1.2 Der Urstamm und die Vorfahren des preußischen Königshauses
Der Ursprung und die älteste Geschichte des preußischen Königshauses sind wie bei den meisten großen Dynastien, die in sehr hohes Alter zurückreichen, in tiefes Dunkel gehüllt, das nur von spärlichen Lichtbildern durchbrochen wird; sie sind infolgedessen vielfach Gegenstand haltloser genealogischer Phantasien gewesen, die ja so gern ihre Arabesken um die Stammbäume fürstlicher Häuser ranken, aber auch bis in die Gegenwart hineinreichen und an denen wir hier nicht vorübergehen dürfen; es wird sich dabei nicht vermeiden lassen, einen etwas längeren Blick in die Werkstatt der gelehrten Forschung zu tun, als es sonst in diesen Blättern geschehen kann und soll.
Von einer wirklichen gelehrten Forschung kann auf diesem Gebiet allerdings erst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die Rede sein; was davor liegt, ist fantastische und oft ganz willkürliche Fabelei, hervorgegangen aus der menschlich-natürlichen Neigung, die Anfänge großer Herrscherhäuser in ein möglichst hohes Alter und Ahnen heraufzuführen, die dem jeweiligen Bedürfnis des Zeitalters und Heldenverehrung entsprechen; aber eben deshalb sind diese Fabeln doch auch nicht ohne Interesse.
In dem Zeitalter der Renaissance, wo die Beziehungen deutscher Kaiser und Fürsten zu Italien noch nicht abgebrochen waren und nach der ideellen Seite hin umso höher bewertet wurden, je weniger sie in der politischen Wirklichkeit noch zu bedeuten hatten, gefiel man sich in der Verknüpfung des hohenzollerischen Hauses mit dem römischen Grafengeschlecht der Colonna, das seinen fabelhaften Ursprung bis zu den Camillern zurückführen wollte. Auf dem Konstanzer Konzil, wo 1417 der erste hohenzollernsche Kurfürst von Brandenburg die feierliche Belehnung empfangen hatte, war dem eben gewählten Papst Martin V., der aus dem Hause der Grafen von Colonna stammte, die Ähnlichkeit des hohenzollernschen Wappens, das ein auf dem Helm aufrechtstehendes Zepter zeigt, mit seinen eigenen, das eine Säule darstellt, aufgefallen, und er war in kritikloser Leichtfertigkeit geneigt, daraus kurzerhand auf eine Geschlechtsverwandtschaft der beiden Häuser zu schließen; in einem Briefe an den König von Polen, der kurz vorher (1424) seiner Tochter Hedwig mit einem Sohne der brandenburgischen Kurfürsten verlobt hatte – eine Verbindung, an der der Papst politisches Wohlgefallen fand -, ging er sogar so weit, die Verwandtschaft der Häuser Hohenzollern und Colonna als eine alte Überlieferung zu bezeichnen. Diese Fabel schlug feste Wurzeln, namentlich auch bei den Hohenzollern selbst; und als Kurfürst Albrecht Achilles auf einer italienischen Reise zu der Colonnaschen Sippe gehörigen Grafen von Colalto als Geschlechtsverwandter begrüßt und in den Schlössern der Familie herumgeführt worden war, schrieb er an seinen Bruder Friedrich II. einen merkwürdigen Brief (vom 28. April 1466), in dem er den Ursprung seines Hauses über das alte Rom hinaus bis nach Troja verfolgt.
Von Troja nach Rom, von Rom nach Deutschland – durch zweimalige Vertreibung vom Schicksal auf den Schauplatz geführt, wo das Haus zu fürstlicher Macht und Ehre heranwuchs – : das war eine genealogische Vorstellung, wie sie der Fantasie und dem Geschmack jener Zeit entsprach. Aber der Geschmack wechselte und die Fantasie suchte andere Wege.
Schon im 16. Jahrhundert, wo in den Kreisen der deutschen Humanisten eine Vorliebe für das deutsche Altertum aufkam, wollte der Gelehrte, aber in der Genealogie ganz skrupellose Sponheimer Abt Tritheim, der als Gast am Hofe Joachims I. geweilt hat, den Ursprung der hohenzollernschen Familie auf einen alten Frankenkönig Guntram zurückführen, der auch der Stammvater der Habsburger und der Zähringer sein sollte; und der kaiserliche Hofhistoriograph Johann Herold Bafilius, den der Graf Karl I. von Hohenzollern 1560 beauftragt hatte, den wahren Ursprung seines Hauses zu erforschen, erfand in Ermangelung brauchbarer Überlieferung kurzweg einen Grafen Thassilo von Zollern, der mit den Welfen verwandt sein und am Hofe Karls des Großen gelebt haben sollte, und der nun zum Ahnherrn der Hohenzollern und Habsburger wie der Colonna und Colalto gemacht wurde.
Aber erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, wo die germanisierende Richtung in Geschichte und Genealogie vollends zum Durchbruch kam, hat dieser Stammbaum, namentlich durch so weitverbreitete Bücher wie Rentschs „Brandenburgischer Zedernhain“ und Hübners „Genealogische Tafeln“ eine ziemlich allgemeine Anerkennung gefunden, und kein Geringerer als Friedrich der Große, der sich im Übrigen recht wegwerfend über das Handwerk der Genealogen äußert, hat in seinen Denkwürdigkeiten des Hauses Brandenburg den Grafen Thassilo als historisch beglaubigten Urahn des hohenzollernschen Hauses anerkannt – eine Vorstellung, die damals übrigens alle Geschichtsbücher beherrschte und sich bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts erhalten hat.
Einen wissenschaftlich festen Grund und Boden erhielten die genealogischen Studien über das Hohenzollernhaus erst durch die „Hohenzollernschen Forschungen“, die 1847 von Graf Stillfried und Dr. Märder herausgegeben wurden – mit Förderung und Unterstützung König Friedrich Wilhelms IV., der für hausgeschichtliche Fragen ein ganz besonderes Interesse besaß. Graf Rudolf von Stillfried – Kattowitz war Oberzeremonienmeister und später auch Direktor des königlichen Hausarchivs. Er hatte auf Reisen seit langen Jahren eine große Zahl von Urkunden gesammelt, die eine sichere Unterlage für die Forschung gewährten. Alexander von Humboldt hat ihn wohl scherzend den Kolumbus von Hohenzollern genannt. Sein Mitarbeiter, Dr. Traugott Märder, später Archivar am Königlichen Hausarchiv, brachte die nötige historische Gelehrsamkeit und die kritisch-methodische Schulung hinzu; er hat die eigentliche Arbeit in Forschung und Darstellung geleistet. Es blieb aber bei dem ersten Bande dieser „Forschungen“, der den Urstamm und die schwäbische Linie der Hohenzollern behandelt, die man damals für die ältere hielt; ein zweiter Band, der die fränkische Linie der Burggrafen von Nürnberg umfassen sollte, ist nicht erschienen und auch in der Bearbeitung nicht über die ersten Anfänge hinausgekommen. Die Ursache lag vornehmlich darin, dass die beiden Herausgeber zunächst die Ausgabe einer großen Urkundensammlung in Angriff genommen hatten, die unter dem Titel: „Momenta Zollerana“ seit 1852 in sieben stattlichen Quartbänden erschienen ist, wozu dann noch im Jahre 1900 in einem achten Bande allerhand Ergänzungen und Nachträge gekommen sind.
Graf Stillfried hat dann noch für sich allein eine Sammlung der Altertümer und Kunstdenkmäler des Hauses Hohenzollern herausgegeben, in der Gedächtnisbilder, Grabinschriften und andere für genealogische Fragen sehr wichtige Materialien der Forschung zugänglich gemacht wurden. Das meiste davon stammte aus dem Kloster Heilsbronn bei Ansbach, die alte Begräbnisstätte der Burggrafen von Nürnberg, das nun auch nach Stillfrieds Vorgang Gegenstand eingehender gelehrter Forschungen wurde.
Inzwischen hatte der Berliner Archivdirektor Riedel, derselbe, der sich auch sonst so bedeutende Verdienste um die brandenburgisch-preußische Geschichtsforschung erworben hat, die älteste Geschichte der Hohenzollern in zwei grundlegenden Werken behandelt, von denen das eine, „Die Ahnherren des Preußischen Königshauses“ (1854), unter anderem im Gegensatz gegen die bis dahin geltende Ansicht vertrat, dass nicht die schwäbische, sondern die fränkische Linie der Hohenzollern, also die brandenburgisch-preußische, die ältere ist.
In der „Geschichte des preußischen Königshauses“ (1861) führte dann Riedel seine Untersuchungen über die fränkische Linie bis zum Jahre 1415, wo die Verpflanzung nach Brandenburg stattfand. Die Ergebnisse dieses Werkes kamen aber mehr der Geschichte als der Genealogie zugute; einen vollständigen und gesicherten Stammbaum hatte man damals noch nicht; man wurde erst allmählich inne, wie schwierig und langwierig die Arbeit war, die zur Ausstellung eines solchen gehörte.
Die Stammtafel des Gesamthauses, die Graf Stillfried im Jahre 1868 allein, ohne die Mitarbeit Märders, herausgab, war ein ganz misslungenes Werk, das auch von Märder öffentlich kritisiert wurde; obwohl sie sich als auf authentischen Quellen beruhend bezeichnete, war daran, wie ein späterer Kritiker gesagt hat, so gut wie nichts authentisch. Hier war eine Aufgabe, deren Lösung noch der Zukunft vorbehalten blieb.
Sie ist erst vor kurzem erfolgt in einem monumentalen Werk, der 1905 erschienenen Genealogie des Gesamthauses Hohenzollern, die von den Hausarchivaren der beiden hohenzollernschen Linien (Großmann, Berner, Schuster, Zingerle) mit musterhafter Gründlichkeit und strengster kritischer Besonnenheit bearbeiten worden ist. Hier sind die Streitfragen, über die neuerdings, namentlich seit den (18)80er Jahren bis in die Gegenwart hinein, lebhaft diskutiert worden ist, zu einer vorläufigen Entscheidung gebracht worden. Es sind vornehmlich zwei Fragen, deren Besprechung uns am besten in die ältere Geschichte des Hohenzollernhauses einführen wird. Die eine betrifft die Herkunft der Burggrafen von Nürnberg, die andere den zollernschen Urstamm.
Bei der ersten handelt es sich um keine geringere Frage als die, ob die Kurfürsten von Brandenburg und die Könige von Preußen wirklich, wie man seit 500 Jahren glaubt, Hohenzollern sind, das heißt: ob der erste Burggraf von Nürnberg aus diesem Hause, der wahrscheinlich im Jahre 1200 gestorben ist und bis zu dem ein ununterbrochener und gut beglaubigter genealogischer Zusammenhang hinaufreicht, – ob dieser Burggraf Friedrich I. wirklich, wie man annimmt, von den seit dem 11. Jahrhundert historisch bezeugten Schwäbischen Geschlecht der Grafen von Zollern abstammt oder nicht. Das dieser genealogische Zusammenhang besteht, ist eine alte Überlieferung im Hause der Burggrafen von Nürnberg, die schon vor der Verpflanzung nach Brandenburg, schon im 14. Jahrhundert nachzuweisen ist; und sie ist auch, soviel man weiß, niemals auf Zweifel gestoßen, bis seit der Mitte des 18. Jahrhunderts in den Kreisen fränkischer Gelehrter, namentlich auch der Plaffenburger Archivare, die Ansicht auftauchte, dass die Burggrafen von Nürnberg nicht aus dem Schwäbischen Geschlecht der Zollern, sondern vielmehr aus dem fränkischen der Grafen von Abenberg stammten, deren Stammburg neben dem gleichnamigen Städtchen im Ansbachischen nicht weit von Schwabach liegt. Berufene und unberufene Genealogen aus diesen Gegenden haben dann im 19. Jahrhundert, als die fränkischen Lande in bayerischen Besitz übergegangen waren, zum Teil in scharfer Antipathie gegen Preußen, jedenfalls in geflissentlichen Gegensatz gegen die dort herrschenden Auffassung, zugleich auch im Seine fränkischer Stammesrivalität gegenüber den schwäbischen Ansprüchen, die Frage behandelt und sind zu dem Ergebnis gelangt, dass Blut und Name des Zollernstammes nur durch weibliche Mitglieder in das Haus der Burggrafen von Nürnberg gebracht sein könnten, dass es aber in männlicher Linie von jenem alten Grafen Babo von Abenberg abstammte, von dem ein Chronist die Merkwürdigkeit berichtet, dass er 30 Söhne und 8 Töchter gezeugt habe.
Eine gewisse Grundlage besaß dieses von politischen Leidenschaften und von unkritischen Dilettantismus vielfach beeinflusste Hypothekengebäude in der urkundlich bezeugten Tatsache, dass allerdings die Burggrafen von Nürnberg im 13. Jahrhundert sich im Besitz der Güter und des Grafentitels der Abenberger befinden und dass die meisten von ihnen auch in dem alten abenbergischen Familienkloster Heilsbronn begraben sind; weiterhin auch in dem zufälligen Umstand, dass der erste Burggraf dieses Hauses, Friedrich I., niemals ausdrücklich als Graf von Zollern bezeichnet wird. Ebenso wenig freilich erscheint er als Graf von Abenberg; ja er kann mit einem gleichzeitig auftretenden Grafen dieses Namens unmöglich ein und dieselbe Person gewesen sein, weil beide einmal zusammen als Zeugen in einer Urkunde genannt sind. Ferner wird der Sohn dieses Burggrafen Friedrich, Konrad I., ausdrücklich zugleich als Graf von Zollern bezeichnet; die Bezeichnung Graf von Abenberg aber findet sich erst bei dessen Sohn Friedrich (III.). Besonders interessant in dieser Hinsicht ist das Siegel einer Urkunde vom 1. Mai 1246 (Mon. Zoll. II, 48), auf dem der Vater, Konrad, als Burggraf von Nürnberg und Graf von Zollern, der Sohn, Friedrich, gleichfalls als Burggraf von Nürnberg und Graf von Abenberg bezeichnet wird. Das Rätsel löst sich auf ganz einfache Weise, wenn man annimmt, dass eben dieser Burggraf Konrad I. die Erbtochter des aussterbenden Abenberger Grafengeschlechts geheiratet hat, und dass Güter und Titel dieser Familie dann als mütterliches Erbteil an seinen Sohn übergegangen sind. Dieser Annahme stand bisher freilich die Überlieferung im Wege, dass Burggraf Konrad I. mit Clementia von Habsburg, einer Schwester, wie man annahm, des Kaisers Rudolf I., verheiratet gewesen sei. Aber eine neuerdings angestellte kritische Prüfung dieser alten Überlieferung hat das überraschende Resultat ergeben, dass sie lediglich auf einem 600jährigen Irrtum beruht, nämlich aus dem Versehen eines Schreibers, der bei einer Duplikatausfertigung statt matris clementis, matris Clemente schrieb, was dann als Name aufgefasst wurde und woran alles weitere durch bloße Kombination sich knüpfte. Eine Clementia aus Habsburg als Gemahlin Konrads I. existiert also nicht; wir kennen den Namen und die Familie der Mutter des Burggrafen Friedrich III. nicht, aber nichts hindert uns, anzunehmen, dass sie eben die abenbergische Erbtochter gewesen ist, durch welche dann die Güter und der Name der Familie auf die Nachkommen übergegangen sind, ohne dass sie aufhörten Zollern zu sein.
Entscheidend aber vollends für die Frage der Abstammung der Burggrafen von Nürnberg ist eine seit 1852 wieder bekannt gewordene und erst neuerdings in ihrer ganzen Bedeutung gewürdigte alte Genealogie, die uns ein glücklicher Zufall aufbewahrt hat. Sie steht in einem Kodex der Gießener Universitätsbibliothek, in dem die historischen Werke des Bischofs Otto von Freising samt einigen andern aus Freising stammenden Stücken enthalten sind. Das Ganze ist eine Abschrift nach alten Vorlagen, angefertigt im 15. Jahrhundert durch Erasmus Sahn von Freising. Diese Genealogie, die auch in den Monumenta Germanine historica (88. XXIV, 78) veröffentlicht ist, führt den Stammbaum des Burggrafen Friedrich I. von Nürnberg, der als stauffischer Parteigenosse und vielleicht auch im Zusammenhang mit einer damals geplanten Familienverbindung für die Freisinger Kreise von Interesse sein mochte, durch drei Generationen zurück, bis zu dem Grafen Burkard von Zollern, von dem gleich noch die Rede sein wird. Die Abschrift beruht allem Anschein nach auf einer alten Vorlage, wohl noch des 12. Jahrhunderts; dass sie später erst aus irgendwelchen Anlässen hergestellt worden sei, erscheint als ausgeschlossen. So haben wir hier auch ein ausdrückliches unverwerfliches Zeugnis für den genealogischen Zusammenhang der Burggrafen von Nürnberg mit dem Schwäbischen Hause der Grafen von Zollern, an dem nun weiter kein Zweifel sein dürfte; und die alte Überlieferung, die seit Jahrhunderten in der Zollernburg am Rande der Rauhen Alp den Stammsitz unseres Königs- und Kaiserhauses gesehen hat, ist in ihrer Glaubwürdigkeit unanfechtbar bestätigt.
Diese Stammburg, die unter Friedrich Wilhelm IV. mit großer Pracht, aber leider ohne Rücksicht auf die Erhaltung der alten baulichen Anlagen, restauriert oder eigentlich vielmehr neu aufgebaut worden ist, geht in ein hohes Alter zurück. Sie dürfte aber schwerlich älter sein als das 11. Jahrhundert; jedenfalls kam damals erst die Gewohnheit der heutigen Adelsfamilien auf, sich nach einer Burg zu benennen, und auch der Name der Zollern lässt sich nicht über dies Jahrhundert zurückverfolgen. Übrigens ist die Namensform „Hohenzollern“ für Burg und Geschlecht verhältnismäßig jungen Ursprungs; die ältere, historisch beglaubigte Form lautet kurzweg: Zollern; und der Name dürfte nach der wahrscheinlichen Erklärung, wie so viele andere in jenen Gegenden, aus einer lateinischen Benennung, mons solarius, abzuleiten sein, die von den Römern – wahrscheinlich mit Anknüpfung an einen altgermanischen Sonnenkult – dieser Stätte beigelegt worden sein mag.
Die älteste als echt beglaubigte Nachricht, die von den Angehörigen des zollernschen Hauses besitzen, ist eine kurze Notiz in den Annalen Bertholds, des Fortsetzers Hermanns von Reichenau (Monumenta Germaniae historica, Script. V, 272), wo es im Jahre 1061 heißt: Burchadus et Wezil de Zolorin occiduntur. Diese beiden Männern aus dem Geschlecht der Zollern sind damals also im Kampfe gefallen. Über ihre Persönlichkeit und über das zwischen ihnen bestehende Verwandtschaftsverhältnis ist nicht bekannt; nur scheint Burkard derselbe zu sein, der in der Sahnchen Genealogie als Burchardus comes de Zolre an der Spitze der Ahnenreihe des Burggrafen Friedrich I. von Nürnberg steht. Der Name seiner Gemahlin ist unbekannt. Sein Sohn ist Friedrich I., genannt Maute, Graf von Zollern, der von 1085 bis 1115 erwähnt wird und von dem nicht viel mehr bekannt ist, als das er zugleich als erster seines Hauses die Schirmvogtei über das Kloster Alpirsbach in Schwaben innehatte, dass von einem seiner Geschlechtsvettern, Adalbert von Zollern aus der früh erloschenen Linie Haigerloch, 1094 in Gemeinschaft mit anderen Herren gestiftet worden war, und dass seine Gemahlin Udilhild von Urach aus dem Hause Fürstenberg war. Unter seinen 10 Kindern ist der älteste Sohn Friedrich II., dessen Gemahlin wieder unbekannt ist (erwähnt 1125 – 1145); von einem jüngeren Sohn, namens Burkhard, stammte die Linie der Grafen von Zollern-Hohenberg ab, die 1486 erloschen ist und in der die Namen Burkhard, Albert, auch Rudolf besonders häufig wiederkehren. Als Söhne Friedrich II. sind wahrscheinlich anzusehen (die Sahnsche Genealogie ist in diesem Punkte durch die neueren Forschungen im Einzelnen etwas berichtigt worden): Graf Berthold, der bald nach 1194 gestorben sein muss und nur eine Tochter hinterlassen hat, und Graf Friedrich, der dritte des Namens, der erste Burggraf von Nürnberg und als solcher Friedrich I. genannt. Dieser ist es, der die Familie von Schwaben nach Franken verpflanzt hat, wobei er aber den schwäbischen Besitz noch selbst in der Hand hielt. Als Burggraf von Nürnberg wird er zuerst im Jahre 1192 erwähnt. Er war vermählt mit Sophie, der Erbtochter des Grafen Konrad II. von Raabs, der zugleich Burggraf von Nürnberg war (1191). Von dem Geschlecht der Grafen von Raabs ist also die Burggrafschaft Nürnberg an das Haus der Hohenzollern gekommen und jahrhundertelang bei ihm geblieben, während die eigentlichen Raabschen Erbgüter, die in Österreich lagen, später an die Babenberger verkauft worden sind. Der Burggraf Friedrich I. scheint im Jahre 1200 oder kurz nachher gestorben zu sein und hat noch nicht in Heilsbronn, sondern im St. Egidienkloster zu Nürnberg seine Grabstätte gefunden. Er ist der gemeinsame Ahnherr der beiden heute noch blühenden Zweige des hohenzollernschen Hauses, der Könige von Preußen und der Fürsten von Hohenzollern; von seinem ältesten Sohn Konrad I., dem Burggrafen von Nürnberg, der vermutlich die abenbergische Erbtochter zur Gemahlin hatte, stammt das preußische Königshaus ab; von seinem zweiten Sohne, Friedrich IV:, der die Schwäbischen Güter mit der Stammburg erhielt, die jüngere fürstliche Linie. Er wird übrigens 1210 und 1214 auch noch als Burggraf von Nürnberg erwähnt und führt daher als solcher auch zuweilen die Bezeichnung Friedrich II.
Das ist der Urstamm des Hauses Hohenzollern bis zu der Spaltung in die beiden heut noch blühenden Hauptlinien. Die ältere, die der Burggrafen von Nürnberg, werden wir später weiter zu verfolgen haben. Hier müssen wir uns zunächst erst noch der Frage zuwenden, ob man den Hohenzollernstamm vielleicht noch über jene beiden im Jahre 1061 gefallenen Mitglieder hinaus in eine fernere Vorzeit verfolgen kann. Ein sehr bemerkenswerter und wissenschaftlich wohlbegründeter Versuch dazu ist neuerdings von schwäbischen Forschern gemacht worden, und kein Name ist in diesem Zusammenhang mit größerem Recht zu nennen, als der des Tübinger Professors Dr. Ludwig Schmid, der ein langes Forscherleben dieser Aufgabe gewidmet hat, angeregt und unterstützt durch den Fürsten Karl Anton von Hohenzollern und seinem Sohn und Nachfolger, den Fürsten Leopold. Schmid griff die Vermutung eines schwäbischen Archivars namens Leichtlen auf, der 1831 den Stamm der Hohenzollern auf das alte schwäbische Herzogsgeschlecht der Burkardinger hatte zurückführen wollen, eine Vermutung, der auch Märder und Riedel sich nicht entgegen gestellt hatten. Schmid hat diese Ansicht wissenschaftlich zu begründen, aber leider auch zum Dogma zu erheben versucht. Er begann damit in seiner Geschichte der Grafen von Zollern-Hohenberg, die 1862 erschien; und nachdem dann die Studien von Baumann über die schwäbische Gau- und Grafschaftsverfassung (1879) neue fruchtbare Gesichtspunkte für genealogische Forschungen eröffnet hatten, schrieb er 1884 – 1888 „Die älteste Geschichte des erlauchten Gesamthauses der Hohenzollern“ in drei Bänden, von denen der erste den Urstamm, der zweite das 11. und 12. Jahrhundert, der dritte die oben bereits besprochene abenbergische Frage behandelt, die hier natürlich auch im Sinne der schwäbischen Abstammung der Burggrafen von Nürnberg entschieden wird, was in die Diskussion darüber maßgebend eingegriffen hat. Das Hauptthema Schmids aber ist die Abstammung der Hohenzollern von den Burkardingern, die er unwiderleglich bewiesen zu haben glaubte. Doch kurz vor seinem Tode veröffentlichte der 87jährige Gelehrte 1897 eine Schrift, die er als seinen „Schwanengesang“ bezeichnete und deren charakteristischer Titel lautet: „Beleuchtung und schließliche Erledigung der bis dahin noch schwebenden Frage von der Burkardinger Abkunft der Hohenzollern.“
Die Burkardinger stammen von den Markgrafen von Rätien ab, als deren Ahnherr der zur Zeit Karls des Großen lebende Hunfried bezeichnet werden kann, so dass man sie auch Hunfriedinger nennen könnte. Ein Markgraf Burkhard von Rätien kam im Jahre 911 um, als er den Versuch machte, die herzogliche Gewalt in Schwaben zu gewinnen; sein Bruder Adalbert war Graf des Thur- und des Echerragaues, von denen der erstere auf schweizerischem, der andere auf schwäbischen Gebiet liegt; dieser Adalbert wird von Schmid und seinen Anhängern als der Ahnherr der Hohenzollern betrachtet. Die Burkardinger haben bekanntlich später die Herzogengewalt in Schwaben wirklich gewonnen; der letzte Herzog aus diesem Hause, Burkhard II., ist aber schon 973 gestorben, und von da an bis zum Tode des Burkhard von Zollern (1061) klafft eine fast hundertjährige Lücke. Schmid und seine Anhänger wollen sie ausfüllen, indem sie als Zwischenglied zwischen Burkardinger und Zollern die stammesverwandten Grafen von Rellenburg einschieben, …
deren Verwandtschaft mit beiden Geschlechtern aber freilich auch wieder nur auf Vermutung beruht. Da der Zollernname vor dem 11. Jahrhundert noch fehlt, so muss man natürlich zu anderen Kriterien greifen, um die Verwandtschaft zu beweisen. Als solche bieten sich der Güterbesitz und die Eigennamen dar. Schmid glaubt nachweisen zu können, dass bedeutende Teile des Gebiets der Burkardinger später im Besitze der Zollern sind, namentlich der Echerragau, der er in der späteren Grafschaft Hohenberg wiedererkennen will. Hier greifen die Studien Baumanns und seiner Nachfolger über die schwäbische Gau- und Grafschaftsverfassung anregend und fördernd ein. Es handelt sich um die Frage, ob man Gau und Grafschaft für diese schwäbischen Gebiete in der Hauptsache gleichsetzen darf, so dass sie feste, durch die Jahrhunderte gleichbleibende Größen darstellen, oder ob nicht vielmehr, wofür doch manchen Anzeichen vorliegen, auch hier größere Gaue aus politischen oder Verwaltungsrücksichten in mehrere Grafschaften geteilt worden sind. Das erste behaupten Schmid und seine Anhänger, das andere ihre Gegner. Ferner kommt es darauf an, ob, wie von Schmid behauptet wird, die Erblichkeit in den Grafschaften hier schon so früh eingetreten ist, dass dadurch die Brücke vom 10. bis zum 11. Jahrhundert geschlagen würde. Diese Fragen sind noch nicht mit der Sicherheit zu entscheiden, wie Schmid noch tun zu können glaubte: und auch wenn sie es wären, könnte man immer noch an einen Übergang der Güter durch die weibliche Hand deuten. Hier setzt nun freilich das andere Argument Schmids ein, das, kurz gesagt, darin besteht, dass die Gleichheit der häufig wiederkehrenden Namen Burkhard und Adalbert bei den Burkardingern und den Zollern für den Zusammenhang und die Stammesverwandtschaft bei beiden Häuser sprechen soll. Nun ist es freilich richtig, dass gewisse Eigennamen charakteristisch für einzelne Geschlechter sind, und dass namentlich im Hause der Grafen von Zollern-Hohenberg die Namen Burkard und Adalbert sich in den ersten Generationen auffällig oft wiederholen. Aber einerseits lässt sich die Beschränkung eines Namens wie Burkard auf ein bestimmtes Geschlecht doch nicht nachweisen, wenn man nicht die Grenzen der Beobachtung willkürlich verengt; andererseits finden sich bei den Zollern auch Namen, die nicht von den Burkardingern stammen können, wie z. B. Rudolf. Ein überzeugender Beweis lässt sich eben weder auf die eine noch auf die andere Weise führen; es handelt sich nur um eine Vermutung und um den Grad der Wahrscheinlichkeit, die sie für sich hat. Unmöglich ist die Abstammung der Zollern von den alten schwäbischen Herzogsgeschlecht keineswegs, und die wissenschaftlich begründete Vermutung Schmids ist von den genealogischen Fantasien früherer Zeiten himmelweit verschieden; aber bewiesen ist sie nicht, und darin hat der hochverdiente Forscher geirrt, dass er glaubte, einen wirklich zwingenden Beweis geführt zu haben. Die nüchterne genealogische Forschung wird bei der Tatsache stehen bleiben müssen, dass die Zollern als ein schwäbisches Grafenhaus seit der Mitte des 11. Jahrhunderts glaubhaft bezeugt sind; und sehr treffend ist das Wort, das Kaiser Friedrich einmal zu einem der Forscher sagte, der ihm dies Ergebnis seiner Studien vorlegte: „Das ist auch genug.“