7.2 Im spanischen Erbfolgekriege und im nordischen Kriege
König Friedrich I. hatte sich mit dem Krontraktat noch keineswegs die Hände völlig gebunden. Er hatte sich zu einer Waffenhilfe in Stärke von 8.000 Mann für Österreich verpflichtet; seine Armee aber betrug insgesamt über 30.000 Mann; den größeren Teil davon hatte er also noch in der Hand. Es hatte nahe gelegen, dass er diese militärische Macht dazu verwandt hätte, um in den großen nordischen Verwicklungen, die gleichzeitig mit dem Spanischen Erbfolgekrieg ausgebrochen waren, eine Stellung zu nehmen, wie sie den Interessen seines Staates entsprach. Das ist aber nicht geschehen. Die preußische Heeresmacht ist vielmehr ganz für den Krieg im Westen gebraucht worden, in dem es sich doch im Wesentlichen um Interessen handelte, die den preußischen Staat wenig oder gar nichts angingen. Diese Politik findet ihre Erklärung durch die Tatsache, dass die brandenburgische Armee noch nicht ohne Subsidien erhalten und zur Kriegführung gebraucht werden konnte, und das Subsidien wohl von den Niederlanden und Spanien, aber nicht von Polen, Russland oder Schweden zu erwarten waren. Außerdem verstand sich für Friedrich III. der Anschluss an England und die Niederlande von selbst, weil er der allgemeinen protestantischen Sache diente. Sein reformierter Glaubenseifer, der ihn freilich nicht verhinderte, eine Union der beiden evangelischen Bekenntnisse ins Auge zu fassen, war größer, als man gewöhnlich angenommen hat, und der Gegensatz gegen die katholischen Restaurationstendenzen wirkte in ihm als politisches Prinzip. Daneben aber sind auch wohl die Aussichten auf die oranische Erbschaft maßgebend gewesen. Wilhelm III. von Oranien hatte keine Kinder, und König Friedrich war sein nächster Verwandter. Die Nachfolge in England und in den niederländischen Statthaltereien war auch für das Haus Brandenburg nicht von vornherein ausgeschlossen; aber zu eigentlichen politischen Plänen haben sich diese Aussichten freilich nicht verdichtet. Von größerer praktischer Bedeutung war die Frage der Erbfolge in den oranischen Hausbesitz, der aus sehr bedeutenden, weit verstreuten Herrschaften auf deutschem, burgundisch-niederländischem und französischem Gebiet zusammengesetzt war. Vor allem gehörte dazu das Fürstentum Orange im Rhonegebiet, von dem das Haus seinen Namen führte und nach dem Ludwig XIV. schon längst seine Hand ausgestreckt hatte. Der Große Kurfürst hatte es seinem Neffen Wilhelm III. vergeblich zu erhalten gesucht, und es war wohl kaum Aussicht vorhanden, dass es nach dessen Tode vor der dauernden Einverleibung in Frankreich bewahrt blieb. Zum Deutschen Reiche gehörte das Fürstentum Mörs, das an Cleve grenzte, und die Grafschaft Lingen, die in Westfalen, in der Nähe von Ravensberg, lag. Auf schweizerischem Boden gehörte den Oraniern das Fürstentum Neuchâtel mit der Grafschaft Valengin; in den Niederlanden, den protestantischen wie den katholischen, spanischen, besaßen sie eine Anzahl von Gütern und Herrschaften, darunter bedeutende Städte, wie Grave, Breda, Gertruydenberg; ebenso in Burgund und in der Franche-Comté. Diesen ganzen oranischen Hausbesitz nahm für den Todesfall Wilhelms III. der preußische König als dessen nächster Verwandter, als Sohn einer Tochter Friedrich Heinrichs von Oranien, in Anspruch. Auch um dieser oranischen Erbschaft willen hat er sich seit 1700 in den Dienst der „Seemächte“ und ihrer Interessen gestellt. Wilhelm III. hat sich die Hilfe des preußischen Königs gern gefallen lassen und sich gehütet, seine Illusionen zu zerstören; erst nach seinem Tode 1702 kam heraus, dass er durch ein Testament nicht den preußischen König, sondern einen weitläufigen Seitenverwandten, den Grafen von Nassau-Diez, zum Universalerben eingesetzt hatte. Dies Testament nun hat König Friedrich angefochten. Es entspinnt sich von da her ein langer Streit um die oranische Erbschaft, der erst unter Friedrich Wilhelm I., im Jahre 1732, zu Ende gekommen ist. Die preußische Politik aber beharrte auch jetzt noch in der eingeschlagenen Bahn, sie suchte von den Wechselfällen des Krieges nach Möglichkeit für die Erbschaftsangelegenheit Nutzen zu ziehen, was aber nur in sehr unvollkommenem Maße gelungen ist. Am 30. Dezember 1701 ist Preußen der großen Allianz gegen Frankreich beigetreten und ist ihr treu geblieben bis zum Frieden von Utrecht (1713). Fast auf allen Schlachtfeldern dieses großen Krieges finden wir preußische Truppen, nicht in geschlossener Masse, sondern verzettelt in einzelnen Korps, was die Bedeutung der preußischen Waffenhilfe nicht voll hervortreten ließ. Bei Höchstädt haben preußische Truppen unter Leopold von Anhalt das besondere Lob des Prinzen Eugen und des Herzogs von Marlborongh sich verdient, wenn es auch übertrieben ist, ihnen die eigentliche Entscheidung des Tages zuzuschreiben. Auch in Italien und in den Niederlanden haben sie gefochten: bei Turin, bei Cassano, bei Ramillies, bei Malplaquet haben sie sich gut gehalten; sie haben ihren Anteil an der Eroberung Neapels und an der Besetzung des Kirchenstaates gehabt. Es ist schon darauf hingewiesen worden, welche Rolle die Subsidien in diesem Kriege gespielt haben. In dieser Hinsicht lagen die Dinge noch ähnlich wie unter dem Großen Kurfürsten — nur, das dieser es immer verstanden hatte, trotz der Subsidientraktate in der Hauptsache doch die eigenen Interessen seines Staates zur Richtschnur seiner Politik zu machen, während Friedrich I. ungefähr zu dem geworden ist, was sein großer Enkel verächtlich einen roi mercenaire genannt hat.
Dem entsprach seine politische Geltung in den Augen der Verbündeten. Er galt als bloße „Auxiliarmacht“, ohne eigene politische Interessen, ohne die Berechtigung, besondere politische Forderungen beim Friedensschluss geltend zu machen. Unter diesen Umständen musste es noch als ein unverhofftes Glück erscheinen, wenn Preußen in dem Utrechter Frieden — außer der Anerkennung seiner Königskrone durch Frankreich — auch noch einen bescheidenen Landgewinn davontrug: nämlich das sogenannte Oberquartier von Geldern, das bei dem katholischen, spanischen Teil der Niederlande geblieben war, während der Hauptteil der Landschaft im Freiheitskriege der protestantischen Union sich angeschlossen hatte — mit den Städten Geldern, Wachtendonck, Venloe, Roermonde, und außerdem wenigstens einen Teil der oranischen Erbschaft. Die deutschen Besitzungen des oranischen Hauses, Mörs und Lingen, hatte Preußen schon gleich nach dem Tode Wilhelms III. in Besitz genommen, und es war darin auch vom Reichshofrat geschützt worden; freilich ist es erst 1712 gelungen, die niederländische Garnison, die in Mörs lag, zu entfernen und damit die Stadt zum Gehorsam zu bringen. Neuchâtel war 1707 erworben worden. In den nächsten Jahren, namentlich bei den Verhandlungen von 1709, hat dann Preußen auch dafür zu wirken gesucht, das die benachbarte Freigrafschaft Burgund, die 1678 von Spanien an Frankreich abgetreten worden war, als altes deutsches Gebiet wieder zum Reiche komme, und zwar als österreichischer Besitz. Dann hätte Preußen die oranischen Herrschaften in diesem Gebiet, die sich gut an das neu erworbene Neuchâtel anschlossen, wahrscheinlich behalten können, während bei der Zugehörigkeit des Landes zu Frankreich jede Möglichkeit dazu ausgeschlossen schien. Dass die preußische Politik damals noch weiter gegangen sei und geradezu eine Erwerbung der Freigrafschaft selbst für das brandenburgische Haus ins Auge gefasst habe, ist eine Behauptung, die nicht durch genügende Beweise gestützt wird. Jedenfalls blieb die Franche-Comté französisch, und die oranischen Besitzungen in diesem Lande hat Preußen so wenig zu erlangen vermocht wie das Fürstentum Orange. Die andern schon in Besitz genommenen Gebiete aber behielt es in dem Frieden von Utrecht; dazu hat es dann schließlich bei der Beendigung des Streites 1732 noch einige Besitzungen in den Niederlanden erhalten, den nördlichen und den südlichen, die aber Friedrich der Große bei der ersten Gelegenheit an die Mächte verkauft hat, von deren Gebiet sie eingeschlossen waren.
Trotz dieser Erwerbungen und trotz der erfolgreichen Bekämpfung des französischen Übergewichts und der katholischen Restaurationsbestrebungen, die eine Folge dieses Krieges im Westen gewesen sind, wird man sich doch kaum der Einsicht verschließen können, das ein größerer politischer Gewinn im Osten zu holen gewesen wäre, wenn Preußen dort tatkräftig hätte eingreifen können; denn dort haben sich in diesen Jahren die bedeutendsten Umwälzungen vollzogen, die das preußische Interesse auf das unmittelbarste und empfindlichste berührten: das polnische Preußen oder das schwedische Pommern war der Kaufpreis, um den es sich hier handelte. Aber während Preußen im Westen seine Truppen kämpfen lies, ohne eigentlich selbständige Politik großen Stils zu treiben, hat es im Osten versucht, Politik zu treiben ohne den Nachdruck, den die Entfaltung militärischer Kräfte verleiht. Seine beständigen Verhandlungen, namentlich mit Schweden, sind ohne Bedeutung und Resultat geblieben, weil hinter ihnen nicht der Wille zu kriegerischen Taten stand. Alle Gelegenheiten zum Eingreifen in den nordischen Krieg sind versäumt worden, so 1701 und 1705, wo Marlborongh es verstanden hat, die sonst für den Osten verfügbaren Truppen vielmehr für den italienischen Kriegsschauplatz zu gewinnen. Und auch im Jahre 1707, wo Karl XII. Schlesien und Sachsen unter seine Botmäßigkeit gebracht hatte, wo Preußen einen sogenannten Ewigen Bund mit ihm schloss, der eine Hilfe von 6.000 Mann preußischer Truppen zur Aufrechterhaltung des Westfälischen Friedens und der evangelischen Interessen ins Auge fasste — selbst damals ist es zu einem wirklichen Eingreifen Preußens in den nordischen Krieg nicht gekommen; die finanziellen Schwierigkeiten stehen dabei im Hintergrunde. An großartigen Entwürfen hat es freilich nicht gefehlt. Es tauchte ein Projekt auf, Schlesien und Westpreußen zu erwerben; auf die Erwerbung Westpreußens mit Danzig hatte schon 1700 der Geheime Rat Fuchs die preußische Königskrone begründen wollen. Aber der Geist des großen Kurfürsten, der aus diesen Entwürfen hervorblickt, war nicht in seinem Nachfolger; er hat alle diese Pläne abgewiesen; sie reizten ihn nicht.
Man hat von jeher bemerkt, wie seltsam es ist, das die beiden großen Kriege im Westen und im Osten des europäischen Staatensystems nebeneinander hergegangen sind, ohne zu einem allgemeinen europäischen Kriege zusammenzufließen. Der Grund hierfür liegt in der Unfertigkeit des europäischen Staatensystems. Die Diplomatie umspannte zwar schon die Ereignisse vom Westen und Süden bis in den äußersten Osten und Norden, aber der verbindende Staat zwischen der West- und Osthälfte, Preußen, war noch zu schwach, um seine Interessen nach beiden Seiten hin wahrzunehmen und damit eine Vermischung der beiden Kriege herbeizuführen. Andererseits hatten die Seemächte, nachdem die ersten entscheidenden Schläge zu ihren Gunsten gefallen waren, ein Interesse daran, dass Herüberschlagen der Kriegsflamme aus dem Osten zu verhüten, weil dies unter Umständen dem französischen Gegner hätte zugutekommen können. In diesem Sinne haben die Verbündeten auch auf die preußische Politik eingewirkt. Dagegen hätte Ludwig XIV. gern mit Karl XII. angeknüpft, namentlich zu der Zeit, wo er in Sachsen stand; doch ist dieser Versuch an der persönlichen Abneigung des Schwedenkönigs gegen Ludwig XIV. und an seiner festen protestantischen Gesinnung gescheitert. Die größte Gefahr einer Vermischung der beiden Kriege und zugleich die nächste Veranlassung zu einem Eingreifen der preußischen Politik lag in den deutschen Besitzungen Schwedens. Das nördliche Deutschland, über das sie zerstreut waren, ist daher auf Veranlassung der Seemächte durch das Haager Konzert vom März und Mai 1710, dem auch der Kaiser beitrat, für neutral erklärt worden, freilich ohne dass man diese Neutralität durch eine Truppenaufstellung gesichert hätte. Sie ist denn auch keineswegs von den kriegführenden Mächten beachtet worden: Karl XII. hat von der Türkei aus dagegen protestiert, und im August 1711 sind 24.000 Mann Russen, Sachsen und Polen in das schwedische Pommern eingebrochen. Sie haben dabei Hinterpommern durchzogen, obwohl Preußen neutral blieb. Auch das hat den König nicht zu kriegerischem Eingreifen veranlasst. Seine Truppen kämpften damals in den Niederlanden und in Italien; noch 1711 hatte Prinz Eugen in besonderer Mission ihre Verwendung für diese Kriegsschauplätze in Berlin durchgesetzt. Die Milizeinrichtungen, die man seit 1701 und namentlich seit 1704 in Preußen getroffen hatte, haben sich nicht bewährt. Eine zu politischen Zwecken verwendbare Feldarmee bildeten diese sogenannten Nationalregimenter nicht. Die Schweden wurden in den nächsten Jahren ganz aus diesen deutschen Ländern verdrängt und 1713 völlig geschlagen; Russen, Polen und Sachsen dominierten seitdem in Norddeutschland; und auch Preußen war, wie Friedrich I. klagte, der Diskretion dieser fremden Völker überliefert. So war die Lage, als Friedrich I. starb und Friedrich Wilhelm I. zur Regierung gelangte (25. Februar 1713).
Unter dem jungen, 24 jährigen Herrscher, dessen Einfluss auf die Wandlungen der inneren Regierung in den letzten Jahren seines Vaters schon angedeutet worden ist, zog ein neuer Geist am preußischen Hofe wie in Politik und Verwaltung ein, ein Geist, der nicht auf den Schein, sondern auf das Wesen der Macht gerichtet war; mit entschlossener Einseitigkeit wurde fortan nur das beibehalten und gefördert, was zu diesem Zweck taugte. Friedrich Wilhelm I. war eine derbe, deutsche, soldatische Natur, die vor dem französischen Prunk- und Zierwesen des Hofes Friedrichs I. eine ganz entschiedene Abneigung empfand. Er hat, pietätvoll wie er war, den königlichen Vater noch mit all dem Pomp, der dessen Neigungen entsprach, beerdigen lassen; aber sobald die Gruft des Verewigten sich geschlossen hatte, wurde im Hof- und Staatswesen eine fürchterliche Musterung gehalten, die mit dem Glanz und der Pracht der alten Zeit vollständig aufräumte, und die königliche Hofhaltung wurde fortan fast auf dem Fuße eines bürgerlichen Haushalts geführt, um möglichst viel Geld für die Macht- und Wohlfahrtszwecke des Staates zu erübrigen.
Die allgemeine politische Lage hat sich unter der neuen Regierung bald dadurch zugunsten Preußens verändert, dass am 11. April der Friede von Utrecht geschlossen wurde. Dadurch bekam Preußen die Hände frei. Aber auch Friedrich Wilhelm I. hat in den nordischen Wirren nicht sofort Partei ergriffen. Als Peter der Große bei einem Besuch in Berlin im Jahre 1713 ihn zum Anschluss an Russland zu bewegen suchte, erklärte ihm Friedrich Wilhelm I. ein Jahr brauche er mindestens, um erst seine Finanzen in Ordnung zu bringen; dann werde er einen Entschluss fassen. Vorläufig hielt er sich in einer beobachtenden, abwartenden Stellung. Den Geist kühner Initiative in der auswärtigen Politik hatte er nicht. Wenn er sich gelegentlich damals den älteren Herrschern und Mächten gegenüber als einen jungen Anfänger bezeichnet, so war das nicht bloß eine Redensart: er fühlte sich wirklich noch nicht recht imstande, in diesen schwierigen Verwicklungen die richtige Stellung zu nehmen. In einem Punkte aber zeigte ihm sein politischer Instinkt sogleich den richtigen Weg. Er begann nicht nur mit der Ordnung der Finanzen, sondern zugleich mit der Verstärkung der Armee, die er gleich nach dem Regierungsantritt um sieben neue Regimenter vermehrt hat, während er die Milizeinrichtungen seines Vaters ganz und gar beseitigte.
Nachdem er sich solchergestalt in Bereitschaft gesetzt, begann er mit einem noch unsicher tastenden Versuch eine Stellung zwischen den Parteien zu nehmen, die darauf berechnet war, das Hauptinteresse Preußens in diesen Verwicklungen, die Erwerbung Stettins und der Odermündungen zu fördern. Er schloss am 22. Juni 1713 einen Vertrag mit dem Herzog von Holstein-Gottorp, dem Schwestersohn Karls XII., dessen Nachfolge in Schweden beim Tode des kinderlosen Königs nicht ausgeschlossen schien. Friedrich Wilhelm I. verpflichtete sich in diesem Vertrage, für die Thronfolge des Gottorpers in Schweden zu wirten; dafür versprach der Herzog, seinerzeit als König von Schweden Vorpommern bis zur Peene an Preußen abtreten zu wollen. Zunächst wurde eine Sequestration von Stettin und Wismar durch die beiden Verbündeten in Aussicht genommen; sie wollten diese Plätze dem Streite der Parteien entziehen und in deren Besitz eine strenge Neutralität beobachten.
Indessen dieser Vertrag ist nicht zur Ausführung gekommen, namentlich auch die letzte Bedingung nicht. Man wollte das Fell des Bären teilen, ehe man ihn erlegt hatte. Stettin war ja noch in den Händen der Schweden; und der General von Meyerfeld, der es verteidigte, bezeigte durchaus keine Neigung, die Festung in neutrale Hände zu übergeben. Als dann aber Stettin von den verbündeten Russen, Polen und Dänen wirklich erobert wurde — noch im Jahre 1713 —, da suchte Friedrich Wilhelm I. sein Ziel auf anderem Wege zu erreichen. Eine Annäherung an Russland, die er bisher noch vermieden hatte, wurde jetzt zur Notwendigkeit. Mit dem Fürsten Menschikoff schloss er am 6. Oktober 1713 zu Schwedt einen Vertrag, in dem nun Preußen Stettin und Vorpommern bis zur Peene aus der Hand der Verbündeten empfing, um es bis zum Friedensschluss in Verwahrung zu nehmen. Preußen übernahm damit die Verpflichtung, diese Gebiete während der Dauer des Krieges auch gegen etwaige Rückeroberungsversuche der Schweden zu decken. Es musste also in starker Bewaffnung und steter Bereitschaft dastehen. Außerdem hatte es an die Verbündeten dafür die Summe von 400.000 Talern zu zahlen; Friedrich Wilhelm I. behielt sich vor, die Rückerstattung dieser Summe von Schweden zu verlangen, wenn er beim Friedensschluss die besetzten Landstriche würde herausgeben müssen. Nach dem früheren Vertrage Preußens mit dem Herzog von Gottorp hat nun auch dieser zunächst noch an der Besetzung Stettins sich beteiligt; Friedrich Wilhelm I. hat ihn dann aber bald aus dem Mitbesitze zu entfernen gewusst. Er war mit diesem Vertrage eigentlich noch nicht aus seiner Neutralität herausgetreten; aber er fühlte nun doch die Notwendigkeit, sich Schweden gegenüber zu sichern; denn das Schweden sich diese Einmischung ohne weiteres gefallen lassen werde, war doch kaum zu erwarten. Friedrich Wilhelm I. tat daher einen weiteren Schritt zur Annäherung an Russland durch den geheimen preußisch-russischen Garantievertrag vom 12. Juni 1714, in dem ihm von Russland die künftige Erwerbung des eben besetzten Gebiets gewährleistet wurde, während er selbst Russland den Besitz der eroberten schwedischen Ostseeprovinzen, Ingermanland, Karelien, Estland, garantierte. Diesem Bündnis ist dann auch (wie es vorgesehen war) Georg I., der Kurfürst von Hannover, der soeben den englischen Thron bestiegen hatte, beigetreten, im November 1714; er sollte aus der schwedischen Beute Bremen und Verden erhalten. Auch Dänemark schloss sich an, allerdings erst später, April 1715; es erhielt die Aussicht auf den Besitz von Stralsund, Greifswald und Rügen.
Inzwischen war Karl XII. in seinem berühmten Gewaltritt aus der Türkei zurückgekehrt und hatte sich nach Stralsund geworfen. Die ganze Lage erhielt dadurch ein anderes Ansehen. Friedrich Wilhelm I. hat nicht sofort offen mit Schweden gebrochen, sondern er nahm zunächst wieder eine abwartende Haltung ein; er hoffte auf ein Entgegenkommen Karls XII. in der pommerschen Frage.
Lange und verwickelte Verhandlungen sind den Herbst und Winter hindurch zwischen Preußen und Schweden gepflogen worden: zu einem positiven Resultat haben sie nicht geführt; vielmehr dienten sie zu fortschreitender Entfremdung der beiden Parteien. Das Ende war der offene Bruch. Am 1. Mai 1715 erließ Preußen seine Kriegserklärung gegen Schweden; und zugleich segelte eine englische Flotte in die Ostsee.
Die militärische Lage Karls XII. war eine sehr ungünstige. Er hatte nicht viel mehr als 17.000 Mann zur Verfügung, während ihm Preußen allein mit 30.000 Mann gegenüberstand; dazu kamen noch etwa 20.000 Dänen und 8.000 Sachsen und Polen. Der Krieg nahm denn auch sofort eine sehr unglückliche Wendung für Schweden. Die Verbündeten eroberten Wolgast, Usedom, Peenemünde im Juli und August 1715; dänische Schiffe erzwangen sich die Einfahrt in den Greifswalder Bodden; der Krieg konzentrierte sich auf die Belagerung von Stralsund, das Preußen und Dänen von der Land- und Wasserseite her einzuschließen begannen. In der Stadt kommandierte Karl XII. selbst; bei der Belagerungsarmee befanden sich Friedrich Wilhelm I. und König Friedrich IV. von Dänemark. Auch diesmal war es wie 1678: sollte Stralsund bezwungen werden, so musste zunächst Rügen in der Hand der Belagerer sein. Im November 1715 landeten dänische Schiffe 20.000 Dänen und Preußen bei dem Dorfe Groß-Stresow auf der Halbinsel Granitz, wo heute ein Standbild Friedrich Wilhelms I. an das Ereignis erinnert. Leopold von Anhalt führte diese Truppen gegen die von Stralsund herübergeeilten Schweden. Es kam zu einem blutigen Kampfe, wobei dem König Karl XII. das Pferd unter dem Leibe erschossen wurde; aber die Schweden mussten nach Stralsund zurück. Und auch der Rest ihrer Truppen, der noch auf der Insel war, wurde hinter den Schanzen von Altefähr eingeschlossen und musste kapitulieren. Damit war Rügen in den Händen der Verbündeten. Stralsund verteidigte sich zwar noch wochenlang auf das hartnäckigste, aber es war jetzt auf die Dauer nicht mehr zu halten. Als die Belagerungsarmee sich anschickte, zum letzten Sturm gegen die schwer beschädigten Werke der Festung vorzugehen, knüpfte der Schwedenkönig Unterhandlungen mit Friedrich Wilhelm I. an, in denen er nun das bot, was Friedrich Wilhelm I. zu Anfang verlangt hatte, was jetzt aber nicht mehr als genügend befunden wurde: die preußische Sequestration von Vorpommern; und als dieses Anerbieten abgewiesen wurde, da ist Karl XII. am 21. Dezember 1715 heimlich aus Stralsund entwichen, indem er die Stadt ihrem unvermeidlichen Schicksal überlies. Am 21. Dezember ist dann Stralsund gefallen. Die Schwedenherrschaft in Pommern war damit abermals völlig zusammengebrochen. Aber diesmal hat ihr der Helfer gefehlt, der sie 1679 und 1660 wieder aufgerichtet hatte. Das Verhältnis Frankreichs zu Schweden war nicht mehr das alte, und Ludwig XIV., der vielleicht doch noch aus allgemeinpolitischen Erwägungen für Schweden eingetreten sein würde, war am 1. September 1715 gestorben. Frankreich hat in diesen Konflikten jetzt überhaupt keine maßgebende Rolle mehr gespielt. Eine andere Gruppierung der Mächte als zu Beginn des Krieges hat sich eben damals vollzogen.
Vielleicht das wesentlichste Resultat des nordischen Krieges für die Geschichte des europäischen Staatensystems ist der Gegensatz zwischen England und Russland, der sich während seines Verlaufes entwickelt hat. Russland trat damals als der Erbe der schwedischen Machtstellung im Ostseegebiete auf. Es geriet dadurch, namentlich auch mit Rücksicht auf die Handelsinteressen, in Rivalität mit England, das den Ostseehandel jetzt mehr und mehr für sich in Beschlag zu nehmen suchte, wie es bisher Holland getan hatte. An die Stelle des alten Gegensatzes der niederländischen Republik und der schwedischen Krone tritt nun in den baltischen Fragen der Gegensatz von England und Russland. Preußen war dadurch beiseite gedrängt; bei dem Streit um die Herrschaft über die Ostsee kam es nicht mehr in Betracht; die aufsteigende russische Macht stellte es in Schatten. Trotzdem aber war gerade Preußen auf die russische Partei angewiesen. Unter Georg I. und seinem hannöverschen Minister, dem Grafen Bernstorff, hat die Rivalität zwischen Hannover und Preußen eine Schärfe angenommen, die sie zu einem dauernden und wichtigen Faktor in der deutschen und in der europäischen Politik gemacht hat. Zugleich war aber Preußen auch zu dem Kaiser allmählich in ein immer schlechteres Verhältnis geraten. Karl VI. empfand es sehr unangenehm, das König Friedrich Wilhelm I. sich nicht so unbedingt den österreichischen Interessen anbequemte, wie sein Vorgänger Friedrich I., sondern eine selbständige preußische Politik zu machen unternahm. Es kam trotz des äußerlich freundschaftlichen Verhältnisses zu sehr unangenehmen Reibungen mit dem Wiener Hofe, der ja in Reichsangelegenheiten oft genug Gelegenheit fand, dem Hause Brandenburg Schwierigkeiten zu bereiten, so z. B. seit 1717 in der Streitsache Friedrich Wilhelms l. mit seinen magdeburgischen Vasallen wegen der Lehnpferdegelder, die vor dem Reichshofrat schwebte.
Die gereizte Stimmung, die seitdem zwischen den Höfen von Berlin und Wien herrschte, hat den Nährboden gebildet für eine groteske Intrige, die in den Jahren 1719 und 1720 spielte und in der diplomatischen Welt viel Staub aufgewirbelt hat. Ein ungarischer Abenteurer und Glücksritter, der in diplomatischen Kreisen viel verkehrt hatte, Kleement mit Namen, machte sich an König Friedrich Wilhelm I. heran mit Enthüllungen über ein angeblich gegen ihn und sein Haus geschmiedetes Komplott, dessen Urheber am kaiserlichen und am sächsischen Hofe zu suchen sein sollten. Er gab vor, im Auftrage des Prinzen Eugen zu handeln, der auch eingeweiht sei, aber das Vorhaben zu vereiteln wünsche. Die Absicht der Verschworenen, gab er an, ginge dahin, den König von Preußen in seiner Hauptstadt zu überfallen und in die Gefangenschaft nach Österreich abzuführen, während der Kronprinz katholisch gemacht und die preußische Machtstellung tief herabgedrückt werden sollte. In der Untersuchung, die gegen Kleement selbst angestellt wurde, ergab sich, dass er ein Schwindler war. Er ist 1720 hingerichtet worden. Aber der Argwohn Friedrich Wilhelms I. war geweckt und schwer wieder zu beschwichtigen; noch im Jahre 1721 ist es wieder einmal zu einem vorübergehenden Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Preußen und Österreich gekommen.
Dies Verhältnis zu Preußen hat nun Österreich damals auf die englisch-hannoversche Seite geführt; und auch der Kurfürst von Sachsen, der durch seine polnischen Interessen allmählich in Gegensatz zu Russland geraten war, schloss sich eben dieser Partei an. So ist am 5. Januar 1719 die sogenannte Wiener Allianz zustande gekommen: der Kaiser, Sachsen-Polen, England-Hannover schlossen ein Defensivbündnis miteinander, dessen Spitze sich gegen Russland und Preußen richtete. Diese Mächte nun unter Führung Englands sind schließlich für Schweden eingetreten und haben es vor der völligen Vernichtung bewahrt. Seine eigene Beute, Bremen und Verden, hatte der Kurfürst von Hannover ja schon fest in Händen.
Eine entscheidende Wendung hatte der Krieg durch den Tod Karls XII. 1718 genommen. Die Thronfolge des Gottorpers, auf die Friedrich Wilhelm I. gerechnet hatte, verwirklichte sich nicht; vielmehr kam die Schwester des verstorbenen Königs, Ulrike Eleonore, und ihr Gemahl Friedrich von Hessen auf den schwedischen Thron. Der absolutistische Minister Graf Goertz wurde hingerichtet und die Herrschaft der Stände waltete schrankenlos. Im Interesse der englischen Partei lag es nun, darauf hinzuwirken, dass Preußen und Russland sich nicht zu stark auf Schwedens Kosten vergrößerten. Der König von England als Kurfürst von Hannover machte zuerst seinen Frieden mit Schweden, auf Grund der Abtretung von Bremen und Verden, 20. November 1719. Und nun übten die Verbündeten der Wiener Allianz, namentlich England und der Kaiser, einen Druck auf Preußen aus, um es ebenfalls zu einem Separatfrieden mit Schweden zu zwingen. Es ging dem König eigentlich gegen das Gefühl, seinen russischen Bundesgenossen im Stich zu lassen. Als ein „honnetter Mann“, wie er sagte, schämte er sich, diesem Druck nachzugeben; aber es hätte unabsehbare Verwicklungen hervorgerufen, wenn er sich nicht dazu bequemt hätte; und an Russlands Seite die Mächte der Wiener Allianz in die Schranken zu fordern, war doch auch nicht seine Absicht; er hat sich ohnehin in der isolierten Stellung neben dem Zaren nie recht wohl gefühlt. So hat denn auch Friedrich Wilhelm I. seinen Frieden mit Schweden geschlossen, zu Stockholm, am 1. Februar 1720. Er behielt Stettin und Vorpommern bis zur Peene, und musste dafür zwei Millionen Taler an Schweden zahlen. Dann hat Dänemark Frieden geschlossen, aber ohne die früher in Aussicht gestellten Gebiete zu erhalten; in Vorpommern und Rügen blieben die Schweden also noch die Nachbarn Preußens. Russland kämpfte allein weiter. Es hat erst 1721 zu Nystad seinen Frieden mit Schweden gemacht, wobei es die Ostseeprovinzen behauptete, Finnland aber noch in den Händen Schwedens lassen musste.
Erst nach diesem Friedensschluss, 1721, hat Friedrich Wilhelm I. die Huldigung in Stettin eingenommen. Er hatte wenigstens einen Teil dessen erworben, was der Große Kurfürst so lange vergeblich erstrebt hatte; aber es ist schon oben hervorgehoben worden, und die letzten Ausführungen werden es noch deutlicher gemacht haben, das bei der damaligen Gruppierung der europäischen Mächte der Besitz von Stettin für Preußen nicht mehr die großartige Bedeutung haben konnte, die ihm der Große Kurfürst noch mit Recht in seinen Plänen beigemessen hatte. Das Preußen Friedrich Wilhelms I. hatte keinen Raum mehr in der Welt, um sich zu einer See- und Handelsmacht nach dem Muster Hollands zu entwickeln; die Weltlage zwang es zur Beschränkung auf die Stellung einer rein binnenländischen Macht, deren Wirtschaftsleben neben dem Ackerbau lediglich auf den Gewerbebetrieb gestellt war.