom praktischen Leben verstanden, dabei auch Ordnung und Pünktlichkeit gelernt hatten. Mit Vorliebe nahm sie der König aus den Reihen der im Dienst bewährten Regimentsquartiermeister und Auditeure, wodurch ein militärischer Zug in diese Behörden kam. Studierte Juristen brauchten die Verwaltungsbeamten damals noch keineswegs zu sein; auch von den Auskultatoren, die zum Vorbereitungsdienst bei den Kammern eintreten durften, wurde noch kein juristisches Studium verlangt. Es war nicht ungewöhnlich, dass tüchtige Leute vom Sekretär zum Rat aufstiegen; eine grundsätzliche Scheidung in der Vorbereitung für diese beiden Zweige des Dienstes fand noch nicht statt. Dabei übten aber die Kriegs- und Domänenkammern eine weitgehende Verwaltungsgerichtsbarkeit aus, die sich auf Streitsachen von finanziellem oder polizeilichem Interesse bezog und in summarischen Formen gehandhabt wurde. Die Rekursinstanz für ihre Entscheidungen war das Generaldirektorium.

Diese Verwaltungsgerichtsbarkeit gewann unter der Regierung Friedrich Wilhelms I. vielfach einen übermäßig starken Umfang und brachte die Kammern in häufige Jurisdiktionskonflikte mit den Regierungen, die neben ihnen in den Provinzen bestanden und ohnehin geneigt waren, die neuen Verwaltungsbehörden als unangenehme Rivalen anzusehen. Diese Regierungen waren ja einst die allgemeinen Hauptbehörden der Provinz gewesen und waren nun in der Hauptsache zu Oberlandesgerichten zusammengeschrumpft, da die Verwaltungsbefugnisse zum allergrößten Teil auf die neuen Spezialbehörden übergegangen waren; doch bewahrten sie von ihren früheren Befugnissen noch die Repräsentation der Landeshoheit sowie die Aufsicht über die Kirchen- und Schulsachen der Provinz. Sie waren noch ebenso wenig bloße Gerichtshöfe, wie die Kriegs- und Domänenkammern bloße Verwaltungsbehörden.

Bei der Zusammenlegung der Kammer- und Kommissariatsbehörden hatte Friedrich Wilhelm absichtlich die beiden Gruppen von Kassen getrennt erhalten, welche einerseits die Domänen- und Regalien-Einkünfte, andererseits die Steuern, die ausschließlich zur Erhaltung des Heeres bestimmt waren, vereinnahmten. Er wollte offenbar verhüten, dass nicht, wie es unter seinem Vorgänger geschehen war, die Kriegsgefälle für Zwecke der Hofhaltung oder sonstige Zivilbedürfnisse Verwendung finden könnten. Es gab daher zwei Generalkassen: die General-Kriegskasse und die General-Domänenkasse, und diesen beiden Kassen entsprachen auch zwei getrennte Etats für den Staatshaushalt: der Militäretat und der Ziviletat. Im Jahre 1714 hatte der König eine General-Rechenkammer eingerichtet, welche die Rechnungen dieser beiden Generalkassen zu prüfen und zugleich die ganze materielle Finanzgebarung und ihre Übereinstimmung mit den Etats zu kontrollieren hatte. An die Spitze dieser Immediatbehörde hatte er den bewährten Auditeur seines Leibregiments Creutz gestellt mit dem aus Frankreich entlehnten Titel eines Generalkontrolleurs der Finanzen. Mit der Begründung des Generaldirektoriums wurde die Stellung dieser Behörde verändert. Die Ober-Rechenkammer, wie nun die Bezeichnung lautete, wurde dem Generaldirektorium untergeordnet, und Creutz selbst, mit dessen Provinzialdepartement die Rechenkammersachen verbunden blieben, wurde einer der dirigierenden Minister in dieser obersten Verwaltungsbehörde. Seitdem hatte die Oberrechenkammer nur noch die Prüfung der Rechnungen aus den Provinzial- und Städtekassen zu besorgen; die verantwortliche Kontrolle der beiden Generalkassen sowie die Aufstellung der Etats lag den dirigierenden Ministern des Generaldirektoriums ob.

Unter den Kriegs- und Domänenkammern waren die Landräte in den Kreisen und die Steuerräte in den Städten als Organe der allgemeinen Landesverwaltung tätig. Die Landräte blieben unter Friedrich Wilhelm I. noch auf die mittleren Provinzen beschränkt, aber der Umfang ihres Geschäftskreises, der anfangs in der Hauptsache nur die Marsch- und Verpflegungssachen der Armee und das Kontributionswesen umfasst hatte, dehnte sich durch eine große Zahl einzelner polizeilicher Aufträge, die ihnen beim Erlass neuer Verordnungen erteilt wurden, allmählich dermaßen aus, dass sie sich zu allgemeinen Landespolizeibehörden und Repräsentanten der königlichen Gewalt in ihren Kreisen entwickelten. Die kreisständische Grundlage des Landratsamtes ging dabei nicht verloren, doch wurde sie, namentlich für einzelne Landesteile, wie Altmark und Magdeburg, vom König geflissentlich in ihrer Bedeutung eingeschränkt, so dass unter seiner Regierung die bureaukratische Seite dieses ursprünglich halb ständischen Amtes stärker hervortrat.

Die Kreise waren damals lediglich ritterschaftliche Gebietskörperschaften; die Städte, mit denen sie im Gemenge lagen, gehörten ebenso wenig zu ihnen, wie die Domänenämter. Auf den Domänenämtern war der Generalpächter als „Beamter“ die zuständige Obrigkeit; die Städte aber standen unter der Aufsicht eines Steuerrates oder Commissarius loci. Um die Wirksamkeit und den Geschäftskreis dieser Beamten, die unter Friedrich Wilhelm I. eine große Bedeutung erhielten, recht zu verstehen, muss man einen Blick werfen auf die Umgestaltung des Städtewesens, die unter dieser Regierung vorgenommen worden ist.

Von alters her bestand fast überall in den Provinzen der preußischen Monarchie in den Städten eine oligarchische Verfassung. Die Stadträte ergänzten sich selbst aus den herrschenden Familien, und da sie meist sehr groß waren, regierten sie in sogenannten wechselnden Mitteln, d. h. umschichtig eine Hälfte um die andere, und zwar unter völligem Ausschluss der Bürgerschaft. Das Stadtregiment wurde nicht sowohl im Sinne einer öffentlichen Pflicht, als vielmehr in dem eines nutzbaren Rechtes der herrschenden Klasse geführt. Emolumente und Akzidenzien aus den städtischen Gütern und Forsten, billige Pachtungen für die Ratsmitglieder und ihre Verwandten, Schmausereien und Gelage auf allgemeine Unkosten gingen überall im Schwange. Die finanzielle Misswirtschaft hatte vielfach zur Überschuldung der Städte geführt. Der lässige Geist dieser alten ständisch-korporativen Selbstverwaltung passte übel zu dem angespannten und akkuraten Wesen des neuen Militärstaats, der es noch nicht verstanden hatte, eine wirksame Kontrolle über die Gemeinden einzurichten.

An Versuchen dazu hatte es allerdings auch früher nicht gefehlt. Schon der Große Kurfürst hatte verschiedene Maßregeln ergriffen, um eine monarchische Reform der Stadtverwaltung in die Wege zu leiten. Mit der Akzise und den Garnisonen waren die Kriegs- und Steuerkommissarien gekommen; man war aufmerksam geworden auf die schlechte Finanzverwaltung der Stadträte und hatte auch versucht, die städtische Ordnungs- und Wirtschaftspolizei zu verbessern. Aber erst die durchgreifende Energie Friedrich Wilhelms l. hat hier nachhaltig Wandel geschaffen. Bald nach seinem Regierungsantritt setzte er in den einzelnen Provinzen Untersuchungskommissionen nieder, die zunächst damit beauftragt wurden, das Schuldenwesen in den Städten zu regeln, und deren Tätigkeit damit endete, das durch sogenannte rathäusliche Reglements die ganze städtische Verfassung und Verwaltung von Grund aus verändert wurde, und zwar in dem Sinne, dass die Städte fortan schlechtweg als Bestandteile des Staates der allgemeinen Verwaltung untergeordnet wurden, wobei ihre kommunale Selbstständigkeit ganz verloren ging.

Einige ganz große Städte, die aus verschiedenen getrennten Gemeinden zusammengesetzt waren, wie Berlin und Königsberg, wurden jetzt zu einer Gemeinde zusammengefasst (Berlin 1709, Königsberg 1724) und unter die Aufsicht und Leitung eines königlichen Stadtpräsidenten gestellt. In allen Städten wurden an Stelle der alten großen Räte kleinere Magistratskollegien eingerichtet, die aus festbesoldeten lebenslänglichen Beamten bestanden und durch den König oder die Behörden ernannt wurden, in der Regel gegen Angebote zur Rekrutenkasse, wodurch die Stellen meist käuflich wurden. Die Bürgerschaft hatte auch jetzt noch nicht viel zu bedeuten; Stadtverordnete, die hier und da wieder erscheinen, waren damals keine gewählten Vertreter der Bürgerschaft, die den Magistrat kontrollierten, sondern mehr Gehilfen des Magistrats aus den Zünften und Stadtvierteln. Polizei und Gericht blieb den Städten, wie herkömmlich, überlassen: die Polizei übte der Magistrat aus, insonderheit einer der gewöhnlich in der Dreizahl erscheinenden Bürgermeister; die Rechtsprechung war geteilt zwischen dem Magistrat, der ebenso wie andere Verwaltungsbehörden eine administrative Jurisdiktion ausübte, und dem Stadtgericht, das die ordentliche Rechtspflege besorgte. Der Hauptpunkt in der Reform bestand in der Regelung der Finanzverwaltung. Die Kämmereigüter und Forsten der Städte wurden fortan wie Domänen behandelt, nach ähnlichen Grundsätzen wie diese verpachtet und jeder Belastung mit Vorzugsberechtigungen der alten regierenden Cliquen entzogen. Die städtische Wirtschaft musste wie die des Staates nach festen Etats geführt werden, die von den Behörden aufgestellt wurden und nicht überschritten werden durften. Eine eigene kommunale Besteuerung wurde in den Städten nicht mehr geduldet; soweit das städtische Grundvermögen nicht ausreichte, die Kosten der Verwaltung zu decken, wurden sogenannte Kompetenzgelder aus den Akziseüberschüssen bewilligt. Die Kontrolle dieser Finanzverwaltung und der ganzen städtischen Polizei, des Markt- und Zunftwesens, der Bau- und Pflastersachen, der Straßenbeleuchtung, des Brunnen- und Abfuhrwesens, der Brot-, Fleisch- und Bierpreise besorgte der Steuerrat in Verbindung mit dem Garnisonkommandeur, der eine ausschlaggebende Stimme in allen Polizeiangelegenheiten der Stadt hatte.

Der Steuerrat hatte einen sogenannten Städtekreis unter sich, d. h. sechs bis zwölf Städte, die er mindestens zweimal im Jahre nacheinander visitieren musste. Ihm war für die Schreibgeschäfte, das Rechnungswesen und die Listenführung ein Kreiskalkulator beigegeben, während ein Polizeiausrenter ihm als Exekutivorgan diente. Der Steuerrat war im Gegensatz zum Landrat ein rein bureaukratischer Beamter, der in keiner Weise in der Selbstverwaltung fußte, sondern lediglich die Staatsautorität darstellte; er ist ein rechter Repräsentant des straffen und oft auch barschen Wesens, das durch Friedrich Wilhelm I. in die Verwaltung eindrang; auch diese Beamten rekrutierten sich großenteils aus alten Regimentsquartiermeistern und Auditeurs.

Fassen wir nun noch einmal das Ganze der Behördenorganisation ins Auge, wie es sich durch die Reformen Friedrich Wilhelms I. gestaltet hatte, so gewahren wir, dass die ursprüngliche Einheit der obersten Behörde, des Geheimen Ratskollegiums, sich aufgelöst hat. Die Domänen- und Steuerverwaltung hat sich seit der Begründung des General-Kriegskommissariats und des General-Finanzdirektoriums, deren Präsidenten anfänglich noch im Geheimen Rat Vortrag zu halten hatten, mehr und mehr aus diesem Kollegium herausgelöst; und vollends seit der Begründung des Generaldirektoriums hat der Zusammenhang ganz aufgehört. Die auswärtigen Angelegenheiten wurden schon längst nicht mehr im Plenum des Geheimen Rates erörtert und waren von Friedrich Wilhelm l. bei seinem Regierungsantritt ausschließlich drei Geheimen Räten anvertraut worden, Ilgen, Printzen und Dohna; nach Ilgens Tode, der sie längere Zeit hindurch allein besorgt hatte, wurde im Jahre 1728 ein besonderes Departement der auswärtigen Affären eingerichtet, in dem drei bis vier Minister nebeneinander tätig waren. Was übrig blieb von den alten Obliegenheiten des Geheimen Rates waren die Justiz- und geistlichen Angelegenheiten. Diese wurden von dem Rumpf des alten Geheimen Rats verwaltet, der auch dessen Namen und Amtslokal beibehielt, so dass man dieses Justiz- und geistliche Departement wohl als einen Geheimen Rat im engeren Sinne bezeichnen kann, während der Geheime Rat im weiteren Sinne damals nur noch den amtsrechtlichen Rahmen darstellte, der alle Minister als Wirkliche Geheime Räte umfasste. Regelmäßige Plenarsitzungen hielt dieser weitere Geheime Rat aber nicht mehr; die Einheit der Verwaltung wurde überhaupt nicht mehr durch eine Zentralbehörde, sondern durch das Kabinett des Königs hergestellt. Die Regierung im Rat, wie sie der Große Kurfürst geführt hatte, verwandelte sich seit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms I. in eine Regierung aus dem Kabinett. Es ist die schärfste Form der Selbstregierung, bei der der Monarch getrennt von seinen Ministern in der Einsamkeit seines Kabinetts die Entscheidungen fällt, deren Ausführung die Behörden zu besorgen haben. Die obersten Behörden befanden sich in Berlin, der König hielt sich gewöhnlich in Potsdam oder in einem seiner Jagdschlösser, besonders oft in Wusterhausen auf. Die Minister mussten ihm ihre Berichte und Vorschläge schriftlich einsenden, er verfügte darauf durch Marginalresolutionen oder durch Kabinettsorders, die seine Sekretäre entwerfen mussten. Durch solche Kabinettsorders wurde seit Friedrich Wilhelm I. der alte preußische Staat regiert. Es war eine Regierungsweise, die ein so ungewöhnliches Maß von Arbeitskraft und Arbeitslust und eine so eindringende Kenntnis der Geschäfte im Großen und Kleinen erforderte, wie sie Friedrich Wilhelm I. besaß, den der Oberpräsident schön einmal Preußens größten Innern König genannt hat.

Der finanzielle Erfolg der Verwaltungsarbeit, die der König mit diesem selbstgeschaffenen Behördenapparat leistete, war durchschlagend. Friedrich Wilhelm I. hat ein Ende gemacht mit den massenhaften Schulden, die immer noch auf den Domänen hafteten. Die Pfandschaften wurden eingelöst, das Kammergut wurde in seinem ganzen Umfange wiederhergestellt. Königliche Eigentumsrechte an Domänenstücken, die durch Pfandschaft oder auf andere Weise in adeligen Besitz geraten waren, wurden wieder geltend gemacht und, wenn es Not tat, durch fiskalische Prozesse behauptet. Namentlich in Ostpreußen war die Gefahr groß, dass der Adel sich eines Teils des Kammerguts bemächtigte. In den benachbarten Ländern, in Polen und in den schwedischen Ostseeprovinzen, war das Kronland auf diese Weise großenteils in die Hände des Adels gekommen. Diese Gefahr wurde in Preußen durch das Eingreifen Friedrich Wilhelms l. verhütet. Der König geriet dadurch freilich in einen scharfen Gegensatz zum Adel, aber er erreichte seinen Zweck. Er nahm auch keinen Anstand, verschuldete Rittergüter aufzukaufen und den Domänenbesitz dadurch zu erweitern; er folgte darin dem Beispiel seines Freundes, des Fürsten Leopold von Anhalt, der fast den ganzen Adel seines kleinen Landes ausgekauft hat. Aber auch durch Urbarmachung wüster Ländereien und durch innere Kolonisation wurde der Domänenbesitz erweitert und im Ertrage gesteigert. Am Ende der Regierung Friedrich Wilhelms I. betrug er etwa ein Drittel des land- und forstwirtschaftlich nutzbaren Bodens im Staate. Die Einkünfte daraus sind von 1713 bis 1740 von 1,8 auf 3,3 Millionen Taler gewachsen. Sie betrugen fast die Hälfte der gesamten Staatseinnahmen. Das war sehr wichtig, weil ohnehin die Steuerkraft des Landes sehr stark in Anspruch genommen werden musste, um die militärische Bereitschaft des Staates zu ermöglichen.

Die Grundsteuern des platten Landes sind unter Friedrich Wilhelm I. endgültig geregelt worden. Den Höhepunkt seiner Bestrebungen auf diesem Felde bildet die Einführung des sogenannten Generalhufenschoßes in Ostpreußen in den Jahren 1716 – 1720. Es handelte sich dabei weniger um eine Erhöhung, als um eine gerechtere und gleichmäßigere Verteilung der Steuern, die früher ein buntes Vielerlei von ziemlich roher Art dargestellt hatten: Hufenschöße, ohne Unterscheidung der Bodenqualität, Kopfschöße für arm und reich, Horn- und Klauenschöße auf das Vieh, eine Tranksteuer von dem auf dem Lande gebrauten Bier. Die ärmeren Klassen der Bevölkerung waren dabei überlastet, die reichen oft über Gebühr geschont worden. Eine eigentliche Steuerfreiheit des Adels gab es allerdings in Ostpreußen nicht: der Orden hatte früher eine solche nicht aufkommen lassen. Aber im Lauf der Zeit hatten sich tatsächlich viele Edelleute von der Steuer zu befreien gewusst; und da die ganze Veranlagung und Steuerverwaltung in den Händen adliger Organe lag, so hatte man ihnen durch die Finger gesehen. Hier griff nun die obenerwähnte Umgestaltung des Steuerwesens durch die Aufhebung des adligen Landkastens ein; und mit ihr zugleich erfolgte jene große materielle Steuerreform, die darauf ausging, auf Grund einer wenn auch rohen Ertragsermittlung alle Grundbesitzer nach gleichem Fuße zu besteuern und so in dem Generalhufenschoß eine einheitliche und gerechte Besteuerungsart an die Stelle jener mannigfaltigen und ungerecht verteilten Lasten zu setzen. Den Vorschlag dazu hatte dem König ein ostpreußischer Gutsbesitzer von tiefen ökonomischen und finanziellen Einsichten und seltener Uneigennützigkeit gemacht, der Graf Truchsess von Waldburg, ein Verwaltungsmann ersten Ranges, der mit Aufopferung seines Vermögens und seiner Gesundheit die Ausführung dieser Reform, die beständige Reisen und viel Unbequemlichkeit und Ärger mit sich brachte, selbst in die Hand genommen hat und zuletzt als Präsident des Kriegskommissariats wie der Amtskammer an der Spitze der ganzen ostpreußischen Verwaltung stand, bis ein früher Tod ihn 1720 von dem in der Hauptsache vollendeten Werke abrief. Er hat im größten Teil des Landes bei dieser Steuerreform den Grundsatz durchgeführt, den Adel ebenso stark heran zuziehen wie die Kölmer und die erbuntertänigen Bauern. Mit den adligen Gutsbesitzern mussten allerdings meist besondere Verträge und Abmachungen vereinbart werden, die auf den bestehenden Zustand Rücksicht nahmen. Aber im Großen und Ganzen hat doch der Generalhufenschoß die Steuerlast sehr viel gleichmäßiger verteilt wie bisher. Eine Menge verschwiegener Hufen wurden jetzt wieder zur Steuer herangezogen, und auch der Ertrag im Ganzen hob sich dadurch bedeutend.

Nicht ganz so gut gelang es bei der Grundsteuerregulierung in Pommern und der Neumark, die 1717 – 1718 und 1719 – 1721 von einer Kommission durchgeführt worden ist, an deren Spitze der General von Blankensee stand. Auch hier hatte der König die Heranziehung des Adels zur Grundsteuer geplant; aber hier bestand ein altes Privilegium der Steuerfreiheit, und der Widerstand gegen dessen Beseitigung war so hartnäckig, das man den Plan fallen lassen musste. Es wurde aber hier ein neues Kataster aufgestellt, das auf dem damals noch ungewöhnlichen Grundsatz beruhte, den Ertrag der Wirtschaft ungefähr zu ermitteln und die Steuer danach zu bemessen.

Einen gewissen Ersatz für die in den meisten Provinzen nicht gelungene Heranziehung des Adels zur Grundsteuer fand der König darin, dass er für die steuerfreien Lehnhufen des Adels in den mittleren Provinzen, namentlich in der Kurmark und in Magdeburg (in Pommern geschah es erst später), bei der Allodifikation der Rittergüter seit 1717 den sogenannten Lehnskanon einführte, der zu 40 Talern auf das Lehnpferd berechnet wurde. Diese Ablösung für den tatsächlich schon längst nicht mehr geleisteten und ganz verschollenen Roßdienst des Adels, die der König ohne die Zustimmung der Beteiligten einzuholen aus eigener Machtvollkommenheit verfügt hatte, wurde von den Rittergutsbesitzern vielfach als eine ungerechtfertigte Belastung empfunden, und der Ersatz, den der König dafür bot, nämlich die Herstellung des freien Eigentums an den Gütern unter Aufhebung der bisherigen lehnrechtlichen Beschränkungen, befriedigte viele umso weniger, als das Erbrecht der Töchter, das lehnrechtlich eigentlich ausgeschlossen sein sollte, vielfach schon früher durch Spezialprivilegien zugestanden war, und die jetzt eintretende Befugnis zur hypothekarischen Belastung manchen als ein Danaergeschenk erschien. Namentlich in der Altmark und in Magdeburg setzte der Adel dieser Reform einen hartnäckigen Widerstand entgegen; es wurde aus diesen Kreisen sogar eine Klage gegen den König beim Reichshofrat angestrengt, die, wie wir oben gesehen haben, dem Kaiser Anlass zu manchen Schikanen bot und das Verhältnis zwischen ihm und dem König von Preußen vergiftete. Trotzdem hat Friedrich Wilhelm I. seinen Willen durchgesetzt; allerdings ließen sich die magdeburgischen Herren jahrelang den fälligen Lehnskanon durch militärische Exekution abpressen; gutwillig gaben sie ihn nicht.

Außer der Kontribution, die also in den meisten Provinzen vom Bauernstand zu tragen war, brachte das militärische System, wie es Friedrich Wilhelm I. vorfand, noch manche Naturallasten mit sich. Die schwerste war für die Bauern die Einquartierung der Kavallerie, die ursprünglich auf dem platten Lande untergebracht war. Friedrich Wilhelm I. hat sie 1718 in die Städte verlegt, und damit trat für die Bauern an die Stelle der Naturaleinquartierungslast eine neue Steuer, die sogenannte Reuterverpflegung, die als Zuschlag zur Kontribution erhoben wurde. Wo starke Kavallerieabteilungen in Quartier gelegen hatten, war dieser Zuschlag entsprechend hoch: in der Kurmark betrug er teilweise bis zu 50 Prozent der Kontribution. In Ostpreußen war er mit in die Anlage zum Generalhufenschoß aufgenommen. Es war eine schwere Last für den Bauer, aber doch noch immer minder drückend, als es die Naturaleinquartierung gewesen war. Denn bei der mangelhaften Aufsicht in den ländlichen Quartieren war der Bauer oft der Willkür des bei ihm einquartierten Reiters ausgesetzt und musste mancherlei Erpressungen von ihm dulden, die nun fortfielen.

Eine drückende Verpflichtung für den Bauer war auch der Vorspann, den er als einen öffentlichen Frondienst gegen eine geringfügige Bezahlung namentlich bei Truppenmärschen und sonstigen militärischen Anlässen zu leisten hatte; auch Beamte und Offiziere hatten bei ihren Dienstreisen Anspruch auf Vorspann durch die Bauern. Um diese und andere ähnliche Lasten wenigstens gleichmäßiger zu verteilen, wurden unter Friedrich Wilhelm I. in den mittleren Provinzen (namentlich Kur- und Neumark) die sogenannten Marsch- und Molestienkassen eingerichtet, in die von jedem einzelnen vorspannpflichtigen Bauern gewisse Beträge nach dem Maßstab der Kontribution eingezahlt werden mussten, wogegen dann eine Entschädigung an diejenigen bezahlt wurde, die wirklich den Vorspann hatten leisten müssen. Diese Kassen überließ man meist den ständischen Organen der Provinzen und Kreise.

In solcher Gestalt ist die Kontributionslast das ganze 18. Jahrhundert hindurch unverändert geblieben. Die grundsätzliche Unveränderlichkeit, die jeden Zuwachs des Ertrags freiließ — ganz anders als die französische Taille —, daneben die ordentliche und gerechte Verwaltung durch scharf kontrollierte königliche Beamte hat die Kontributionslast immerhin noch erträglich gemacht, obwohl sie teilweise sehr schwer war. Sie betrug alles in allem meist gegen 40 Prozent des Reinertrages der bäuerlichen Güter, nahezu so viel wie damals die Taille in Frankreich oder wie heute die Grundsteuer in Ostindien.

Nicht minder schwer waren die Städte durch die Akzise belastet, zu der noch das zur Vergütung der Einquartierungslast erhobene Servisgeld als eine direkte Umlage auf die einzelnen Häuser kam. Eine Reihe von Akziseinstruktionen von 1713 – 1727 hat die Verwaltung überall nach gleichartigen Grundsätzen geregelt, so dass die Akzise im Großen und Ganzen ein einheitlich geordnetes Steuersystem über den ganzen Staat hin darstellte, wenn auch die Tarife der verschiedenen Provinzen noch in manchen Punkten voneinander abwichen und die großen Städte Berlin, Königsberg, Magdeburg noch ihre besonderen Tarife behielten.

Die Bedeutung der Akzise war das ganze 18. Jahrhundert hindurch eine doppelte: einmal für die Finanzen, zweitens für die Handelspolitik. Die Akziseeinkünfte haben bald die größere Hälfte der Steuern ausgemacht; während die Kontribution stabil blieb, ist die Akzise in ihrem Ertrage fortwährend gestiegen. Die Akzise war aber zugleich auch das Mittel für die merkantilistische Schutzzollpolitik, die mit dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms I. beginnt, entschiedenere und nachdrücklichere Form anzunehmen. Ein Grenzzollsystem hatte der preußische Staat im 18. Jahrhundert nicht; seine Grenzen waren zu ungünstig dazu, das Staatsgebiet zu wenig geschlossen und zusammenhängend. So knüpfte denn das Bestreben nach gesteigertem Schutz der einheimischen Arbeit an die Einrichtung der städtischen Torsteuern an. Von Stadt zu Stadt wurden die eingeführten Waren revidiert; die Akzise bezahlten sie am Bestimmungsort. Fremde und einheimische Waren wurden dabei in steigendem Maße unterschiedlich behandelt: die einheimischen bezahlten die gewöhnlichen niedrigen Sätze, die fremden wurden immer höher belastet, je weiter sich die einheimische Industrie entwickelte, mit Sätzen von 15, 20, 25, ja 50 % des Wertes. In den Akzisetarifen steckt also damals zugleich die Handels- und Schutzzollpolitik des preußischen Staates.

Der Staatshaushalt ist unter Friedrich Wilhelm I. erst vollständig und endgültig von dem Hofhalt getrennt worden, mit dem er seit 1697 wieder in unheilvoller Weise vermischt worden war. Der Hofhalt wurde auf bestimmte Geldsummen angewiesen, die aus der Hofstaatskasse gezahlt wurden. Einfachheit und Sparsamkeit traten an die Stelle des Prunks und der Verschwendung. Eine große Zahl der Hofbedienungen und Pensionen, die ihm überflüssig schienen, hat der König gleich nach seinem Regierungsantritt gestrichen. Er selbst begnügte sich für seinen Haushalt, der einen fast bürgerlich einfachen Zuschnitt trug, in der Regel mit der jährlichen Summe von 52.000 Talern. Der Staatshaushalt aber ist seit 1713 in Preußen grundsätzlich ohne Schulden geführt worden. Während in England, in den Niederlanden, in Frankreich, auch schon in Österreich der Staatskredit in steigendem Maße in Anspruch genommen wurde, wurde in Preußen, wo freilich das inländische Kapital noch wenig leistungsfähig war, und auswärtige Anleihen, soweit sie möglich gewesen wären, die Gefahr politischer Abhängigkeit mit sich zu bringen schienen, geflissentlich noch gar kein Gebrauch davon gemacht. Außerordentliche Bedürfnisse, insbesondere beim Ausbruch eines Krieges, sollten nicht durch Anleihen, sondern aus den angehäuften Ersparnissen des Staates gedeckt werden. An die Stelle der Staatsschuld tritt hier der Staatsschatz, der „Tresor“. Das ist der Plan Friedrich Wilhelms l. gewesen schon von Anfang seiner Regierung an; und tatsächlich hat er seinem Nachfolger einen Schatz von fast 8 Millionen Talern hinterlassen, der in Fässern verpackt und zur Fortschaffung bereit in den Kellerräumen des Schlosses lagerte. Die Gesamtsumme der Einnahmen und Ausgaben des preußischen Staatshaushalts hat beim Tode Friedrich Wilhelms I. etwa 7 Millionen Taler betragen. Davon wurden 5 Millionen für militärische Bedürfnisse verbraucht; aus den übrigbleibenden zwei Millionen wurden nicht nur die Kosten für Hof- und Zivilverwaltung bestritten, sondern auch noch Ersparnisse für den Staatsschatz zurückgelegt. In der Erhaltung der Armee und in der Ansammlung eines Kriegsschatzes gipfelte also der gesamte Finanzhaushalt des preußischen Militärstaats.

Die Wohlfahrtsbestrebungen waren in diesem Staate von vornherein den Gesichtspunkten militärisch-politischer Machtentfaltung untergeordnet, aber sie wurden keineswegs vernachlässigt. Friedrich Wilhelm I. wusste sehr wohl, dass der schwere Steuerdruck von der Bevölkerung ohne Schaden für den Staat nur dann ertragen werden konnte, wenn man der wirtschaftlichen Entwicklung mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln nachhalf. Das ist der Sinn seiner Wirtschaftspolitik, die in den Bahnen des damals überall befolgten Systems des sogenannten Merkantilismus sich bewegte. In der Hauptsache war Preußen damals noch ein agrarischer Staat, und dem Landbau ist darum die staatliche Fürsorge in erster Linie zugewandt gewesen. Vor allem der ausgedehnte Domänenbesitz, der in den ostelbischen Provinzen aus güterartigen Vorwerken und Bauerndörfern bestand, war der Schauplatz dieser Tätigkeit für die Landeskultur. Es kam dabei nicht bloß darauf an, die Ertrage stetig zu steigern, sondern zugleich dem ganzen Lande ein Beispiel besserer Wirtschaft zu geben und vor allem auch die Lage der erbuntertänigen und frondienstpflichtigen Bauern nach Möglichkeit zu verbessern. Die „Konservation der Bauern“ war ein wichtiger Gesichtspunkt in der Domänenverwaltung; einem Amtmann, der als Bauernschinder erkannt worden war, wurde der Kontrakt nicht leicht erneuert. Von einer Auflösung des bäuerlichen Abhängigkeitsverhältnisses war auch auf den Domänen damals noch nicht die Rede; aber der König war bemüht, es zu mildern und erträglich zu machen. Er suchte die strengere Form der Leibeigenschaft, wie er es nannte, die namentlich in Ostpreußen und Pommern vorkam, mehr und mehr durch das mildere Erbuntertänigkeitsverhältnis zu ersetzen, wie es in der Kurmark üblich war. Das Prügeln der Bauern wurde verboten; die Frondienste wurden nach Möglichkeit auf drei bis vier Tage in der Woche beschränkt, zum Teil auch schon eine Ablösung der Dienste durch Geld angestrebt. Auf den Rittergütern allerdings haben diese bauernfreundlichen Bestrebungen noch kaum Eingang gefunden.

Ein Hauptpunkt war die großzügige innere Kolonisation, die mit Friedrich Wilhelm I. beginnt. Es handelt sich dabei hauptsächlich um die Provinz Ostpreußen und insbesondere um die litauischen Bezirke, die seit dem Jahre 1700 durch die vom Osten her eingedrungene Pestepidemie so furchtbar gelitten hatten und stark entvölkert waren. Hier hat der König ein großartiges Kulturwerk geschaffen, indem er durch konsequente jahrzehntelang fortgesetzte Maßregeln der Ansiedlung, des Bauens und Besserns, der Unterstützung und Förderung der Kolonisten, großer landwirtschaftlicher Meliorationen das Land wieder in einen blühenden Zustand zu bringen suchte. Nicht nur Dörfer wurden gegründet, sondern auch Städte wie Gumbinnen, Stallupönen und andere. In diesen Zusammenhang gehört auch die Aufnahme der von dem Erzbischof von Salzburg um ihres Glaubens willen vertriebenen Protestanten, die, von Friedrich Wilhelm I. aufgefordert, in großen Zügen mit Weib und Kind, Hab und Gut im Jahre 1732 nach Ostpreußen kamen und dort meist auf den litauischen Domänen angesiedelt worden sind. Fast 20.000 Menschen mit den erwünschtesten moralischen und wirtschaftlichen Eigenschaften hat der König auf diese Weise für seinen Staat gewonnen; und er wusste einen solchen Zuwachs zu schätzen: „Menschen achte vor den größten Reichtum“ ist eins der bezeichnenden Worte, die seine Wirtschaftspolitik charakterisieren. Das „Retablissement“ von Ostpreußen, wie es in der Kanzleisprache hieß, ist eine berühmte, damals viel bewunderte Leistung des königlichen Volkswirts; Friedrich der Große hat als Kronprinz nach einer Bereisung der Provinz im Jahre 1739 an Voltaire darüber in begeisterten, fast überschwänglichen Wendungen geschrieben.

Auch in der Handelspolitik blieben die Bedürfnisse der Landwirtschaft nicht unberücksichtigt. In der Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. liegen die Anfänge eines agrarischen Schutzes gegen ausländische Getreideeinfuhr. Früher hatten die Landwirte immer nur das Interesse verfolgt, bei der Getreideausfuhr und der Verwertung ihrer Produkte überhaupt möglichst wenig durch Staatliche Eingriffe gestört zu werden; jetzt begannen sie seit den Jahren 1721 und 1722, wo sehr reichliche Ernten gewesen waren, namentlich in Ostpreußen und in der Neumark, die Einfuhr von übermäßig billigem Getreide aus Polen als eine Schädigung zu empfinden, und die Domänenpächter konnten ihre Verträge nicht erfüllen, weil der Preis des Getreides, der dabei zu 12½ Groschen für den Scheffel angesetzt war, auf 11½ Groschen fiel. Es wurde daher zunächst ein Schutzzoll von 4 Groschen eingeführt und dann im Jahre 1722 ein Einfuhrverbot für das fremde Getreide erlassen. Der Königsberger Handel, der das polnische Getreide für den Export nicht entbehren konnte, wurde dabei insofern berücksichtigt, als hier das Verbot nur auf den Verbrauch im Inlande beschränkt wurde. Seitdem wurde es mehr und mehr zum allgemeinen Grundsatz, in guten Jahren die Grenze zu schließen, namentlich gegen Mecklenburg, Sachsen und Polen, während in teuren Jahren, wie z. B. von 1738 – 1740, im Interesse der inländischen Verbraucher die Ausfuhr gesperrt wurde.

Eine sehr einschneidende Maßregel, die der Landwirtschaft auferlegt wurde, war das Verbot der Ausfuhr von Rohwolle, das 1718 erging und 1719 auch auf den anfangs noch ausgenommenen Adel erstreckt wurde und das mit drakonischen Strafbestimmungen versehen war. Es verfolgte den Zweck, billigen Rohstoff für die Wollmanufakturen zu schaffen, denen Friedrich Wilhelm I. eine ganz besondere Fürsorge zuwandte, und ist bis 1808 in Geltung geblieben. Um den kleinen Meistern, die für eigene Rechnung arbeiteten, den Wettbewerb mit den großen kaufmännischen Verlagsgeschäften zu ermöglichen, legte der König in allen Städten, wo Tuchmacher vorhanden waren, Wollmagazine an, aus welchen den Meistern der Rohstoff vorschussweise geliefert wurde. Die kaufmännischen Verleger, für deren Betrieb eine staatliche Konzession erforderlich war, erfuhren mancherlei Förderung und Unterstützung, standen aber dafür, wie das ganze Gewerbe, unter staatlicher Aufsicht und Reglementierung, sowohl im Verhältnis zu den Arbeitern wie auch namentlich in Bezug auf den gewerblichen Fabrikationsprozess. Fremde Tuche waren zur Einfuhr verboten; auch die konkurrierenden Baumwollzeuge, die sehr in Mode waren, wurden nicht geduldet; der innere Markt sollte der einheimischen Produktion ausschließlich vorbehalten sein. Das Lagerhaus in Berlin war eine anfangs private, später staatliche Fabrik, in der namentlich die feineren Offizierstuche hergestellt wurden, während das gröbere Zeug für die Soldaten auch anderswo gemacht werden durfte. Eine Zeitlang 1725 – 1738 hat Friedrich Wilhelm durch die „Russische Kompanie“ einen schwunghaften Export von Tuchen nach Russland zur Bekleidung der dortigen Armee ins Werk gesetzt, bis die Konkurrenz der Engländer diesem gewinnreichen Handel ein Ende machte. Mit dem industriell schon stärker entwickelten Nachbarlande Sachsen geriet Preußen durch die allmähliche Erhöhung der Tarife seit 1718 in einen förmlichen Zollkrieg, dem nach zehn Jahren (1728) ein Kommerzienvertrag folgte, durch welchen zwischen den beiden Ländern ein verhältnismäßig freier Handel mit den von ihnen selbst erzeugten Waren eingerichtet wurde, wobei jedoch die Tuchwaren ausgeschlossen blieben und zur Unterscheidung fremder und einheimischer Waren Ursprungszeugnisse gefordert wurden. Dieser Vertrag hat bis zum Jahre 1755 bestanden. Die fremden „hochimpostierten“ Waren, die in den Städten bei der Akzise verzollt werden mussten, wurden durch ein Edikt von 1734, um Unterschleif zu verhüten, für das platte Land gänzlich verboten; die Polizeiausrenter hatten darauf zu achten. Von 1725 – 1733 war ein lebhafter Aufschwung in den Geschäften zu spüren; seit 1737 litten sie unter einer Geld- und Absatzkrisis, die auch noch nach 1740 ein paar Jahre fortdauerte. So weit ist Preußen unter Friedrich Wilhelm I. noch nicht gekommen, dass es eine aktive Handelsbilanz gehabt hätte; die Einfuhr vom Ausland übertraf noch an Wert beträchtlich die Ausfuhr; die Entwicklung der inneren Produktivkräfte des Staates stand erst in den Anfängen.

Neben den Manufakturen spielte das alte Zunfthandwerk noch eine bedeutende Rolle, und die zeitgemäße Umgestaltung der Ordnungen, unter denen es lebte, ist eine der wichtigsten Regierungshandlungen Friedrich Wilhelms I., die mit der Reform der Stadtverwaltung in einem gewissen Zusammenhange steht.

Seit dem Verfall der Stadtwirtschaftspolitik waren die Zünfte vielfach entartet und wurden von einem engherzigen Privilegiengeist beherrscht. Die Zahl der Meister war vielfach eine geschlossene; Meister zu werden war sehr erschwert durch das übermäßig teure Meisterstück, durch die langen „Mutjahre“ des Bewerbers, durch das hohe Eintrittsgeld in die Zunft, oft auch durch die Notwendigkeit, ein Haus oder eine Verkaufsbank zu erwerben oder auch wohl durch das Verlangen der Zunft, dass der neue Meister eine Meistertochter oder Meisterwitwe heiraten müsse. Viele Zünfte stritten miteinander um die Grenzen ihrer Befugnisse; es gab geldfressende Prozesse darüber, ob eine bestimmte Art von Arbeit dieser oder jener Zunft zugehöre. Die Ansammlung von unzünftigen Handwerkern auf dem platten Lande außerhalb der Stadtmauern und in den Dörfern gab Veranlassung zu Ruhestörungen durch das Vorgehen der Zünfte gegen diese Konkurrenten, die Jagd auf Pfuscher und Bönhasen. Das Lehrlingswesen litt an einem übertriebenen Pennalismus; die alten, derben, humorvollen Gebräuche bei der Aufnahme als Geselle waren vielfach in Rohheit und Unsinn ausgeartet, das Wandern der Gesellen war vielfach zur Vagabondage geworden, da gar keine Kontrolle über sie geübt wurde, der blaue Montag grassierte überall; die Gesellenverbände traten oft sehr unbotmäßig gegen die Meister auf, organisierten Streiks und erregten ernsthafte Unruhen, wie z. B. die Schuhknechte in Augsburg und anderswo in der Zeit von 1720 – 30.

Diese Missbräuche waren längst allgemein anerkannt; aber die territoriale Gesetzgebung und Polizei waren machtlos dagegen, da die Zünfte der einzelnen Gewerbe vielfach über das ganze Reich hin einen festen Zusammenhang besaßen, und die wandernden Gesellen vollends sich leicht dem Arm der territorialen Polizei entziehen konnten. Es bedurfte eines allgemeinen Reichsgesetzes, das freilich bei dem Mangel an Reichsorganen nur durch die territorialen Gewalten zur Ausführung gebracht werden konnte.

Der erste Versuch dazu war schon 1668 – 1772 gemacht worden: ein Reichsgutachten von 1672 stellte brauchbare Normen für die Reform des Zunftwesens auf; aber es war nicht zum förmlichen Reichsgesetz geworden, und seine Ausführung in den Territorien, auch in Brandenburg, war auf unüberwindliche Schwierigkeiten gestoßen. Erst seit der Städtereform Friedrich Wilhelms I. und seit man in den Kammern und Steuerräten wirksame Aufsichtsorgane besaß, konnte die Sache mit besserer Aussicht auf Erfolg in Angriff genommen werden. Auf Betreiben Friedrich Wilhelms I. kam 1731 am Reichstag in Regensburg ein wirkliches Reichsgesetz über das Zunftwesen zustande, das auf jenem früheren Reichsgutachten beruhte und nun allgemein als Grundlage dienen sollte. Den Territorialfürsten blieb dabei die Freiheit, dies Recht nach Ermessen zu mehren oder zu mindern.

Auf Grund dieses Reichsgesetzes wurden nun in Preußen von 1732 – 35 alle Privilegien und Gildebriefe der Zünfte über den ganzen Staat hin revidiert und umgeändert. Das Resultat war die Herstellung eines neuen staatlichen Gewerberechts unter Beseitigung der bisherigen Missbräuche, aber auch unter Beseitigung der bisherigen Selbstständigkeit der Zünfte, die nun unter strenge obrigkeitliche Aufsicht kamen. Das System der über die Staatsgrenzen hinweg zusammenhängenden Haupt- und Nebenladen in den verschiedenen Gewerben wurde zerrissen, um eine staatliche Gewerbepolizei herzustellen. Die Gesellenverbände wurden aufgehoben. Es wurde keine Jurisdiktion der Zünfte und der Gesellenbruderschaften mehr geduldet. Von Stadt zu Stadt herrschte innerhalb des Staates Freizügigkeit. Für die wandernden Gesellen wurden die sogenannten Kundschaften als Ausweispapiere eingeführt. An allen Besprechungen der Zünfte nahm ein Gewerksassessor aus dem Magistrat teil. Die geschlossene Meisterzahl wurde bei allen Zünften abgeschafft. Die Regulierung der Konkurrenz ging aus den Händen der Zünfte in die der Obrigkeit über; unzünftige Freimeister wurden von ihr angesetzt, wo ein Bedürfnis vorhanden war. Die um die Grenzen ihrer Befugnisse streitenden Zünfte wurden vereinigt; die Frage der Landhandwerker wurde so geregelt, dass nur Müller, Schmiede, Stellmacher, Schneider und Leineweber in den Dörfern geduldet wurden. Der blaue Montag wurde abgeschafft, ebenso die Aufnahmeformalitäten bei der Lossprechung der Lehrlinge, das teure Meisterstück, die hohen Eintrittsgelder usw. Ein nüchterner rationalistischer Geist verdrängte die Ausartungen der alten sinnreichen, poetischen Zunftgebräuche, die zu Unsinn und Plage geworden waren; das ganze Zunftwesen bekam einen zahmeren Zug und engeren Spielraum für seine Betätigung; doch konnte es immerhin noch für die Erziehung der Lehrlinge, für die Erhaltung eines genossenschaftlichen Standesgeistes, für Arbeitsvermittlung und Hilfskassenwesen ersprießlich wirken; nur hatten die Zünfte ihre Selbstständigkeit verloren und waren zu örtlichen Organen einer staatlichen Gewerbepolizei geworden.

Es lag in der Natur eines Staates, der hauptsächlich auf die Entwicklung der politischen Machtmittel gestellt war, dass diejenigen Zweige der öffentlichen Verwaltung, die in der territorialen Zeit an erster Stelle gestanden hatten, Justiz und Kirchenwesen, jetzt an Bedeutung hinter Militär, Finanz- und Wirtschaftspolitik zurücktraten. Friedrich Wilhelm I. war von einem brennenden Justizeifer beseelt und einem praktischen Christentum mit ganzem Herzen zugewandt; aber die Kulturaufgaben, die es auf diesen Gebieten für die Staatsverwaltung gab, konnten nur in beschränktem Maße gelöst werden und mussten namentlich überall da, wo zu ihrer Lösung erhebliche Geldmittel nötig waren, zurücktreten vor der ersten und dringendsten Forderung der Zeit: der militärisch-finanziellen Bereitschaft.

Die Mängel im Justizwesen des preußischen Staates, die fast sämtlich daher rührten, das die alten territorialen Einrichtungen noch nicht im großstaatlichen Sinne umgestaltet und daher in Verfall geraten waren, sind Friedrich Wilhelm I. keineswegs unbekannt geblieben. Er war empört über die Verschleppung der Prozesse, die er namentlich den Schikanen der Anwälte zuschrieb, und wünschte eine Reform des Prozessverfahrens, die es möglich machen sollte, jeden Prozess in allen drei Instanzen in einem Jahre zu Ende zu bringen. Die Herstellung eines einheitlichen preußischen Landrechts war eine alte Forderung, die schon durch Leibniz seit 1701 auf die Bahn gebracht worden war. Bald nach dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms I. wurde die Juristenfakultät zu Halle mit Vorarbeiten dazu beauftragt, aber das Werk kam nicht zustande. Auch der Justizminister von Plotho, dem der König die Sache der Reform ans Herz gelegt hatte, kam damit nicht vorwärts. Dagegen zog zu Anfang der zwanziger Jahre der Mann die Augen des Königs auf sich, dem es beschieden war, unter seinem Nachfolger wenigstens einen Teil der notwendigen Reformen zu vollenden: Samuel von Cocceji. Auch dessen Leistungen knüpfen an das ostpreußische Retablissement an, von dem so viele fruchtbare Anregungen für die Verwaltung der Gesamtmonarchie ausgegangen sind. Er hatte das Gerichtswesen von Ostpreußen in Ordnung gebracht und das alte ostpreußische Landrecht, eine der wenigen provinziellen Kodifikationen, die es im preußischen Staate gab, in modernisierter Gestalt 1721 neu herausgegeben. Cocceji wurde der Mann, auf den der König seine Hoffnungen setzte. Er wurde 1737 zum Ministre Chef de Justice ernannt, was insofern eine epochemachende Bedeutung hatte, als das vielköpfige Justizministerium damit ein einheitliches Oberhaupt bekam, und zwar ein solches, das nicht mehr mit dem Vorsitz in einem der hohen Gerichtshöfe belastet war, sondern sich ganz den Aufgaben der Justizverwaltung widmen konnte. In dieser Stellung hat Cocceji das Werk der Reform angegriffen; aber schon nach den ersten Schritten kam es wieder ins Stocken. Die Gegner, an denen es natürlich nicht fehlen konnte, gewannen das Ohr des Königs, dessen Vertrauen auf den Mann seiner Wahl doch nicht so stark war, dass er ihn ungestört hätte fortarbeiten lassen. Die Reformen im Sportelwesen mit denen Cocceji begonnen hatte, wurden wieder aufgehoben; sein Ansehen war erschüttert, und es ist bis 1740 nichts von dem erreicht worden, was man bei dieser Reform beabsichtigte. Der Advokatenstand, der das Missfallen des Königs in besonderem Maße erregt hatte, war in seinem öffentlichen Ansehen sehr dadurch geschädigt worden, das seinen Angehörigen bei strenger Strafe anbefohlen war, als Standestracht ein lächerlich wirkendes kurzes Mäntelchen zu tragen; der König meinte wohl, dass sich die Leute dann besser vor diesen gefährlichen Subjekten hüten könnten. Zur Erhöhung der Standesmoral und zur Besserung der Rechtspflege diente die Maßregel natürlich nicht.

Nur auf dem Gebiet der Strafrechtspflege hat die Regierung Friedrich Wilhelms I. eine durchgreifende Besserung zustande gebracht, durch die Kriminalordnung von 1717, die zuerst für die Mark Brandenburg erlassen wurde, dann aber auch für die anderen Provinzen Geltung erlangt hat. Es handelte sich dabei um die Regelung des gemeinrechtlichen Inquisitionsprozesses, bei dem die Delinquenten von den patrimonialen oder städtischen Ortsgerichten, unter Umständen auch mit Anwendung der Folter, dem peinlichen Verhör unterzogen und die aus dieser Inquisition erwachsenen Akten einem Schöffenstuhl oder einer Juristenfakultät, auch außer Landes, zum Urteilsspruch zugesandt wurden, worauf dann das lediglich auf Grund der Akten gefällte Urteil dem inquirierenden Gericht übersandt und von ihm ohne weiteres vollstreckt wurde. Die Staatsaufsicht fehlte in diesem Zweige der Rechtspflege so gut wie ganz; und diesen Mangel hat Friedrich Wilhelm I. abgestellt. statt der zum Teil ausländischen Schöffenstühle und Juristenfakultäten, die bisher das Urteil gesprochen hatten, wurden bei den Provinzialregierungen besondere Kriminalkollegien begründet, denen diese Aufgabe zufiel, und außerdem wurde angeordnet, das in allen schweren Fällen, wo es auf Leibes- und Lebensstrafe ankam, mit Einschluss der Zwischenurteile auf Anwendung der Folter, die Akten nach Berlin geschickt werden mussten, wo das Urteil im Kriminaldepartement des Justizministeriums endgültig festgestellt wurde, nachdem ein in Berlin bestelltes Kriminalkollegium die Akten geprüft und ein rechtliches Gutachten darüber abgegeben hatte. Die Kriminalstrafen sind unter Friedrich Wilhelm I. noch erheblich verschärft worden: Kindesmörderinnen sollten gesäckt, Diebe gehängt werden; von einer Milderung der alten harten Strafen der peinlichen Halsgerichtsordnung Karls V., wie sie eine humane, ausgeklärte Richtung in der Jurisprudenz damals schon forderte, blieb man noch weit entfernt.

Das Kirchenregiment hat Friedrich Wilhelm I. in dem Sinne geführt, dass er eine Vereinigung von Lutheranern und Reformierten anstrebte. Er selbst war und blieb reformiert wie seine Vorfahren, aber er hatte eine besondere Zuneigung für die neu aufgekommene undogmatische Richtung des sogenannten Pietismus; der jüngere Francke, der die Richtung seines Vaters fortsetzte, war ein Prediger nach seinem Herzen. Die geistlichen Kontroversen auf den Kanzeln verbot er wie der Große Kurfürst; von der Gnadenwahl sollte nicht gesprochen werden: dieses Dogma des orthodoxen Calvinismus verwarf er ganz und gar. Auch in seiner Politik ist ein evangelischer Zug. Die Aufnahme der Salzburger erfolgte nicht nur, um die Bevölkerung und die Landeskultur zu heben, sondern auch aus warmem Mitgefühl für die bedrängten Glaubensgenossen. Die Vorgänge in Thorn im Jahre 1724, wo Ausschreitungen der protestantischen Bürgerschaft gegen eine von den Jesuiten geleitete Prozession auf deren Betreiben durch Bluturteile von unerhörter Schärfe gegen den Bürgermeister Rösner und eine Anzahl von Ratsherren und Bürgern gerächt werden sollte, waren eine Zeitlang der Hauptgegenstand seiner politischen Bemühungen. Ein Schrei der Entrüstung ging damals durch die protestantische Welt, und Friedrich Wilhelm I. trat als Vorkämpfer für ihre Interessen auf. Er bemühte sich, alle protestantischen Höfe in Bewegung zu setzen; er protestierte bei König August von Polen mit Berufung auf den Frieden von Oliva, der die Rechte der Protestanten schützte; er trat in Verbindung mit dem Zaren Peter dem Großen, der in der zunehmenden Macht der Jesuiten in Polen eine Gefahr sah. Aber August der Starke erklärte, das ihm in Polen ein Begnadigungsrecht nicht zustehe; die Bluturteile wurden vollstreckt, ehe man hindernd eingreifen konnte; die protestantischen Höfe in Deutschland zeigten sich lau, und 1725 starb auch Peter der Große, ohne den ein politisches Einschreiten nicht möglich war. Das Thorner Blutbad blieb ungesühnt; die Jesuiten triumphierten; für Friedrich Wilhelm I. aber bedeutete dieser Ausgang der Sache einen schweren Kummer.

Friedrich Wilhelm I. selbst übte gegen die Katholiken noch erheblich mehr Duldung als der Große Kurfürst. Die vielen katholischen Soldaten in seiner Armee gaben ihm Anlass, das Bedürfnis nach katholischer Seelsorge zu befriedigen. Nur die Jesuiten wollte der König in seinen Landen niemals dulden. Die Erfahrung von Thorn hat seine tiefe Abneigung gegen sie noch vermehrt. Seine Beamten sollten reformiert oder lutherisch sein. Irgendwelche Einmischung der geistlichen Gewalt in die weltlichen Angelegenheiten duldete er nicht. Die Fiskale, die alle Gesetzesübertretungen anzuzeigen hatten, mussten auch darauf achthaben, dass in den Predigten nichts vorkam, was gegen die Regierungsart gerichtet war. Den Kirchenbau hat der König ganz besonders in Litauen, bei dem ostpreußischen Retablissement, in großartiger Weise gefördert; und mit den Kirchen zusammen entstanden hier in dem wüsten, unkultivierten Lande auch eine Menge von Dorfschulen; ein sogenannter Mons pietatis von 50.000 Talern wurde zu deren Unterhaltung gewidmet; denn der König, angeregt durch eine Predigt des trefflichen Lysius, sagte sich: „Wenn ich baue und bessere, und mache keine Christen, so hilft es mir nit.“ Schule und Kirche blieben eng miteinander verbunden. Es war ein Fortwirken des Geistes der Reformation, was damals die preußische Volksschule in ihren Anfängen gefördert hat. Dem bekannten Edikt von 1717, durch welches bei Strafe befohlen wurde, die Kinder zur Schule zu halten, darf man keine übertriebene Bedeutung beilegen. Es war eine alte Forderung der protestantischen Landesobrigkeiten, die darin zum Ausdruck kam, und die Wirkungen dieser Verordnung können nicht groß gewesen sein; denn ein Edikt vom Jahre 1736 stellt fest, dass man sich selbst in der Kurmark wenig danach gerichtet habe. Von einer wirklich allgemeinen Schulpflicht konnte noch keine Rede sein, weil jene Bestimmung nur für die Orte Geltung haben sollte, wo bereits Schulen bestanden, was noch keineswegs überall der Fall war. Auch die Leistungen der damaligen Volksschule wird man sich nicht allzu groß vorzustellen haben. Es kam in der Hauptsache darauf an, dass die Kinder lesen lernten und im Christentum unterrichtet wurden; schreiben und gar rechnen lernten sie nicht überall. Es fehlte an Lehrern und noch mehr an Besoldungen für sie; häufig besorgte der Schneider im Dorfe die Schule neben seinem Handwerk; auch Militärinvaliden mussten zuweilen das Amt des Schulmeisters übernehmen. Es war schon etwas großes, wenn es gelang, einen regelmäßigen Unterricht nicht nur im Winter, sondern auch im Sommer durchzuführen, wo die Eltern die Arbeitskraft ihrer Kinder ungern entbehren mochten und auch der Lehrer selbst oft mit Landarbeit beschäftigt war. Man sieht: der preußische Militärstaat Friedrich Wilhelms I. lies nur geringen Raum für die Kulturpflege, die freilich auch in anderen deutschen Landen damals keine glänzenderen Resultate aufzuweisen hatte; aber man legte dort wenigstens die festen Fundamente für spätere Zeiten, in denen sich der große Grundsatz der allgemeinen Schulpflicht ebenso wie der der allgemeinen Wehrpflicht erst voll verwirklichen sollte.

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