4.1 Renaissance und Reformation in ihrer Bedeutung für die Mark Brandenburg
Die nächsten drei Regierungen in der Mark Brandenburg, die von 1499 bis 1598 reichen, lassen sich als das Jahrhundert der Reformation zusammenfassen; denn diese große religiöse Bewegung, die alle Tiefen des deutschen Volkslebens aufrührte, ist auch die beherrschende Macht, die der Geschichte des märkischen Landes und seines Fürstenhauses das Gepräge gibt, mag der Herrscher nun, wie Joachim I., die Neuerungen mit unverhohlenem Hass abzuwenden suchen oder mag er, wie Joachim II., in der Rolle eines friedfertigen Vermittlers Altes und Neues im kirchlichen Leben zu verbinden bestrebt sein oder mag er endlich, wie Johann Georg, in starrer Rechtgläubigkeit mit beiden Füssen auf dem befestigten Boden des lutherischen Bekenntnisses stehen.
Die Renaissance, deren Wirkungen in den Brennpunkten der damaligen europäischen Kultur, insbesondere in Italien, auch für Staat und Gesellschaft so tief und nachhaltig gewesen sind, hat in dem brandenburgischen Fürstenstaat nur einen schwachen Widerschein hervorgerufen, der dann durch das religiöse Interesse bald vollends gedämpft und von der neuen geistlichen Lichtquelle überstrahlt wurde. Kurfürst Joachim I. selbst kann trotz seiner kirchlichen Haltung als ein aufgeklärter Humanist gelten; und aus der humanistischen Strömung entsprang auch die Gründung der märkischen Landesuniversität zu Frankfurt a. O., die schon unter dem Kurfürsten Johann geplant worden war und mit päpstlichem und kaiserlichem Privileg versehen 1506 ins Leben trat; der Hauptgehilfe dabei, der humanistisch gebildete Gönner Huttens, Dietrich von Bülow, Bischof von Lebus, zugleich der erste Kanzler der Universität, war ein märkischer Edelmann. Aber solche Männer waren selten im Lande, und der gelehrte Abt von Sponheim, Trithemius, der im Winter 1505/6 als Gast des Kurfürsten einige Monate lang am brandenburgischen Hofe weilte, übertrieb wohl nicht allzu stark, wenn er schrieb, in diesem Lande sei ein Gelehrter so selten wie ein weißer Rabe. Auch die Universität Frankfurt ist später mehr eine Pflanzschule zur Ausbildung von Juristen und Pastoren geworden, als ein Mittelpunkt der humanistischen Studien. Das geistliche Element überwog je länger je mehr während dieses Zeitraums in der Bildung des Hofes und der höheren Stände wie in dem Leben des gemeinen Mannes. Das Luthertum mit seiner ehrlichen deutschen Gründlichkeit hat auch in der Mark Brandenburg den ersten Anstoß zur Volkserziehung gegeben, der freilich zunächst mehr den mittleren als den unteren Ständen und mehr den Städten als dem platten Lande zugutekam. Luthers Bibelübersetzung und sein Katechismus sind auch für das harte Kolonistengeschlecht des märkischen Landes die Grundlage der lange vernachlässigten Geistes- und Gemütsbildung geworden. Das Leben am Fürstenhofe wie auf den adligen Gutshöfen, in den städtischen Bürgerhäusern wie in den ländlichen Gemeinden erhielt einen halb geistlichen Anstrich, der von der überlieferten Rauheit und Derbheit der Sitten und von den naiven weltlichen Instinkten, die sich daneben kräftig geltend machten, manchmal recht seltsam absticht. Das protestantische Pfarrhaus gewann eine steigende Bedeutung für das sittliche und geistige Leben in Stadt und Land; Bildung und Wissenschaft, aber auch Wirtschaft und Politik bauten sich auf dem selbstverständlichen Untergrund christlicher Gesittung und kirchlicher Ordnung auf. Geistliche und weltliche Gewalt verbanden sich dabei in dem Landesfürsten als der christlichen Obrigkeit zu einer natürlichen Gemeinschaft; die schon durch die päpstlichen Privilegien von 1447 vorbereitete Landeskirche trat mit der Reformation sichtbar in die Erscheinung und beförderte die Absonderung und den inneren Zusammenhalt des territorialen Staatsgebildes. Die landesherrliche Macht gewann einen beträchtlichen Zuwachs durch die Befugnis des evangelischen Kirchenregiments, die unter den fürstlichen Gewalten nach dem Sinne der Zeit die oberste und stärkste war und den ganzen Gliederbau der Landeskirche in Abhängigkeit von dem geistlich-weltlichen Oberhaupte brachte. Nicht gering war auch der greifbare Vorteil, den die Einziehung der geistlichen Güter für die Einkünfte des Landesherrn mit sich brachte, wenn er auch nicht genügt hat, für die vermehrten öffentlichen Bedürfnisse und die damit verbundenen steigenden Anforderungen an die fürstlichen Finanzen, die dieses Jahrhundert stellte, ausreichende Deckung zu schaffen. Es ist ein Zeichen der Zeit, dass die Mittel für Hofhalt und Landesregierung noch weniger als früher ausreichen wollen. Es sind nicht bloß die steigenden Bedürfnisse des Hofes, die zahlreichen und immer kostspieliger werdenden Reichstage, die Türkenhilfen und sonstige außerordentliche Anlässe, die die Ausgaben der landesherrlichen Regierung zu früher unerhörter Höhe anschwellen, es ist zugleich auch das Sinken des Geldwerts, die Erhöhung aller Preise, die schon infolge der steigenden Ausbeute der erzgebirgischen Silberbergwerke, ganz besonders aber in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts infolge der massenhaften Einfuhr von Edelmetall aus den spanischen Kolonien von Mexiko und Peru als eine allgemeine europäische Erscheinung auch in Deutschland und der Mark Brandenburg ihre Wirkungen äußert.
Überhaupt verschoben sich schon vom Beginn dieses Zeitraumes an die wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen des öffentlichen Lebens durch überaus bedeutsame Veränderungen. Die Epoche der kriegerisch-feudalen Verfassung ging zu Ende; das herkömmliche Fehdewesen, das den letzten Jahrhunderten des Mittelalters in allen deutschen Landen ihr eigenartiges Gepräge gegeben, hatte seit dem ewigen Landfrieden von 1405 jede rechtliche Grundlage verloren, und wie der Reichsgewalt, so lag auch den Landesfürsten in ihrem Machtbereich die schwere Aufgabe ob, das erste Erfordernis eines geordneten Staatslebens, die Sicherheit von Person und Eigentum, gegen Gewalttat und räuberischen Zugriff nachdrücklich zu gewährleisten und die Autorität der Gerichte und der Obrigkeit überhaupt zu wirksamer Geltung zu bringen gegenüber den noch immer nicht ausgerotteten Gewohnheiten der Selbsthilfe und einer Entartung des verschollenen Fehderechts, die nichts anderes als Wegelagerei, Raub und Gewalttat bedeutete. Es ist keine unverständliche Erscheinung, das gerade in dieser Zeit, zu Anfang des 16. Jahrhunderts, in den ostelbischen Gebieten das Treiben der adligen Straßenräuber noch einmal besonders stark hervortritt: es ist die Agonie der verendenden ritterlich-kriegerischen Lebensordnung, die während des Mittelalters geherrscht hatte. Seit dem Verfall der Lehnskriegsverfassung, seit der zunehmenden Bedeutung der Fußknechte, die die Ritter auch aus den Soldheeren verdrängten, seit dem Aufhören der gewinnreichen Beutezüge, zu denen früher das Fehdewesen Gelegenheit geboten hatte, musste der Ritter, dessen grundherrliche Einkünfte zu einem standesgemäßen Lebensunterhalt nicht ausreichten, darauf bedacht sein, sich eine neue breitere Grundlage für seine wirtschaftliche Existenz zu schaffen. Aus dem Krieger wurde ein Landwirt. An die Stelle der alten Grundherrschaft über selbst wirtschaftende Bauern, die hauptsächlich durch ihre Abgaben dem auf einem kleinen Herrenhofe sitzenden Ritter eine etwas höhere Lebenshaltung ermöglichten, trat die neue Gutswirtschaft des ritterlichen Grundherrn, der Anfang zu einem landwirtschaftlichen Großbetrieb, dessen Grundlage eine wesentliche Vergrößerung des ritterlichen Landbesitzes und Eigenbetriebes war, und dessen wirtschaftliche Voraussetzung in der Möglichkeit bestand, nicht bloß wie bisher für den eigenen Bedarf oder für den nächsten Umkreis zu produzieren, sondern auch auf größeren und ferneren Märkten Korn, Vieh, Wolle und andere landwirtschaftliche Produkte vorteilhaft zu verwerten. Es ist eine Erscheinung, die sich keineswegs auf die Mark Brandenburg beschränkt, sondern die sich auf dem ganzen ostelbischen Gebiet sowie in den angrenzenden nordwestdeutschen Landschaften und gleichzeitig oder vielleicht noch früher auch in Polen ganz allgemein seit dem Ende des 15. Jahrhunderts bemerklich macht und überall die Grundlagen der ländlichen Verfassung wesentlich verändert hat. Schon der Deutsche Orden hatte im 14. und 15. Jahrhundert den Getreideexport in großem Maßstabe betrieben und damit ein Beispiel für das gesamte Hinterland gegeben. Je weniger die Städte im Osten der Elbe vermocht haben, den Handel des sie umgebenden Landgebietes zu beherrschen und an ihren städtischen Markt zu binden, desto mehr begannen die Ritter sich dieses Handels zu bemächtigen und ihn zur Grundlage einer neuen standesgemäßen Wirtschaftsführung zu machen. Sie fingen damit an, das Getreide der Bauern aufzukaufen, um es an fremde Händler abzusetzen, und sie endeten damit, durch Einziehung von Bauernhöfen ihre eigene Gutsfläche zu vergrößern und das Getreide, das sie exportieren wollten, selbst zu bauen. Der Kapitalbesitz und das Angebot von freien Arbeitskräften war damals noch nicht so groß, dass es möglich gewesen wäre, diesen erweiterten Betrieb vom Gutshofe aus mit eigenem Inventar und Gesinde oder mit gemieteten Tagelöhnern zu führen; vielmehr beruhte dieser neue Großbetrieb vornehmlich auf den Frondiensten der abhängigen Bauern, die jetzt allmählich an die Stelle der früheren Abgaben traten und mit der Zeit dazu geführt haben, das diese wegen ihrer Arbeitskraft für den adligen Gutsbetrieb unentbehrlich werdende Menschenklasse, deren eigene Wirtschaft jetzt nur noch als unselbständiges Anhängsel der Wirtschaft des Gutsherrn erschien, an die Scholle gefesselt wurde und damit in jenen Zustand der Gutshörigkeit geriet, der amtlich später in den preußischen Provinzen als „Erbuntertänigkeit“ bezeichnet wurde. Die meisten Bauern hatten kein Eigentumsrecht an ihren Höfen, die vielmehr im Obereigentum des Gutsherrn standen, sondern nur ein beschränktes und unsicheres Besitzrecht; man nannte sie „Lassiten“, eine latinisierte Fortbildung der altdeutschen Bezeichnung Lasse (Late), die einen Hörigen bedeutet; auch da, wo ein Erbrecht an den Höfen bestand, hatte der Gutsherr das Recht, den ihm geeignet erscheinenden Erben aus der Nachkommenschaft des Erblassers zu bestimmen, wie er denn auch bei der Verehelichung des neuen Hofbesitzers ein gewichtiges Wort mitzureden hatte. Die Dienste, welche die Bauern mit ihrem Gespann und durch ihre Hofgänger für die Gutswirtschaft zu leisten hatten, waren nicht überall fest bestimmt, und bei den Gutsherren bestand die Neigung, sie über Gebühr nach ihrem eigenen Bedarf auszudehnen, so das vielfach „ungemessene Dienste“ üblich wurden, bei denen unter Umständen den Bauern kein Werktag in der Woche dienstfrei blieb. Der Gutsherr war als Erb- und Gerichtsherr in der Regel auch die Obrigkeit der Bauern; die Bauernkinder hatten ihm bei der Konfirmation einen Untertänigkeitseid zu leisten; die, welche Gesindedienst suchten, waren verpflichtet, zuerst ein paar Jahre lang auf dem Herrenhofe zu dienen. Als Kirchenpatron hatte der Gutsherr meist auch zugleich den entscheidenden Einfluss bei der Berufung des Pfarrers, der freilich nicht von ihm, sondern von dem Landesherrn durch sein Konsistorium angestellt wurde. Die Einrichtungen einer kirchlichen Gemeindevertretung verkümmerten ebenso wie die eines selbständigen ländlichen Gemeindelebens überhaupt in diesen Gebieten; soweit die Kirche nicht vom Landesherrn und seinem Konsistorium beherrscht war, stand sie unter der Leitung der Gutsherren und der von ihnen vielfach abhängigen Pastoren, während der Wirkungskreis der Dorfgemeinde in der Hauptsache auf wirtschaftliche Maßnahmen beschränkt blieb und an die Stelle des früheren Erbschulzen jetzt meist ein vom Gutsherrn abhängiger Setzschulze trat, der die Gemeindeangelegenheiten mit Zuziehung einiger Schöffen oder Gerichtsmänner zu besorgen pflegte. Diese wirtschaftlich-soziale Entwicklung, die eine verhängnisvolle Herabdrückung des Bauernstandes mit sich brachte, ist dem ganzen ostelbischen Kolonisationsgebiet und den Nachbargebieten in Deutschland und Polen gemeinsam; polnische Einflüsse haben dabei offenbar neben der Schwäche der Städte und der ländlichen Gemeindeverfassung maßgebend mitgewirkt. Je weiter nach Osten zu, desto strenger gestaltete sich das gutsherrlich-bäuerliche Abhängigkeitsverhältnis; in Polen herrschte eine förmliche Leibeigenschaft, unter der der Bauer kaum mehr als Rechtsperson galt; in den deutschen Landen blieb dem Bauer der rechtliche Schutz der Person und des Eigentums doch immer erhalten, und auch seine wirtschaftlich-soziale Lage war namentlich in der Mark Brandenburg bedeutend besser. Die Landesfürsten empfanden zwar diese Veränderungen in den ländlichen Zuständen hie und da, auch in Brandenburg, als etwas Unbilliges und schädliches, und suchten gelegentlich dem Bauernlegen Einhalt zu tun oder die Dienste zu beschränken; aber auch wenn ihr Wille fester und ihre Macht größer gewesen wäre, so hätte doch diese große und allgemeine Bewegung, die mit elementarer Gewalt fortschritt und gerade auch die landesherrlichen Domänen ergriff, durch vereinzelte Bestrebungen territorialer Kleinfürsten schwerlich gehemmt werden können. Was der Bauernstand verlor, gewann der Adel. In diesen wirtschaftlichen Verhältnissen, in dieser örtlichen Herrenstellung des grundbesitzenden Edelmanns hat sich der eigenartige Typus des ostelbischen Junkers herausgebildet, der sich von der Art des west- und süddeutschen Edelmanns so wesentlich unter scheidet und in der Geschichte des Hohenzollernstaates weiterhin eine so bedeutsame Rolle spielt: hier entstand in der Ritterschaft zugleich eine Klasse von selbstwirtschaftenden Gutsbesitzern, die in ihrem größeren Betriebe und in der Herrschaft über die Bauern eine Fähigkeit zu leiten und zu disponieren, eine Gewohnheit, den Vorteil wahrzunehmen, zu handeln und zu befehlen in sich ausbildeten, welche später im militärischen und diplomatischen Dienst auf größerem Gebiete für den Staat der Hohenzollern Früchte tragen konnte, zumal diese Gutswirte niemals aufgehört haben, die Traditionen einer kriegerischen Kaste fortzupflanzen und den in der ständischen Verfassung begründeten Anspruch zu erheben, die geborenen Räte des Landesherrn zu sein.
Als die vorwaltende politische Tendenz der Renaissance wird man die Richtung auf die Herausbildung des modernen souveränen Staates bezeichnen dürfen, dessen Wesen die Macht ist im Gegensatz zu der hierarchisch-feudalen Verfassung des Mittelalters, die auf der einen Seite eine umfassende göttlich menschliche Rechtsordnung im Rahmen des Reiches und der Kirche hatte verwirklichen wollen, während auf der andern Seite die lokalen Gewalten in einer oft an Anarchie grenzenden Selbstherrlichkeit schalten und walten konnten, so dass bei dem chaotischen Durcheinander sich kreuzender Interessen und Rivalitätskämpfe kleiner und kleinster Machthaber Recht und Friede unaufhörlich gestört, zu gleich aber auch die Bildung eines großen machtvollen Ganzen verhindert wurde. Jetzt traten kleinere und größere Staaten unter der Herrschaft kluger und gewalttätiger Fürsten in schärferer Absonderung einander gegenüber und vollbrachten zugleich im Innern eine straffere Zusammenfassung des Untertanenverbandes, sodass die durch den Fürsten repräsentierte Staatsgewalt nach außen als unabhängig, nach innen als unumschränkt erschien. In den deutschen Fürstenstaaten aber ist diese Tendenz zur Selbstständigkeit und zum Absolutismus im Laufe des 16. Jahrhunderts noch nicht verwirklicht worden. In der Mark Brandenburg zeigt die Regierung Joachims I. einen Anflug solcher Bestrebungen; aber in dem Maße, wie die allgemeinen Kultureinwirkungen der Renaissance durch die der lutherischen Reformation abgelöst und verdrängt wurden, verschwindet auch der vorübergehend aufblitzende Machtgedanke mehr und mehr; der territorialfürstliche Charakter der Landesherrschaft in ihrer Abhängigkeit von Kaiser und Reich, in ihrer Beschränkung durch die Landstände prägt sich in festen und eigenartigen Zügen zu einem Gebilde aus, das von dem Wesen eines modernen Staates noch weit entfernt bleibt und dem die Organe zu einem machtvollen Eingreifen in die Weltverhältnisse vollkommen fehlen. Während ringsumher in der Welt, namentlich in der italienischen, französischen, burgundisch-habsburgischen und spanischen Politik die neue von Machiavelli verkündete Staatsräson dominiert, die frei von Gefühlswallungen und Gewissensbedenken nur den politischen Nutzen verfolgt und den Kontinent in immer neue blutige Macht- und Rivalitätskämpfe verwickelt, befestigen sich die lutherischen Fürstenstaaten Deutschlands mehr und mehr in einer kleinmütigen, unpolitischen, ohnmächtig-friedseligen Haltung, die allen Anteil an den großen Gegensätzen und Verwicklungen der Welt ängstlich vermeidet und über der Sorge für das geistliche und weltliche Wohl des Fürsten und der Landstände die Anbahnung von Einrichtungen zur Entwicklung von militärisch-politischer Macht gänzlich verabsäumt.
Die beiden großen Mächte, die damals um das Übergewicht in der Welt miteinander ringen, sind das Haus Habsburg und die französische Krone. Die habsburgische Macht, im 15. Jahrhundert der des hohenzollernschen Hauses noch wenig überlegen, war zur gewaltiger Höhe emporgeschnellt, seit die österreichischen Erbländer sich auf der einen Seite mit dem burgundischen und spanischen Reich, auf der anderen Seite mit Böhmen und Ungarn verbunden hatten; und wenn auch die eine Verbindung sich bald wieder auflöste, so ist doch die andere zu dauerndem Bestand gediehen, und diese Verstärkung der Hausmacht hat das kaiserliche Österreich an Kraft und Ansehen weit über das brandenburgische Haus erhöht. Der Versuch Karls V., den absoluten Dominat im Reich aufzurichten, ist zwar gescheitert, aber die Reichsfürsten und auch Brandenburg blieben von der Stellung selbständiger souveräner Mächte noch weit entfernt; sie mussten froh sein, ihre „reichsständische Libertät“ zu behaupten.
Und so wenig sie nach außen hin unabhängig waren, so wenig waren sie im Innern unumschränkt. Die landständische Verfassung erlangt im Laufe des 16. Jahrhunderts auch in Brandenburg ihre volle Ausbildung. Sie war hier, wie in den deutschen Territorien überhaupt, seit dem 13. Jahrhundert langsam in gleichem schritt mit der landesfürstlichen Gewalt und dem territorialen Staatsverbände erwachsen, getragen von denjenigen Bestandteilen der eingesessenen Bevölkerung, deren Rat und Hilfe dem Landesherrn bei der Aufrichtung seines Regiments und bei der Bewahrung von Ordnung und Sicherheit im Lande unentbehrlich geworden war. Waren einst zu Ende des 13. Jahrhunderts die Bedeverträge von den Markgrafen mit einzelnen Städten und Gruppen von Ritterschaften in verschiedenen Teilen des Landes abgeschlossen worden, so stand jetzt die gemeine Landschaft von Prälaten, Ritterschaft und Städten als eine große umfassende Korporation mit dem Anspruch, das ganze Land zu vertreten, dem Kurfürsten gegenüber; es war eine Wandlung, die zwar auch durch gelegentliche Bündnisse und Einungen zwischen den verschiedenen Ständen befördert worden war, hauptsächlich aber doch auf der Tatsache beruhte, dass das Land selbst jetzt ein Ganzes geworden war. Eine Volksvertretung waren diese Landstände, die auf Berufung des Fürsten je nach dessen Wunsch und Bedarf zu einem allgemeinen Landtage zusammentraten, noch keineswegs; der Begriff des Volkes fehlt in den deutschen Territorien ebenso wie der des modernen Staates. Der durchgreifendste Unterschied dieses ständischen Verfassungssystems von dem modern konstitutionellen ist der, das Fürst und Landschaft sich noch keineswegs als Organe ein und desselben Staatskörpers fühlen, sondern vielmehr wie zwei miteinander paktierende Gewalten, wie die beiden Hälften eines noch nicht zum Zusammenschluss und zur Einheit gelangten Staatswesens sich gegenüberstehen, das die Interessen des Fürsten und die des Landes noch als grundsätzlich verschieden erscheinen und das die Landesvertretung wie der ganze öffentliche Zustand nicht auf dem Grundsatz der Staatsbürgerlichen Rechtsgleichheit, sondern gerade umgekehrt auf der prinzipiellen Rechtsungleichheit der verschiedenen Bevölkerungsklassen, auf den Privilegien oder Sonderrechten der einzelnen Stände und ihrer Mitglieder beruht. Eine Landesvertretung ist der Landtag der altständischen Zeit auch nur in sehr beschränktem Sinn, nämlich insofern, als die geistlichen Stifter, die Ritter und die sogenannten Hauptstädte, die einer „Sprache“ vorstehen, d. h. diejenigen Elemente, die neben dem Fürsten und in Lehnsabhängigkeit von ihm Grundbesitz haben und obrigkeitliche Rechte ausüben, sich selbst und ihre Hintersassen und damit den größten Teil des Landes aus eigenem Recht, nicht auf Grund einer Wahl vertreten. Den Kern des Ganzen bildet die Ritterschaft, deren Mitglieder Mann für Mann auf den Landtagen Sitz und Stimme haben. Eine Matrikel der Ritterschaft, wie sie wohl anderswo im Westen und Süden gefunden wird, hat es in der Mark Brandenburg nicht gegeben; auch waren keineswegs bloß die Burgbesitzer der Landstandschaft (Landstandschaft (auch: Landstandsrecht oder Landtagsfähigkeit) war das Recht, in eigener Person auf dem Landtag zu erscheinen und dort seine Rechte zu vertreten. Es konnte owohl ganzen Landständen (z. B. dem landständischen Adel) als auch Einzelpersonen oder juristischen Personen zustehen. Für den Reichstag sprach man dementsprechend von der Reichsstandschaft.) teilhaftig. Man macht zwar auch in der Mark Brandenburg in manchen Stücken einen Unterschied zwischen der Schloss gesessenen und der gemeinen Ritterschaft; aber zum Landtage durfte jeder adlige Rittergutsbesitzer erscheinen, der seiner Lehnpflicht Genüge getan hatte. Die geistlichen Stifter und die städtischen Obrigkeiten — denn diese allein kamen hier in Betracht — waren durch Bevollmächtigte vertreten, die streng an ihre Instruktionen gebunden waren. Ort und Zeit des Landtages hing von der Bestimmung des Fürsten ab; seine Tätigkeit war in der Hauptsache bedingt durch die landesherrliche Proposition; daneben spielten freilich die Gravamina der Stände, in denen ihre Wünsche und Beschwerden vorgetragen wurden, eine hervorragende Rolle. Die hauptsächlichste Befugnis der Landstände bestand in der Bewilligung von Steuern, die noch immer als eine außerordentliche Beihilfe der Landschaft zu den ordentlichen Einkünften des Landesherrn aus seinen Domänen und Regalrechten angesehen wurden und noch keineswegs eine feste und dauernde Einrichtung waren. Von einem modernen Budgetrecht der Stände kann schon deshalb keine Rede sein, weil es noch kein Budget gab, d. h. weil noch kein Jahresvoranschlag (Etat) aufgestellt wurde, nach dem die Finanzwirtschaft zu führen gewesen wäre; vielmehr lebte der fürstliche Hof in der Regel von der Hand in den Mund und half sich mit Schulden machen, wenn die Barmittel nicht mehr ausreichten. Eine solche Schuldenwirtschaft war damals an allen Höfen üblich; man verfolgte zwar hier und da das Ziel, einen „Vorrat“ zu schaffen, auf den man bei außerordentlichen Bedürfnissen zurückgreifen konnte; aber es hat fast nirgendwo damit gelingen wollen. Wurden die Schulden zu hoch, versagte der Kredit, so musste die Landschaft helfend eintreten und die fürstliche Schuldenlast zur Verzinsung und allmählichen Tilgung übernehmen, wobei es dann auch häufig, wie in Brandenburg, zu einer förmlichen Steuer- und Schulden-Verwaltung in den Händen der Stände kam. In diesen finanziellen Dingen liegt für die Landstände der Schwerpunkt ihrer Wirksamkeit; die Gewährung ihrer Wünsche, die Abstellung ihrer Beschwerden erschien häufig wie eine Gegenleistung des Landesherrn für ihre Geldbewilligungen. Weniger durchgreifend war ihre Mitwirkung bei der Landesgesetzgebung, soweit von einer solchen die Rede sein kann; häufig handelte es sich dabei mehr um eine bloße Mitteilung zur Kenntnisnahme als um eine förmliche Durchberatung; immerhin aber galt es im allgemeinen als herkömmlich, beim Erlass neuer Landesordnungen den Rat und die Zustimmung der Stände einzuholen.
Die drei landständischen Körperschaften, von denen übrigens seit der Reformation die Prälaten Kurie fortfiel — mit Ausnahme der säkularisierten Domkapitel, deren meist adlige Vertreter sich der Ritterschaft anzuschließen pflegten —, berieten und beschlossen auf den Landtagen in der Regel gesondert, ohne eine feste Stimmordnung, mehr nach dem Prinzip der Vereinbarung als nach dem der Mehrheitsentscheidung; jedenfalls die einzelnen Stände untereinander mussten sich zu verständigen suchen. In einer Versammlung fand sich die gemeine Landschaft meist nur am Anfang und am Schluss der Tagung zusammen, das eine Mal zur Eröffnung und um die Proposition des Landesherrn zu vernehmen, das andere Mal, um von ihm entlassen zu werden, wobei der Landtagsabschied verkündet wurde, in dem das Ergebnis der Tagung zusammengefasst war.
Häufig wurden aber statt der vollen Landtage, die mit großen Kosten und Umständen verbunden waren und für die Zwecke des Landesherrn oft wenig leisteten, Ausschuss- oder Deputationstage berufen, bei denen nur eine kleine Zahl von ständischen Vertretern erschien, und zwar entweder Notabeln auf Berufung und nach Auswahl des Landesherrn oder auch Deputierte, die in diesem Falle von der Ritterschaft besonders gewählt wurden. Diese Wahlen erfolgten in den Kreisen, die als Verbände der Ritterschaft in den alten, schon seit der Kolonisationszeit hervortretenden Gebietsteilen, aus denen die Mark zusammengewachsen war, jetzt eine größere Bedeutung erlangten und mit ihren Tagungen vielfach die Beratungen auf dem Landtag vorbereiteten oder fortsetzten — eine Bildung, die in der Zukunft noch große Bedeutung für die Staatsverwaltung erlangen sollte.
In der Steuerbewilligung, der Aufstellung von Beschwerden, der Mitwirkung bei der Gesetzgebung erschöpfte sich die Tätigkeit der Landstände nicht; sie nahmen auch Anteil an der Verwaltung und Rechtsprechung und übten oft ein förmliches Mitregierungsrecht aus, so dass sich bei kriegerischen Unternehmungen sowie bei Bündnisverträgen zu Rate gezogen wurden.
Diese ganze fürstlich-ständische Landesverfassung hatte einen patrimonialen Charakter: der Fürst betrachtete die Herrschaft über Land und Leute als ein ihm und seinem Hause erb- und eigentümlich zustehendes Recht; daher auch die verhängnisvolle Neigung zur Teilung des Territorialbesitzes zum Behuf der standesgemäßen Versorgung jüngerer Söhne. Sachsen ist in diesem Zeitraum auf solche Weise einer unheilvollen Zersplitterung verfallen, die die Macht des wettinischen Hauses dauernd geschwächt hat; auch in Brandenburg hat das Beispiel der Dispositio Achillea die Fürsten dieser Zeit nicht davon abgehalten, derartige Verfügungen zu treffen; und es ist nur besonderen Umständen zu danken gewesen, das die Einheit des Landes trotzdem erhalten blieb.
Endlich muss zur Charakteristik dieses Zeitraums noch eine wichtige Veränderung im Rechtsleben erwähnt werden, die auch eine gemeinsame Erscheinung der deutschen Geschichte ist: das ist die Annahme des römischen Rechtes, wie es auf Grund des Corpus iuris eivilis und des Corpus iuris canoniei sowie der praktischen und theoretischen Fortbildung in dem Verkehrsleben und den Juristenschulen Italiens sich aus- und umgebildet hatte und nun als das „gemeine Recht“ das einheimische, in landschaftlichen Sonderbildungen steckengebliebene, wissenschaftlich und praktisch rückständige und unausgebildete deutsche Recht mehr und mehr zu verdrängen begann, seitdem die Richter des Reichskammergerichts angewiesen worden waren, zu richten „nach des Reiches und gemeinen Rechten“. Auch in Brandenburg ist schon in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts die Rezeption des fremden Rechts vollzogen worden; allerdings hat hier das aus gebildete Stammesrecht des Sachsenspiegels noch starke Spuren der Einwirkung hinterlassen, und der erste Gesetzgebungsakt, der einen Teil des materiellen Rechts für das ganze Landgebiet gleichmäßig ordnete unter Ausschluss aller entgegen stehenden Gewohnheiten, die Constitutio Joachimica über die Erbfalle von 1527, berücksichtigte in einem wichtigen Punkte das einheimische magdeburgische Recht in hervorstechender Weise, womit gewissermaßen ein Beispiel für die spätere große Gesetzgebungsarbeit des preußischen Landrechts aufgestellt worden ist, die auch bestrebt war, deutsches und fremdes Recht zu lebendiger Einheit miteinander zu verschmelzen. Aber nicht nur das materielle Recht, sondern auch die Gerichtsverfassung und das Prozessverfahren erfuhren damals tiefgehende Wandlungen. Das altdeutsche Schöffengericht, in dem ungelehrte Beisitzer das Urteil fanden, das der vorsitzende Richter nur zu verkünden hatte, verfiel und machte dem gelehrten Beamtengericht Platz, in dem entweder ein Einzelrichter oder ein Kollegium das Urteil fällte. Das umständliche schriftliche Verfahren wurde in diesen verwandelten Gerichtshöfen vorherrschend; und so viel Mühe man sich auch gab, Einrichtungen zu treffen, die die Prozesse abkürzen und die Gerichtskosten verringern sollten, so blieb doch ihre Langwierigkeit und Kostspieligkeit ein Gegenstand beständiger Klagen und Reformversuche. Die Juristen gewannen eine steigende Bedeutung im öffentlichen Leben; an die Stelle der am kirchlichen Recht geschulten Kanonisten, die in den letzten Jahrhunderten des Mittelalters starken Einfluss geübt hatten, traten jetzt auch in Deutschland die in der schule des römischen Rechts gebildeten Legisten, die vielfach als „gemietete Doktoren“ von einem Fürstenhof zum andern zogen, als Kanzler und Räte der Fürsten den ganzen Geist der Regierung und Verwaltung beeinflussten und aus den Ratstuben allmählich auch in die obersten Landesgerichte eindrangen als die Pioniere des neuen gelehrten Richtertums. Sie trugen die Vorstellungen altrömischer Staats- und Regierungs-verfassung in das deutsche öffentliche Leben hinein; und wenn sie auch in Deutschland nicht gerade als Apostel des Absolutismus erscheinen, so haben sie doch zur Stärkung der Fürstengewalt und zur Festigung der Regierungsverfassung wesentlich beigetragen und damit die Herausbildung des modernen Staates vorbereitet.
Auf dem Hintergrunde dieser allgemeinen Bewegungen und Verhältnisse vergegenwärtigen wir uns nun die Hauptmomente aus der Regierungsgeschichte der drei Kurfürsten Joachims I., Joachims II. und Johann Georgs.