6.5 Seemachtspläne

6.5 Seemachtspläne

In enger Verbindung mit dem Bestreben, das schwedische Pommern zu erwerben, standen die Seemachtspläne des großen Kurfürsten, die man nur richtig würdigen kann, wenn man sie auf dem Hintergrunde der großen allgemeinen, auf Schifffahrt und Seehandel, Kriegsflotten und Kolonien gerichteten Bewegung betrachtet, die eben in jenem Zeitpunkt entsprang, wo die großen europäischen Mächte sich gegeneinander abschlossen und in beständigen Rivalitäts- und Konkurrenzkämpfen die überseeische Welt zu teilen begannen. Es besteht eine gewisse Ähnlichkeit zwischen jenen Bestrebungen des 17. Jahrhunderts und dem, was man heute Weltpolitik zu nennen pflegt. Die Flotten- und Kolonialpolitik war damals eine natürliche Begleiterscheinung der Ausbildung des europäischen Staatensystems, wie sie heute die Entstehung und Befestigung eines neuen Weltstaatensystems begleitet. Damals wie heute machte sich das Bewusstsein einer großen Verkehrsausdehnung geltend; der Horizont der Menschen war plötzlich ein weiterer geworden, der Zusammenhang zwischen politischer Macht und den großen See- und Handelsunternehmungen drängte sich den Staatsmännern wie den Geschäftsleuten überall auf. Erst im 17. Jahrhundert haben die überseeischen Entdeckungen ihre vollen Wirkungen auf Handel und Politik entfaltet. Die Welt war nun wirklich größer geworden. Alles politische und wirtschaftliche Leben bewegte sich in größeren Maßen, in weiterem Rahmen. Dem Zusammenschluss der großen Mächte, der erst damals seine Vollendung fand, folgte sofort ihr Hinausgreifen in die überseeische Welt. Und auch ein kleines Staatswesen wie die Republik der Niederlande hatte ein glänzendes Beispiel dafür gegeben, wie politische und wirtschaftliche Macht sich ineinander umsetzen lassen, wie sie sich gegenseitig heben und stützen. Dieses Beispiel hatte der Kurfürst von Brandenburg von jeher vor Augen gehabt. Was die Holländer an der Nordsee waren, das sollte sein Staat am Baltischen Meere werden, um dessen Beherrschung damals so heftig gerungen wurde, und dessen Handel in der Hauptsache die Holländer beherrschten. Diese Politik ist in erster Linie gegen Schweden gerichtet, in zweiter Linie aber tritt sie auch in einen scharfen Wettbewerb mit den Niederlanden. Sie nimmt verschiedene Gestalten an, je nach den wechselnden politischen Konjunkturen.

In dem Vertrage von Labiau (1656) musste sich der Kurfürst noch die von Karl X. Gustav ihm auferlegte Bedingung gefallen lassen, dass er auf das „Admiralitätsrecht“ verzichte, d. h. auf das Recht, Kriegsschiffe in der Ostsee zu halten und eine eigene Kriegsflagge zu führen. In jenem dänischen Feldzuge, wo er so schmerzlich den Besitz einer Flotte vermisste, 1658, taucht ein merkwürdiger Plan auf, im Gegensatz gegen Schweden, aber auch in Konkurrenz mit den Holländern, den Hafen von Glückstadt zu erwerben und ihn zur Grundlage einer Reichsmarine und zum Sitz eines Reichsadmiralitätsamts zu machen; der Kurfürst von Brandenburg soll zum General-Admiral des Reiches ernannt werden. Es war ein ehemaliger niederländischer Admiral, Arnold Gissels van Lier, der diesen Plan entworfen hat; zur Ausführung ist er aber ebenso wenig gelangt wie verwandte Pläne, die nach dem Abschluss des Friedens von Oliva erörtert wurden und hauptsächlich die Begründung einer neuen ostindischen Kompanie durch Brandenburg im Verein mit dem Kaiser und dem König von Spanien zum Gegenstand hatten, wobei natürlich die Konkurrenz gegen die Holländer besonders stark hervortrat. Einen neuen Anstoß erhielten dann die Seemachtsbestrebungen in dem schwedischen Kriege seit 1675, wo der Kurfürst bei seinem Aufenthalt in den Niederlanden mit dem holländischen Reeder Benjamin Raule in Verbindung getreten ist. Raule stand damals infolge großer Verluste, die er in dem Kriege gegen Frankreich seit 1672 erlitten hatte, am Rande des Bankrotts; um sich zu retten, wandte er sich dem einträglichen Geschäft der Kaperei zu, das damals in allen Kriegen blühte. Er rüstete eine Anzahl von Schiffen aus und ließ sich vom Kurfürsten von Brandenburg Kaperbriefe gegen die Schweden erteilen, denen er in vier Wochen 21 Kauffahrteischiffe wegnahm. Seitdem hat Raule dauernd im Dienste des Kurfürsten gestanden, als Rat und Schiffsdirektor, und schließlich als Generaldirektor der brandenburgischen Marine. Neben der Kaperei spielte aber auch die Kriegführung zur See in dem Schwedenkriege 1675 – 1679 eine bedeutende Rolle, und auch der Kurfürst selbst beteiligte sich dabei durch Schiffe, die er von den Holländern gemietet hatte. Mit solchen Schiffen ist er auch den Spaniern bei dem Konflikt wegen der rückständigen Subsidien 1680 entgegengetreten. Ein früheres spanisches Kriegsschiff, Carolus Secundus, das bei Ostende geentert worden war, bildete unter dem neuen Namen „Markgraf von Brandenburg“ 1681 noch das einzige eigene Schiff der brandenburgischen Flotte, die damals etwa 30 größere und kleinere Fahrzeuge zählte. Eine größere Anzahl eigener Schiffe kamen dann aber in den nächsten Jahren hinzu; seit dem Bündnis mit Frankreich, wo die Geldmittel reichlicher flossen, kamen überhaupt die maritimen und kolonialen Pläne in lebhafteren Fluss; diese Zeit bezeichnet den Höhepunkt der überseeischen Unternehmungen Brandenburgs.

Raule hatte die Anregung dazu gegeben, selbständige Handelsfahrten von brandenburgischen Häfen aus nach der Guineaküste zu veranstalten. Er suchte zunächst die Königsberger Kaufmannschaft dafür zu gewinnen; aber diese, die nur Kommissionshandel in Abhängigkeit von den Holländern und anderen Völkern zu treiben gewohnt war, versagte vollständig; so entschloss sich denn Raule, mit einer Anzahl von holländischen Geschäftsfreunden das Risiko selbst zu übernehmen. Der Kurfürst gestattete ihm durch ein Kommissionspatent die Führung der brandenburgischen Flagge und gab ihm einige Soldaten mit; an dem Geschäft beteiligte er sich nicht weiter, als durch den Auftrag, ihm ein paar Affen, Papageien und Negersklaven mitzubringen. Von den zwei Schiffen, die 1680 nach der Guineaküste abgingen, wurde eines, das „Wappen von Brandenburg“, von den Holländern gekapert; das andere, „Morian“ genannt, landete an der Goldküste bei Kap Tres Puntas und schloss mit einigen Aschanti-Häuptlingen einen Vertrag, der die Möglichkeit zur Anlage einer befestigten Handelsstation gab. 1682 wurde dann eine afrikanische Handelskompanie begründet, in den damals üblichen Formen einer privilegierten Aktiengesellschaft, mit einem Grundkapital von 50.000 Talern, von denen der Kurfürst 10.000 Taler übernahm; ein großer Teil der Aktionäre waren Hofleute, Geheime Räte und Offiziere. Wieder gingen zwei Schiffe nach der Guineaküste, diesmal die Soldaten unter der Führung eines höheren Offiziers, des Majors v. d. Gröben. An der früher erworbenen Stelle wurde die brandenburgische Flagge gehisst und ein Fort, Großfriedrichsburg, errichtet, das nicht nur gegen die Eingeborenen, sondern namentlich auch gegen die Handelseifersucht der Holländer als Schutz dienen sollte. Noch 1884 haben die Offiziere eines deutschen Kriegsschiffs die Ruinen der alten brandenburgischen Feste wahrgenommen. Diese Ansiedlung wurde der Mittelpunkt des Handelsbetriebes der Kompanie, der sich nicht bloß auf Gummi, Straußenfedern, Gold und Elfenbein, sondern auch auf den Export von Negersklaven nach Westindien richtete; zu diesem Zweck wurde auf der dänischen Insel St. Thomas eine besondere Handelsstation mit Plantagenanlagen errichtet.

Anfänglich war Königsberg mit seinem Hafen Pillau Sitz der Kompanie; aber die ungünstige Lage und die Abneigung der Königsberger Kaufmannschaft ließen einen Wechsel erwünscht erscheinen; die Blicke des Kurfürsten richteten sich nun auf Emden, und in der Tat ist es ihm durch einen Vertrag mit den ostfriesischen Landständen, die damals mit ihrem Fürsten tief verfeindet waren, gelungen, diesen vortrefflichen Hafen für die Zwecke der Kompanie zu erwerben (1683). Die ostpreußischen Stände selbst und auch der Kurfürst von Köln traten je mit einem Anteil von 24 000 Talern der Kompanie bei; und nun dehnten sich die Geschäfte allmählich aus, so dass das Kapital der Kompanie, die bis 1697 unter Raules Leitung blieb, sich bis auf eine Million und die Zahl der Handelsschiffe bis auf 30 vermehrte. Zum Schutz dieser Handelsflotte hat nun der Kurfürst auch eine eigene Kriegsflotte begründet, die bald auf 10 Schiffe gebracht wurde; er war damals der einzige Fürst des Reiches, dessen Kriegsflagge auf den Meeren wehte. Freilich sind das alles Anfänge geblieben, denen die beharrliche Fortbildung gefehlt hat und damit auch ein eigentlicher dauernder Erfolg, wie er nur durch lange, mehrere Generationen hindurch fortgesetzte Bestrebungen hätte erreicht werden können.

Friedrich III. hat zwar eine Ehrensache darin gesehen, dies „Kommerzienwerk zu konservieren“ aber die Geschäftslage der Kompanie war nie sehr glänzend; und als Raule 1697 von der Leitung zurückgetreten war, da begann ein entschiedener Rückgang, und schließlich machte die Kompanie bankrott, so dass der König als Hauptgläubiger 1711 sich gezwungen sah, die Geschäfte selbst zu übernehmen. Damit aber war eine Lage geschaffen, die den ursprünglichen Absichten des Kurfürsten nicht mehr entsprach. Friedrich Wilhelm I. betrachtete dies ganze überseeische „Kommerzienwesen“ als eine „Chimäre“ und beeilte sich, die afrikanischen Besitzungen an die Holländer zu verkaufen, die im Ganzen nur 72.000 Dukaten dafür bezahlt haben. Dieser Handel ist in demselben Jahr (1721) zum Abschluss gelangt, wo Stettin mit den Odermündungen in den Besitz Preußens gelangt ist. Aber diese von dem Großen Kurfürsten immer vergeblich ersehnte Erwerbung bedeutete damals nicht mehr das, was sie 1648 oder 1660 oder 1679 bedeutet haben würde. Die Odermündungen waren versandet, und die politische Lage hatte sich zuungunsten Brandenburgs verändert. Die Seemächte, vor allem England, hatten eine solche Entwicklung genommen, das an eine brandenburgische Konkurrenz nicht mehr zu denken war; und als mächtigster Uferstaat an der Ostsee hatte sich an Stelle Schwedens Russland erhoben. Damit war das politische Ziel des Großen Kurfürsten, einen seegewaltigen, handeltreibenden Ostseestaat nach dem Muster der Niederlande zu schaffen, in unerreichbare Ferne gerückt; und wir werden noch sehen, wie mit der Regierung Friedrich Wilhelms I. eine entschiedene und vollständige Umkehr im Sinne einer rein binnenländischen Handels- und Wirtschaftspolitik stattgefunden hat, die die Bahnen der Seemachts-Bestrebungen des Großen Kurfürsten für mehr als ein Jahrhundert ganz verlassen hat.

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