6.6 Die Umkehr der brandenburgischen Politik und der Ausgang des Großen Kurfürsten (1684 – 1688)

6.6 Die Umkehr der brandenburgischen Politik und der Ausgang des Großen Kurfürsten (1684 – 1688)

Der Umschwung in der brandenburgischen Politik, der durch die ablehnende Haltung Ludwigs XIV. gegenüber den pommerschen Wünschen des Kurfürsten verursacht war, beginnt schon Ende 1684, zunächst mit einer Annäherung an die Niederlande, wo der Oranier Wilhelm III. niemals aufgehört hatte, auf eine Verständigung mit seinem der Republik grollenden Oheim hinzuarbeiten. Die großen umfassenden Pläne eines allgemeinen Widerstandes gegen Ludwig XIV., in denen er lebte, gewannen jetzt auch für den brandenburgischen Kurfürsten ihre alte Anziehungskraft wieder. Er hatte sich überzeugt, dass er im Bunde mit dem übermächtigen Frankreich Ludwigs XIV. die Macht seines Hauses und Staates nicht so, wie er es begehrte, heben und fördern könne; der Widerstand gegen das politische Übergewicht Frankreichs erschien ihm jetzt auch als das Lebensinteresse der brandenburgischen Politik; und vor allem die Gemeinsamkeit der protestantischen Interessen gegenüber der katholischen Reaktion, deren Führung Frankreich übernommen hatte, kam ihm wieder zum lebendigen Bewusstsein. Der Tod Karls II. von England, die Thronbesteigung des katholischen Jakob II., der in enger Verbindung mit Frankreich stand, beförderte die Annäherung zwischen Brandenburg und den Niederlanden; am 23. August 1685 wurde ein förmliches Bündnis unterzeichnet, das freilich seine Spitze noch nicht offen gegen Frankreich kehrte, aber doch schon das Misstrauen und die Empfindlichkeit des bisherigen Bundesgenossen hervorrief. Einen Bruch mit Frankreich suchte der Kurfürst noch zu vermeiden. Als der Gesandte Graf Rebenac von ihm eine förmliche Erklärung verlangte, das er sich jeder politischen Verbindung enthalten werde, die ihn direkt oder indirekt zu Frankreich in Gegensatz bringen würde, da hat der Kurfürst zwar diese arrogante Forderung abgewiesen, weil sie mit seiner fürstlichen Ehre unvereinbar sei; aber er fand es doch zugleich noch nötig, durch eine anders gefasste, weniger bedenkliche Erklärung den Argwohn seines Bundesgenossen zu beschwichtigen. Ohne sich die Hände zu binden, wollte er abwarten, bis die politische Lage zur Reife gekommen war. Da erfolgte am 18. Oktober 1685 in Frankreich die Aufhebung des Edikts von Nantes, der brutale Abschluss einer längeren Verfolgungs- und Drangsalierungspolitik gegen die Reformierten. Das evangelische Gefühl des Kurfürsten wallte auf und verhalf der gegen Frankreich gerichteten Politik zum Durchbruch. Gleich nach dem Bekanntwerden der Maßregel erließ er das Potsdamer Edikt vom 8. November 1685, durch das er die französischen Protestanten, die um des Glaubens willen ihr Vaterland verlassen wollten, einlud, in seinen Landen eine Zuflucht zu suchen, indem er ihnen außer der Glaubensfreiheit auch wichtige wirtschaftliche Vorteile, Freiheit von bürgerlichen Lasten für einige Jahre, Unterstützungen aus Staatsmitteln, Privilegien zur Anlegung von Manufakturen u. dgl. gewährte. Mit der Fürsorge für die bedrängten Glaubensgenossen verband sich dabei der Wunsch, ihre gewerblichen Künste, ihre geschäftlichen Fähigkeiten, ihre Kapitalien, ihre höhere Bildung und Kultur für den brandenburgischen Staat nutzbar zu machen. Etwa 20.000 „Réfugiés“ sind daraufhin im Laufe der nächsten Jahre und bis 1700 etwa in die brandenburgischen Lande eingewandert. Fast jede größere Stadt, von Cleve bis Königsberg, hatte im 18. Jahrhundert ihre französische Kolonie; am bedeutendsten waren die von Berlin, Magdeburg und Halle. Französische Prediger, Gelehrte, Offiziere wirkten anregend auf das geistige und gesellschaftliche Leben dieser Städte ein; die Hauptmasse aber bestand aus Gewerbetreibenden, Meistern und Unternehmern der neuen Manufakturgewerbe, die damals jeder aufstrebende Staat, und auch Brandenburg, bei sich einzuführen und zu befördern suchte. Diese Bestrebungen waren längst im Gange; aber erst an den französischen Flüchtlingen fand man die geeigneten, ökonomisch und technisch geschulten Kräfte, deren man bei diesen neuen Unternehmungen bedurfte, die die Vorläufer der modernen Industriebetriebe geworden sind und in denen Frankreich neben Holland damals allen Ländern der Welt weit voraus war.

Es konnte nicht ausbleiben, dass das politische Verhältnis zu Frankreich durch diesen Schritt des Großen Kurfürsten stark beeinträchtigt wurde. Die Auswanderung war in Frankreich wie anderswo verboten, und das Potsdamer Edikt erschien als eine unberechtigte Einmischung in die inneren Angelegenheiten der französischen Monarchie. In Versailles trat eine starke Verstimmung gegen den Kurfürsten ein; er musste darauf bedacht sein, für den Fall eines Bruches wieder einen Rückhalt am Kaiser zu gewinnen, der bei einem Kriege mit Frankreich nicht fehlen durfte, da nicht bloß das protestantische Interesse, sondern die Freiheit Europas in Frage stand. Schon seit dem Frühjahr 1685 waren Verhandlungen mit Österreich im Gange, die an das nun doch hervortretende Bedürfnis der Hilfe im Türkenkriege anknüpften. Man gelangte jetzt leichter als vorher über diesen Punkt zu einer Verständigung. In einem Vertrag vom 4. Januar 1686 verpflichtete sich der Kurfürst, ein Hilfskorps von 7.000 Mann zu stellen, und der Kaiser verhieß dafür Subsidien im Betrage von 150.000 Talern jährlich. Bald darauf marschierte der brandenburgische Feldmarschall Hans Adam von Schöning mit 8.000 Mann nach Ungarn, und diese brandenburgischen Truppen haben dann bei der Eroberung von Ofen sehr bedeutend und erfolgreich mitgewirkt. Schwieriger war die Auseinandersetzung über das allgemeine politische Verhältnis der beiden Mächte. Das Haupthindernis dabei war die schlesische Frage. Der Kurfürst verlangte die Rückgabe von Jägerndorf, Liegnitz, Brieg und Wohlau. Aber der kaiserliche Hof dachte nicht im Entferntesten daran, solche Zugeständnisse zu machen. Die Gefahr eines Bruches mit Frankreich trieb schließlich nach dem Erlas des Potsdamer Ediktes den Kurfürsten zur Nachgiebigkeit. Er ließ seine Forderungen fallen, und verlangte statt jener schlesischen Gebiete, gewissermaßen nur um den Schein zu wahren, die Abtretung des Kreises Schwiebus, der von Protestanten bewohnt war und als eine österreichische Enklave inmitten der lausitzischen Besitzungen des Hauses Brandenburg lag. Aber selbst in diese geringfügige Abtretung wollte der Kaiser nicht willigen, und die Unterhandlungen drohten schon zu scheitern, als von den österreichischen Diplomaten ein sehr außerordentliches Auskunftsmittel gefunden wurde, das ihnen den Abschluss des Vertrages möglich machte, ohne das Schwiebus dem Erzhause dauernd verloren ging. Der kaiserliche Gesandte in Berlin, der die Unterhandlungen führte, Baron von Fridag, brachte unter Vermittlung des Fürsten von Anhalt den Kurprinzen, der ein eifriger Anhänger der österreichischen Partei und überdies damals in Geldverlegenheiten war, denen der Kaiser abzuhelfen versprach, dazu, das er hinter dem Rücken des Vaters, im tiefsten Geheimnis, am 28. Februar 1686 in dem Anhalt‘schen Palais zu Potsdam einen Revers unterzeichnete, in dem er sich verpflichtete, nach Antritt der Regierung Schwiebus an den Kaiser zurückzugeben. Nun kamen die Unterhandlungen schnell zum Ziel. Fridag gestand jetzt dem Kurfürsten die Abtretung von Schwiebus zu, und am 22. März 1686 kam es zum Abschluss einer geheimen Defensiv-Allianz zwischen Brandenburg und dem Kaiser, die für 20 Jahre gelten sollte, tatsächlich aber für mehr als 40 Jahre die Grundlage des politischen Systems in Brandenburg geblieben ist. Die Abkehr von dem französischen Bündnis, die Wendung gegen Frankreich war darin schon deutlich in Aussicht genommen; eben darum blieb der Vertrag auch geheim. Der Kurfürst verbindet sich mit dem Kaiser gegen jede Vergewaltigung des Reiches; er verpflichtet sich, in der spanischen Erbfolgefrage für die Rechte des Hauses Österreich einzutreten, und insbesondere auch die spanischen Niederlande im Bunde mit ihm gegen fremde Angriffe zu verteidigen; er verspricht für den Fall einer Kaiserwahl die brandenburgische Stimme dem Sohne des Kaisers, dem römischen König Josef. Er verzichtet zugleich, gegen die Abtretung von Schwiebus, auf alle seine schlesischen Ansprüche. Dagegen wollte der Kaiser sich bemühen, ihm die Anwartschaft auf Ostfriesland und zunächst den Pfandbesitz des Landes, unter Abtretung einer Schuldforderung, zu verschaffen — eine Zusage, die später vom Kaiser nicht in dieser Weise erfüllt worden ist. Die Truppenhilfe war in dem Vertrage genau bestimmt; ohne Subsidien konnte Brandenburg auch jetzt nicht auskommen; ihre Bezahlung übernahm diesmal der Kaiser. (100.000 Gulden, im Kriegsfall 100.000 Taler jährlich.) Damit war, wenn auch noch nicht öffentlich, eine vollständige Schwenkung der brandenburgischen Politik vollzogen. Die französische Partei am Hofe und im Rate des Kurfürsten, als deren Haupt damals Meinders galt, war zurückgedrängt; der maßgebende Mann unter den Ratgebern des Kurfürsten wurde jetzt Paul von Fuchs, der das Heil Brandenburgs in der Verbindung mit dem Kaiser und den Niederlanden sah. Wie vollständig der politische Umschwung war, zeigt das am 20. Februar 1686 geschlossene Bündnis mit Schweden, bei dem die protestantischen Interessen den Sieg über die pommerschen Wünsche des Kurfürsten davontrugen. Mit seinem Neffen, dem Oranier Wilhelm III., trat der Kurfürst jetzt in ein sehr nahes Vertrauensverhältnis; auch mit seinem alten Minister, dem Fürsten von Waldeck, kam er auf diese Weise wieder in Verbindung; wie früher (1653 – 57) gegen Habsburg, so richtete diese gemeinsame Politik jetzt ihre Spitze gegen das Frankreich Ludwigs XIV. Der großen Reichsassoziation gegen Ludwig XIV., der sogenannten Augsburger Allianz, ist der Kurfürst auch jetzt noch ferngeblieben, um den Argwohn Frankreichs nicht vorzeitig rege zu machen; aber im tiefsten Geheimnis hat er damals mit dem Oranier den Plan jener Thronveränderung in England, der bald nach seinem Tode, 1688, zur Ausführung kam, erwogen und vorbereitet. Die Parole, die er an den beiden letzten Tagen vor seinem Tode (9. Mai 1688) für die Potsdamer Schlossbesatzung ausgab, lautete: London und Amsterdam.

In diesen großen Entwürfen bewegte sich die Politik des alternden Herrschers während der letzten Jahre seines Lebens, die voll waren von schwersten körperlichen Leiden; ein schon lange bestehendes Herzübel, das schließlich in Wassersucht überging, ist wohl als die Todesursache anzusehen. Daneben fehlte es nicht an häuslichen sorgen und Kümmernissen, die mit den Fragen der Nachfolge zusammenhingen. Die zweite Gemahlin des Kurfürsten, Dorothea, seine unentbehrliche Lebensgefährtin und treue Pflegerin in seinen Krankheitszuständen, hatte ihm noch sieben blühende Kinder geboren, um deren standesgemäße Versorgung sie sehr eifrig bemüht war. Der Kurfürst hielt sich auf Grund der Hausgesetze für berechtigt, bei den Bestimmungen über die Erbfolge mit denjenigen Ländern, die er selbst erst während seiner Regierungszeit erworben hatte, nach Gefallen zu schalten. Er hatte schon in einem Testament von 1664 das Fürstentum Halberstadt seinem zweiten Sohn zugedacht, und 1667 für den dritten in ähnlicher Weise über Lauenburg und Bütow verfügt. Weiter gedachte er damals darin nicht zu gehen; er betont in seinem politischen Testament von 1667, das mit der Zerteilung der Lande die Macht und der Respekt des Hauses falle, und weist auf die verhängnisvollen Folgen der Teilungen im sächsischen und anhaltischen Hause hin. Aber später hat er sich doch den Wünschen seiner Gemahlin anbequemt, und schon in einem Testament von 1680, ganz besonders aber in einem weiteren und endgültigen von 1686, das dem Kaiser zur Bewahrung und Vollstreckung anvertraut wurde, Bestimmungen getroffen, die weit über die Grenzen, die er sich früher selbst gesetzt hatte, hinausgingen, indem neben dem Thronerben die sämtlichen fünf jüngeren Söhne (vier davon stammten aus der zweiten Ehe) mit Land und Leuten ausgestattet wurden, nämlich mit den Fürstentümern Minden und Halberstadt, der westfälischen Grafschaft Ravensberg, dem pommerschen Amt Nangard, den Landen Lauenburg, Bütow, Draheim, dem westfälischen Amt Egeln. Allerdings war ihnen keine volle fürstliche Selbstständigkeit eingeräumt; die wichtigsten Hoheitsrechte, so die eigentliche Landeshoheit, das Bündnisrecht, alles, was das Heer, seine Aufteilung, Unterhaltung und Einquartierung betraf, samt den dazu bestimmten Steuern, blieb dem Kurerben vorbehalten; die fürstlichen Stimmen auf dem Reichstag sollten von dem regierenden Kurfürsten instruiert und von den brandenburgischen Gesandten namens der berechtigten Fürsten geführt werden; ähnlich sollte es auch in den Kreisangelegenheiten des Reiches gehalten werden. Aber die apanagierten Prinzen sollten doch in fürstlicher Stellung und Würde an der Spitze der ihnen zugewiesenen Länder stehen: sie empfangen die Huldigung (neben dem Kurfürsten), sie residieren und halten Hof in fürstlicher Weise, die Regierung wird in ihrem Namen geführt, die Beamten werden in ihrem Namen angestellt, allerdings mit Vorwissen und Beirat des Kurfürsten; alle Einkünfte der Lande (mit Ausnahme der Kriegsgefälle) sind ihnen zugeeignet.

Wenn man diese Verfügungen richtig verstehen will, so darf man nicht von der Voraussetzung ausgehen, dass der Große Kurfürst schon in der Idee eines modernen Einheitsstaates gelebt habe; sonst würde die Folgerung kaum abzuweisen sein, das er mit diesen Bestimmungen sein eigenes Lebenswerk, die Staatseinheit, wieder zerstört habe; denn wenn auch für den politischen Zusammenhalt gesorgt war, so hätten diese Bestimmungen doch eine einheitliche Behördenorganisation und ein einheitliches Finanzsystem, wie sie später geschaffen worden sind, unmöglich gemacht. Mit der Staatseinheit, wie sie sich, auch noch nicht ganz vollkommen, im 18. Jahrhundert darstellt, sind die Testamente des großen Kurfürsten nicht vereinbar. Es ist zwar richtig, das er bereits die Einheit des Staates ins Auge gefasst hatte, aber noch nicht in der scharfen, modernen Gestalt, die uns heute vorschwebt; es war in seiner Auffassung des Staates noch ein starker Rest von den patrimonialen Gewohnheiten und Motiven, wie sie die territoriale Epoche des Staatslebens charakterisieren; und er hat ihnen in den Testamenten von 1680 und 1686 mehr Spielraum gegönnt, als er es 1667 noch für zulässig erachtet hatte.

Der Inhalt der Testamente blieb geheim; wieweit der Kurprinz ihn kannte oder ahnte, mag dahingestellt bleiben; ein Motiv für das Entgegenkommen gegen den Kaiser, den künftigen Testamentsvollstrecker, in der Angelegenheit des Schwiebuser Reverses ist jedenfalls nicht daraus entsprungen. Dagegen hat das Vorhandensein des Testamentes von 1686 das Verhältnis des Kurprinzen zu seiner Stiefmutter, das nie ein gutes war, noch bedeutend verschärft. Er argwohnte sogar, dass sie ihn um die Erbfolge bringen wolle zugunsten ihres ältesten Sohnes: als sein jüngerer Bruder, Markgraf Ludwig, außer ihm der einzige noch übrige Sohn der Kurfürstin Luise, im Jahre 1687 starb, da war gewissenloser Hofklatsch gleich wieder geschäftig, das Gerücht zu verbreiten, das er vergiftet worden sei; der Kurprinz suchte die Mörder in der nächsten Umgebung seiner Stiefmutter und fürchtete seitdem selbst für sein Leben. Er war schwächlich, etwas verwachsen, von schwankender Gesundheit, damals noch kinderlos. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Kurfürst lieber einen Nachkommen seines ältesten Sohnes aus zweiter Ehe, eines starken und gesunden Mannes, als Thronerben gesehen hätte. Mit der Gemahlin des Kurprinzen, der hannöverschen Sophie Charlotte, die ihren Gemahl stark beeinflusste, und zwar im Sinne der damals von feindseliger Stimmung gegen Brandenburg getragenen welfischen Politik, stand er in einem gespannten und unfreundlichen Verhältnis. Nicht ohne die Schuld des alten Herrn, der seine Worte nicht immer vorsichtig abwog, kam es im Jahre 1687 zu einem offenen Bruch; das kurprinzliche Paar, das damals in Karlsbad weilte, weigerte sich, nach Berlin zurückzukehren, und ging vielmehr an den feindlich gesinnten hannöverschen Hof. Der Kurfürst war darüber sehr aufgebracht, er drohte sogar mit Enterbung und Abänderung der Thronfolge. Schließlich wurde das Zerwürfnis beigelegt durch die Vermittlung des Landgrafen von Hessen-Kassel, des Vaters der ersten, früh verstorbenen Frau des Kurprinzen, und das Paar kehrte im Herbst 1687 nach Berlin zurück. Der Kurprinz hat sich damals mit dem Vater ausgesöhnt; das Verhältnis wurde seitdem ein besseres als zuvor; er wurde jetzt auch in die Geheimnisse der großen Politik eingeweiht, namentlich in die Verhandlungen mit dem Oranier, die er mit Eifer verfolgte. Von dem Schwiebuser Revers aber hat der Kurfürst niemals etwas erfahren.

Trotz der schweren Leiden, die ihm ankündigten, das es mit ihm zu Ende gehe, hat der 68 jährige Herrscher die Zügel seines Staates bis zuletzt fest in den Händen behalten; erst zwei Tage vor seinem Tode hat er aufgehört, die Regierungsgeschäfte in der gewohnten Regelmäßigkeit zu erledigen. Am 7. Mai versammelte er seinen Geheimen Rat zum letzten Mal um sich. Er nahm Abschied von seinen Räten und betonte noch einmal die Hauptinteressen des Staates, wobei er einen Rückblick auf seine tatenreiche Regierung warf. Dann nahm er den Kurprinzen noch besonders beiseite und gab ihm seine letzten väterlichen und fürstlichen Ermahnungen. Wie ein Patriarch ging er dahin. Nachdem er sein Haus bestellt und seinen Erben gesegnet hatte, rief er einen Geistlichen zu sich, mit dem er in Gebet und erbaulichem Gespräch beisammenblieb.

Noch einen schweren Tag und eine schwerere Nacht hatte er zu überstehen; am Morgen des 9. Mai ist er gestorben, umgeben von seiner Familie und seiner Dienerschaft.

Ein großes Leben war damit zu Ende gegangen. Friedrich Wilhelm ist der erste Fürst des brandenburgischen Hauses, dem man eine welthistorische Stellung anweisen darf. Freilich war die Gebietsgrundlage seines Staates noch zu schmal und zu wenig zusammenhängend, das Gewicht seiner Machtmittel noch nicht schwer genug, als das man ihn unter den Leitern der europäischen Politik nennen könnte. An Politiker wie Richelieu und Mazarin, Gustav Adolf und Karl X. Gustav, Cromwell und Wilhelm III. von Oranien reicht das Maß seiner welthistorischen Wirksamkeit kaum heran. Aber das lag in den geringen Machtmitteln seines Staates, nicht in seiner Persönlichkeit begründet. Seine Persönlichkeit war aus dem Stoffe geformt, aus dem die Weltgeschichte ihre großen Männer bildet. Ehrgeiz und Kraft, ein nie ruhender Tätigkeitsdrang, ein unermüdlicher Unternehmungsgeist, eine allen Veränderungen der politischen Lage sich schnell anpassende Elastizität — das sind die bezeichnenden Züge seines politischen Charakters, mit denen er die vor ihm in Brandenburg herrschende Mittelmäßigkeit weit überragt. In vielfach verschlungenen Bahnen, manchmal geradezu im Zickzackkurs, geht seine Politik. Er hat niemals ein festes, starres politisches System von Allianzen und Maximen gehabt; aber das Interesse seines Staates, das noch durchaus im patrimonialen, dynastischen Gewande erscheint, als das Interesse des Hauses Brandenburg — das ist das festbleibende, unverrückbare Ziel seines Strebens gewesen. Um es zu fördern, hat er unbedenklich seine Bündnisse und die nächsten Ziele seiner Politik gewechselt, wenn die Lage es forderte. Er war noch nicht imstande, den Kurs der Politik im Großen anzugeben; er musste sich den wechselnden Konjunkturen anpassen, wie sie sich im Rivalitätskampf der großen Mächte ergaben; er musste lavieren, um nicht zwischen den europäischen Kolossen, in deren Mitte er sein Staatsschiff zu steuern hatte, zerdrückt zu werden oder die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit einzubüßen, die doch die höchste Errungenschaft seiner Staatskunst war und blieb. Fast mit jeder der maßgebenden Mächte hat er in enger Verbindung und dann wieder in entschiedener Feindschaft gestanden. Es blieb der Grundsatz seiner Politik, die Waage zu halten zwischen den beiden großen Mächtegruppen, die am Ende seiner Regierung sich darstellten in dem Gegensatz von Frankreich mit seinen Anhängern auf der einen, dem Kaiser und den Seemächten auf der andern Seite. Er hat keine festen und dauernden Bündnisse gehabt, weil er keinem seiner Verbündeten in irgendeinem Moment das Interesse seines Staates zum Opfer zu bringen bereit gewesen ist.

Man kann ihn als den Begründer des größeren brandenburgisch-preußischen Gesamtstaats bezeichnen; nicht, als hätte er die ererbte oder erworbene Ländermasse schon zum einheitlich verwalteten, zentralisierten Großstaat umgeschaffen; aber er hat seinem Staatswesen den Geist eingehaucht, der die Schöpfung des modernen Großstaats vollbringen sollte: den Trieb zur Macht, die auf militärischer und finanzieller Grundlage ruht. Die Anfänge des Stehenden Heeres, das als ein Werkzeug rein monarchischer Politik geschaffen wurde, bezeichnen am stärksten die große Umwandlung der staatlichen Zustände unter seiner Regierung. Die finanzielle Selbständigkeit der neuen Militärmacht ist von ihrem Begründer noch nicht erreicht worden; aber in diesem Stück haben die Nachfolger das Werk vollendet.

Der ehrgeizige Trieb, eine Großmacht zu werden, ist das Erbteil der Regierung Friedrich Wilhelms, die nachhaltige Wirkung seines großen politischen Beispiels. Seine welthistorische Bedeutung ist sozusagen eine mittelbare: als der geistige Urheber der Größe des preußischen Staates hat er seine Stellung in der allgemeinen europäischen Geschichte. Diese Größe hat er selbst nicht mehr gesehen, aber er glaubte an sie mit einer Art von religiöser Zuversicht. Er glaubte sich ganz persönlich, mit seinem Haus und Staat, in Gottes Schutz gestellt; er fühlte sich in den höchsten Momenten seines Lebens als ein Instrument des göttlichen Willens und der göttlichen Pläne. Darum ist der Schutz der protestantischen Interessen in der Welt, die Sicherung der evangelischen Bekenntnisfreiheit ein so wesentliches Moment in seiner Politik. Darin gerade sah er die göttliche Mission seines Hauses und seines Staates. Man wird nicht sagen dürfen, dass dieses ideale Ziel ihn jemals auf Wege geführt habe, auf denen nicht auch die realen Interessen seines Hauses, die politischen Machtbestrebungen, zu fördern gewesen wären. Er war und blieb, bei allem hohen Schwung seines Wesens, doch immer ein nüchterner, harter, klarblickender Realpolitiker. Aber die Überzeugung, das tief-innerliche, wenn man will, naiv-egoistische Gefühl davon, das er mit seinem Staat und seinen Machtbestrebungen im Grunde doch auch das Reich Gottes fördere, dieser Glaube, der ihm sein irdisches, politisches Tun in eine ideale Höhe erhob, es mit dem Höchsten und Ewigen in eine unauflösliche Verbindung brachte, bezeichnet recht eigentlich die tiefste Quelle der Kraft und der Erhebung, die seinem Lebenswerk den großen Stil und den hohen Schwung verliehen haben. Er hat damit ein Vorbild aufgestellt, das bis in die Gegenwart hinein in seinem Hause immer wieder als eine lebendige Kraft gewirkt hat.

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