5.5 Kurfürst Friedrich Wilhelm (bis zum Westfälischen Frieden 1640—1648)
Der neue Herrscher war bei seinem Regierungsantritt erst zwanzig Jahre alt und in den Staatsgeschäften noch völlig neu und unerfahren. Er war bisher von jeder einflussreichen Stellung ferngehalten worden: in dem Regierungssystem Schwartzenbergs war kein Platz für den Nachfolger Georg Wilhelms. Die politischen Neigungen des jungen Fürsten gingen von jeher nach einer andern Richtung, als die war, welche die brandenburgische Politik damals verfolgte. Die bedeutendsten Eindrücke seiner Knabenzeit knüpften sich an die Person seines Oheims Gustav Adolf, der an dem jungen Prinzen Gefallen gefunden und ihn zum Gemahl für seine Tochter, zum Erben für sein Reich in Aussicht genommen hatte. Dieser evangelische Held wurde das Vorbild des feurigen, für alles große leicht empfänglichen Knaben; die schwärmerische Verehrung, die seine Tante, die Witwe Gustav Adolfs, ihrem verewigten Gemahl widmete, wird bei seinen Besuchen in Wolgast, wo sie eine Zeitlang lebte, nicht ohne Einfluss auf ihn gewesen sein. Als Dreizehnjähriger war er dort in dem Trauerzuge geschritten, der die Leiche des großen Schwedenkönigs 1633 zu dem Schiffe geleitete, das sie nach der Heimat überführen sollte.
Friedrich Wilhelm ist nicht eigentlich am Hofe aufgewachsen. Die kriegerischen Ereignisse hatten dazu gezwungen, ihn schon von seinem siebenten Jahr an nach Küstrin zu schicken, wo seine Erziehung von einem reformierten bergischen Edelmann, dem trefflichen Johann Friedrich von Calcum, genannt von Leuchtmar, geleitet worden war. Eben dieser Erzieher begleitete dann den Vierzehnjährigen 1634 nach den Niederlanden, wo er in Leyden (Leiden (früher auch Leyden, ist eine Stadt und Gemeinde in der niederländischen Provinz Südholland. Mit 124.757 Einwohnern (Stand 31. Januar 2019) ist Leiden gemessen an der Einwohnerzahl nach Rotterdam, Den Haag und Zoetermeer die viertgrößte Stadt der Provinz Südholland.) die üblichen gelehrten Studien trieb, neben denen die Leibesübungen und die Kenntnis des Kriegswesens natürlich nicht vernachlässigt wurden. Der Prinz trieb Latein, Mathematik und Geschichte, namentlich Kriegsgeschichte, mit Eifer und Erfolg; außer der Muttersprache lernte er den Gebrauch der französischen, niederländischen und polnischen Sprache, die er später alle drei beherrschte. Vier Jahre hat dieser Aufenthalt in den Niederlanden gedauert. Es ist sicherlich eine Zeit großartiger Eindrücke für den jungen Prinzen gewesen, wenn er sich auch nicht gerade in dem Brennpunkt des holländischen Lebens bewegt hat. Von Handel und Schifffahrt wird er nicht allzu viel gesehen haben; es war wohl mehr nur der allgemeine Eindruck von Seemacht und Handelsblüte, den er in sich aufnahm; aber der hat genügt, um ihm für seine Lebenszeit den Trieb nach einer ähnlichen Entwicklung seines zukünftigen Staates in die Seele zu pflanzen. Dazu kam die Berührung durch den politischen Geist, der im Hause der Oranier lebte, diesen heroisch-religiösen Geist des westeuropäischen Calvinismus, der erst durch den Enkel Johann Sigismunds in der Politik des reformierten brandenburgischen Hauses recht lebendig und wirksam geworden ist. Namentlich dem Prinzen Friedrich Heinrich von Oranien ist der brandenburgische Kurprinz nahegetreten. Im Feldlager vor Breda hat er den Meister des Festungskrieges inmitten seiner militärischen Wirksamkeit kennen gelernt und seine Achtung und Zuneigung gewonnen; es ist der Mann, dessen Schwiegersohn er zehn Jahre später geworden ist. Der Kurprinz erfüllte sich mit dem Geist dieser oranischen Politik, die ganz im Kampf gegen die katholische, spanisch-österreichische Weltmacht lebte; er geriet dadurch in einen entschiedenen Gegensatz zu der Politik des Prager Friedens, die Brandenburg von der protestantischen Aktionspartei abzog. Der offene Eintritt Brandenburgs in den Kampf gegen Schweden seit 1637 verschärfte dann den Gegensatz zu den Niederlanden dermaßen, dass der Kurprinz dort nicht länger bleiben konnte. Sehr wider seinen Willen wurde er 1637 zurückberufen. Bei diesem Anlass hat der politische Gegensatz zwischen Vater und Sohn fast zu einem Konflikt geführt. Der Kurprinz wollte gern eine selbständige Stellung haben, am liebsten als Statthalter der clevischen Lande. Die Stände in Cleve-Mark waren sehr eifrig dafür: Sie würden auf diese Weise gern eine Sonderstellung mit Neutralität zwischen dem Kaiser und Schweden behauptet haben; der niederländische Einfluss würde dort — im Gegensatz zu der Politik Georg Wilhelms und Schwartzenbergs — herrschend geblieben sein. Der Kurfürst versagte begreiflicherweise die Gewährung des Wunsches; er verlangte, dass der Sohn zu ihm an den Hof kommen sollte. Der Kurprinz zögerte mit der Abreise. Er fürchtete namentlich, zu einer unerwünschten Heirat gedrängt zu werden. Erst nachdem man ihm in diesem Punkt formelle Versicherungen gegeben hatte, ist er zurückgekehrt, 1638. In Berlin, wo damals der Kurfürst weilte, kam es zu einer Aussöhnung; Schwartzenberg gab zu Ehren des Heimgekehrten ein großes Fest. Aber von welchem Misstrauen der Kurprinz gegen ihn erfüllt war, zeigt der böse Verdacht, der in ihm aufstieg, als er am Tage darauf an den Masern erkrankte; er war der festen Überzeugung, dass der Minister ihm einen vergifteten Kuchen habe reichen lassen. Gleich nach der Genesung ging er dann mit dem Kurfürsten nach Königsberg. Seine Stellung am Hofe war dort eine sehr unerquickliche. Er sah sich misstrauisch beobachtet und von den Geschäften geflissentlich ferngehalten. Eine tiefe Niedergeschlagenheit ergriff ihn. Er war sonst eine gesunde und kräftige Natur, von hoher Gestalt, gewandt, in Waffenübung gestählt und kriegerischen Strapazen wohl gewachsen; aber der seelische Druck dieser Jahre schädigte seine körperliche Gesundheit. Er war misstrauisch gegen alle Welt, verschlossen und menschenscheu, scheinbar ohne Selbstvertrauen und Gefühl der eigenen Kraft. Aber wie der Funke unter der Asche lebte in ihm doch die früh entzündete Idee, das er zu ganz besonderen Dingen berufen, das er ein auserwähltes Rüstzeug Gottes sei. Dieser Glaube an seine Bestimmung in der Welt hat ihn sein ganzes Leben hindurch nicht verlassen. Eine ganz entschieden calvinistisch gefärbte Religiosität durchsetzt all sein Denken und Tun; sie ist auch die Seele seiner späteren auf militärisch-politische Machtentfaltung gerichteten Politik gewesen. Er hatte ein tiefes Gefühl der Pflichten, die ihm die von Gott verliehene Fürstenstellung auferlegte; und als ein rechter Calvinist war er immer geneigt, in dem Erfolg seiner irdischen Arbeit eine Bewährung der göttlichen Gnadenwahl zu sehen. Darum bedrückte ihn der unbefriedigende Zustand seines gebundenen, unfreien und untätigen Lebens am väterlichen Hofe doppelt. Erst mit der eigenen Verantwortlichkeit und der wachsenden Tätigkeit des Regenten, in dem Drang der Staatsgeschäfte und den Gefahren des Krieges ist er sich seiner Kraft bewusst geworden; die dumpfe Melancholie seiner Jünglingszeit verschwand bald und wandelte sich in die helle Tatkraft seiner männlichen Jahre.
Die Regierung Friedrich Wilhelms beginnt nicht mit einem schroffen Systemwechsel. Das durch den Prager Frieden begründete Verhältnis zum Kaiser, auch der Krieg gegen Schweden blieben zunächst noch bestimmend für den Kurs der Regierung; Schwartzenberg wurde in seinem märkischen Statthalteramt und in all seinen andern Ämtern und Würden bestätigt; der Kurfürst selbst blieb zunächst noch in Königsberg. Aber die Vorbereitung eines Umschwungs ist von Anfang an zu spüren. Der Sinn des jungen Kurfürsten stand von Anbeginn darauf, sich allmählich nach allen Seiten so unabhängig zu machen, wie es seine Kräfte und die politische Lage nur irgend gestatteten. Er musste dabei behutsam zu Werke gehen. Nur mit Mühe konnte er in Preußen gegenden polnischen Kommissarius die Ausübung seiner Regierungsrechte noch vor der Investitur durchsetzen; der demütigende Akt einer persönlichen Huldigung in Warschau vor dem Polenkönig (Wladislaw IV.) ist ihm nicht erspart geblieben; aber allmählich trat er sicherer und selbstbewusster gegenüber diesem Lehnsherrn auf und gewöhnte auch die preußischen Stände daran, in ihm selbst den Landesherrn zu sehen. Vor allem aber suchte er sich aus der drückenden Abhängigkeit vom Kaiser, in die Brandenburg geraten war, allmählich zu lösen und mehr politische Selbständigkeit zu gewinnen, ohne es zu einem Bruch kommen zu lassen. Mit diesem Bestreben hing sein Verhalten gegen Schwartzenberg zusammen. Die Diktatur, die Schwartzenberg in den letzten Jahren Georg Wilhelms geführt hatte, hört mit dem Regierungsantritt des neuen Herrn auf; der Geheime Rat, den er ganz beiseite gedrängt hatte, wird wieder in Wirksamkeit gesetzt, und bald erscheinen hier die alten Gegner Schwartzenbergs, Götzen und Winterfeldt, wieder in bedeutender Stellung. Die Stände der Kurmark treten wieder entschiedener gegen die Gewaltherrschaft Schwartzenbergs auf: Sie klagen über die fortgesetzte Auspressung des Landes zugunsten des unpopulären Krieges gegen die Schweden; sie appellieren von dem Statthalter an den Landesherrn selbst. Eine Deputation der märkischen Stände unter Führung des Geheimen Rates von Winterfeldt, des alten Widersachers Schwartzenbergs, die den Kurfürsten im Januar 1641 in Königsberg aufsuchte, hat einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht. Was die Stände forderten, war: Friede mit Schweden und Abdankung der Truppen, das alte unselige Prinzip der unbewaffneten Neutralität; es ist, trotz der Erfahrungen, die man früher damit gemacht hatte, und in scharfem Gegensatz gegen die 1637 eingetretene Wendung, der leitende Gedanke für die ersten, unsicheren Schritte der neuen Regierung geworden. Schon im Januar 1641 erhielt Schwartzenberg die Weisung, fortan nichts Feindseliges mehr gegen die Schweden zu unternehmen, sondern sich rein defensiv zu verhalten. Es war ein vorbereitender Schritt zur Anbahnung eines förmlichen Waffenstillstandes. Schwartzenberg hat nicht unterlassen, dagegen seine Vorstellungen zu machen: er vertrat die Ansicht, das Pommern nur durch nachdrückliche Fortsetzung des Krieges gegen Schweden für das Haus Brandenburg zu retten sei, das der Friede mit Schweden den Verzicht auf Pommern bedeuten werde. Vor allem aber widerstrebte er der von den Ständen geforderten Abdankung der Truppen. Er wies darauf hin, dass nur die bewaffnete Macht dem Kurfürsten überhaupt noch Bedeutung verleihen könne, das er ohne Truppen der Willkür der Mächte preisgegeben sein werde. Der Kurfürst hat später die Berechtigung dieser Gründe anerkannt. In seinem politischen Testament von 1667 bedauert er, das er damals dem Rate anderer gefolgt sei und eigentlich wider seinen Willen die Abdankung der Truppen vorgenommen habe. Ob eine nachdrückliche Fortsetzung des Krieges gegen die Schweden zu Erfolgen geführt haben würde, ist zwar zweifelhaft, aber doch nicht ganz unwahrscheinlich; nur hätte diese Politik Schwartzenbergs, bei der Brandenburg doch mehr nur ein Instrument in den Händen des Kaisers war, niemals die Unabhängigkeit ermöglicht, wie sie dem Kurfürsten als Ziel vorschwebte. Der Sturz Schwartzenbergs aber war nicht so leicht zu bewirken, weil er fast alle Obersten und Festungskommandanten auf seiner Seite hatte und damit über die Armee verfügte, die ja nicht eigentlich kurfürstlich, sondern in erster Linie dem Kaiser vereidigt war; außerdem hätte eine solche Wendung leicht einen offenen Bruch mit dem Kaiser selbst herbeiführen können, und den wollte der Kurfürst vermeiden. Andererseits war Schwartzenberg trotz der starken Stellung, die ihm die Verfügung über die Armee gab, nicht geneigt, die Rolle eines märkischen Wallenstein zu spielen. Er hat sich den kurfürstlichen Befehlen doch schließlich gefügt, als seine Gegenvorstellungen nichts halfen. Es wäre ihm nicht leicht geworden sich vom Besitz der Macht zu trennen; außerdem aber standen für ihn sehr bedeutende materielle Interessen in Frage. Er war der vornehmste Gläubiger Georg Wilhelms geworden. Viele von seinen politischen und kriegerischen Maßregeln waren nur dadurch ausführbar geworden, das er aus seinen Privatmitteln große Vorschüsse geleistet hatte, für die er sich durch Verpfändung ganzer Ämter, namentlich in der Altmark, hatte schadlos halten lassen. Ein großer Teil seines Vermögens und seiner Einkünfte stand auf dem Spiel, wenn es zu einer Entlassung in ungnädigen Formen kam. So ließ er sich denn auch eine Maßregel gefallen, die von Königsberg aus verfügt wurde offenbar mit der Nebenabsicht, sein Ansehen bei den Truppen zu erschüttern: statt des höheren Wintertraktaments wurde im Januar das niedrigere Sommertraktament (Trak·ta·ment /Traktamént/ Substantiv, Neutrum [das] Verpflegung, Bewirtung Behandlung, Veraltet Sold) eingeführt, um, wie es hieß, das Land zu erleichtern. Die Stellung Schwartzenbergs als Oberstkriegskommissarius und Direktor des Kriegsstaats wurde vom Kurfürsten geflissentlich ignoriert; kurfürstliche Befehle ergingen jetzt an die Obersten und Festungskommandanten direkt, ohne die früher übliche Vermittlung des Statthalters; ein Gesuch Schwartzenbergs, in dem er seine Dimission als Direktor des Kriegsstaats anbot, blieb ohne Antwort. Es war die Lösung einer unerträglich gewordenen Spannung, als Schwartzenberg im März 1641 einem Schlaganfall erlag. Nun hatte das neue System, das von Winterfeldt und den Ständen dem Kurfürsten empfohlen war, freie Bahn. Die Hauptstütze Schwartzenbergs, der Geheime Rat von Blumenthal, nahm seinen Abschied und ging in kaiserlichen Dienst. Die schwierige Frage des Schwartzenbergschen Nachlasses wurde in langen Verhandlungen mit dessen Sohn, einem kaiserlichen Reichshofrat, geregelt, der zu diesem Zweck nach der Mark kam. Bei dem Misstrauen, auf das er stieß und das er durch seine Beziehungen zu manchen Truppenkommandeuren noch vermehrte, war er übrigens nahe daran, als Spion und Verschwörer verhaftet zu werden. Die Statthalterschaft in der Mark aber übertrug der Kurfürst einem jungen Verwandten, dem 22 jährigen Markgrafen Ernst von Jägerndorf, dem Sohn des geächteten Feldobersten Johann Georg, der nach einem ziemlich abenteuerlichen Leben im Auslande, namentlich in Italien, vor kurzem in die Heimat zurückgekehrt war und sich mit einer der beiden Schwestern des Kurfürsten (Elisabeth Charlotte) verlobt hatte. Er war ein junger Mann von großem Talent und dem besten Willen, aber mit seiner offenbar schon zerrütteten Gesundheit den Anforderungen der Stellung auf die Dauer nicht gewachsen. Er sollte nicht in der diktatorischen Weise Schwartzenbergs, sondern in beständiger Fühlung mit dem wiederhergestellten Geheimen Rat die Regierung führen.
Die Bestrebungen zur Herstellung des Friedens mit den Schweden kamen nun in lebhafteren Fluss. Eine brandenburgische Gesandtschaft ging nach Stockholm und brachte dort am 24. Juli 1641 einen Waffenstillstand zum Abschluss, der die Grundlage zum künftigen Frieden werden sollte. Die Schweden behielten sich darin, indem sie den Hauptteil der Mark zu räumen versprachen, noch eine ganze Reihe wichtiger Plätze vor, wie Driesen, Frankfurt a. O., Landsberg a. W., Gardelegen, Werben; außerdem sollte ein schwedischer Kommissar dauernd in Küstrin sich aufhalten, um die Ausführung und Beobachtung des Vertrags zu kontrollieren. Der Vertrag wurde vom Kurfürsten nicht ratifiziert, aber trotzdem sind seine Bestimmungen in der nächsten Zeit von beiden Teilen in der Hauptsache doch beobachtet worden. Man betrachtete das Abkommen beiderseits als einen Schritt zum Frieden; und deshalb ging man nun auch in Brandenburg schon an die von den Ständen geforderte Reduktion der Truppen. Die Obersten leisteten dabei zum Teil heftigen Widerstand und verweigerten offen den Gehorsam: Rochow drohte, Spandau, dessen Kommandant er war, in die Luft zu sprengen; Goldacker ging einfach mit seinem Reiterregiment auf und davon und trat in kaiserlichen Dienst. Der Hauptgehilfe des Statthalters bei diesem Reduktionsgeschäft, wo die rückständigen Forderungen der Truppen und ihrer Kommandeure zu befriedigen waren und wo es vielfach auf gewaltsames Durchgreifen ankam, ist Konrad von Burgsdorff gewesen, damals Kommandant von Küstrin, der einzige von den Kriegsobristen, der sich nie unter die Diktatur Schwartzenbergs gebeugt hatte und darum auch bei den Ständen wohlangesehen war. Seine Stellung wurde jetzt eine sehr bedeutende. Er trat in den Geheimen Rat ein und spielte bald als Oberkämmerer des Kurfürsten neben dem Kanzler v. Götzen die Hauptrolle. Der Geheime Kriegsrat, der das Organ Schwartzenbergs gewesen war, wurde aufgelöst; die militärischen Steuerexekutionen hörten auf; die Verwaltung nahm wieder mehr einen friedlichen Zivilcharakter an. Die Stände bewilligten nicht mehr als die Mittel für etwa 2.000 Mann Fußvolk und 125 Reiter. Diese Truppen, die als Festungsbesatzungen angesehen wurden, sind nicht mehr auf den Kaiser vereidigt worden. Aber sie genügten natürlich nicht, um die Neutralität, die der Kurfürst gern behauptet hätte, zu schützen. Als Torstenson 1642 durch die Mark vorrückte und nun auch kaiserliche Völker die Grenzen des Landes überschritten, da war man um nichts besser daran, als vor den Verhandlungen mit Schweden. Der Statthalter konnte das Land nicht schützen; er sah sich zum Gegenstand der Klagen und Vorwürfe aller derer gemacht, die Hilfe von ihm begehrten und denen er nicht helfen konnte. Er bat einmal über das andere um seine Entlassung. Er fürchtete beständig Intrigen und Verleumdungen beim Kurfürsten. Schließlich brach die quälende Spannung seiner Geistes- und Gemütskräfte in Verfolgungswahnsinn aus. Man musste ihn in Gewahrsam nehmen. Im Oktober 1642 ist er gestorben.
Jetzt hat sich der Kurfürst entschlossen, selbst in die Mark zu kommen und die Zügel der Regierung in die eigene Hand zu nehmen. Im März 1643 erschien er in Küstrin, begleitet von Burgsdorff, der öfter zu ihm nach Preußen herübergekommen war. Er siedelte dann nach Cölln a. Spree über, wo in dem verfallenen Schlosse kaum noch ein anständiges Unterkommen für ihn beschafft werden konnte. Nun begann eine rastlose Regententätigkeit. Der Geheime Rat wurde durch die vom Kurfürsten aus Preußen mitgebrachten Räte wieder vervollständigt und hielt fast täglich Beratungen unter dem Vorsitz des Kurfürsten selbst. Erst jetzt lernte der junge Herrscher das ganze trostlose Elend des Landes kennen. Als das Notwendigste erschien die Herstellung eines festen und klaren Verhältnisses zu Schweden. Das gelang nur unvollkommen in wiederholten Verhandlungen. Der Kurfürst musste den Schweden auch weiterhin den Durchzug durch sein Gebiet gestatten; er musste ihnen monatlich 10.000 Taler und 1.000 Scheffel Mehl zur Verpflegung ihrer in der Mark stehenden Truppen liefern. Dafür verzichteten sie auf die Ausübung obrigkeitlicher Rechte in den Teilen des Landes, die sie noch besetzt hielten. Tatsächlich freilich war der Kurfürst damit noch immer nicht wieder wirklich Herr in seinem Lande. Es fehlte vor allem an einer Truppenmacht, auf die er sich stützen konnte; denn jene Kompagnien, die Markgraf Ernst hatte beibehalten wollen, waren auch auseinandergelaufen. Und das war nun der zweite wichtige Schritt, den er tat, das er sich entschloss, eine neue Rüstung anzustellen und so den Fehler von 1641, der sich so schwer gerächt hatte, wieder gutzumachen. Mit den Mitteln der Kurmark allein war das nicht zu bewerkstelligen, obwohl im Jahre 1643 noch 30.000 Taler aus dem Lande herausgeholt worden sind. Preußen und Cleve-Mark mussten Geld und Menschen dazu aufbringen. In Preußen war Burgsdorff dabei als Vertreter des Kurfürsten tätig, in Cleve-Mark der im Februar 1613 dort zum Statthalter ernannte General v. Norprath. Burgsdorff wurde jetzt der maßgebende Mann in der Umgebung des Kurfürsten. Wie er ihm früher (1641) geholfen hatte, die Reduktion der widerspenstigen, unbotmäßigen Soldateska der Schwartzenbergschen Zeit durchzuführen, so ist er jetzt auch sein vornehmstes Werkzeug für die Neubewaffnung von 1644 geworden. Sein offenes, derbes, soldatisches Wesen wirkte wohltuend auf den noch etwas zaghaften und unentschlossenen jungen Herrscher ein. Er war ein Draufgänger, aber nicht ohne Schlauheit und diplomatischen Takt, voll von naiver Selbstsucht, keineswegs untadelhaft in seinem persönlichen und amtlichen Verhalten, ein Trinker und Spieler, wie die meisten damaligen Kriegsobristen (Obrist veraltet für Oberst), oft brutal und rücksichtslos, aber ein Mann, wie ihn die Zeit brauchte, und, was nicht unwichtig war, glücklich in seinen Verhandlungen mit den Ständen in Preußen wie in der Mark. Seine Energie und sein Selbstvertrauen stärkten den Mut des jungen Herrschers in seiner schweren Lage. Im Jahre 1643 hat er nach alter Kriegsweise Waffenbrüderschaft mit ihm geschlossen, wobei einer dem andern für den Fall eines plötzlichen Todes seine Waffen vermachte. Bis 1651 ist Burgsdorff sein Hauptratgeber und –gehilfe gewesen. An der kraftvollen Männlichkeit dieses Mentors hat er seine eigene zugreifende Tatkraft geschult und entwickelt.
Die in Preußen geworbenen Truppen wurden zum Teil zur See nach Cleve gebracht, weil der General Norprath auch dort mit militärischer Macht auftreten musste, um den Anmaßungen des Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm zu begegnen. In kurzer Zeit sind dort 4.100 Mann versammelt worden. Nach der Mark Brandenburg brachte man zunächst nur 2.400 Mann; in Preußen selbst blieben 1.200 – 1.300, die im Notfall noch durch 5.000 – 6.000 Mann sogenannter Wibranzen (eine polnische Bezeichnung für die preußische Landmiliz) verstärkt werden konnten. So hatte der Kurfürst an regulären Truppen 7.800 Mann zur Verfügung, die bald noch vermehrt worden sind. Es waren kurfürstliche Truppen, die nur auf ihn selbst, nicht mehr auf den Kaiser vereidigt wurden. Seit dieser Werbung von 1644 sind die Truppen niemals wieder ganz abgedankt worden; insofern könnte man von da ab den Bestand eines stehenden Heeres datieren. Man begann damals auch schon die Grundlagen einer dauernden Bewaffnung, eines miles perpetuus, zu bedenken. Eine Denkschrift des späteren Geheimen Rates Kurt Bertram von Pfuel, die dem Kurfürsten nicht unbekannt geblieben ist, faste schon eine Verbindung des üblichen Werbesystems mit dem Prinzip der Dienstpflicht einheimischer Bauernsöhne ins Auge und riet, die Offiziere aus dem märkischen Adel zu nehmen, der in allen Kriegsheeren der Zeit zahlreich vertreten war. Sie hatte schon ein Heer von 9.000 Mann Fußvolk und 2.000 Reitern im Auge und glaubte, dass die Domäneneinkünfte, ständische Bewilligungen, namentlich städtische Steuern und Lehnpferdegelder des Adels als Ablösung der alten Roßdienste zu dessen Unterhaltung ausreichen würden. Es waren Gedanken, die weit in die Zukunft wiesen; für die Gegenwart sind sie damals noch nicht von praktischem Einfluss gewesen.
Auf diese Truppen gestützt hat nun die kurfürstliche Politik doch schon einige kleine Erfolge errungen. In Cleve-Mark wurden eine Anzahl von Plätzen durch die fremden, namentlich hessischen Truppen geräumt, wenn man auch die niederländischen Besatzungen, die zur Sicherung der Pfandobjekte für die unter Georg Wilhelm aufgenommene Hoesensersche Schuld bestimmt waren, noch keineswegs aus dem Lande losgeworden ist. In der Mark erreichte man wenigstens die Räumung von Krossen und Frankfurt durch die Schweden, die damals im Kriege mit Dänemark waren; der Kriegsmacht des kaiserlichen Generals Gallas freilich, der 1644 die Mark bedrohte, waren die brandenburgischen Truppen entfernt nicht gewachsen. Die kaiserliche Politik ließ es Brandenburg entgelten, das der Kurfürst mit den Schweden über eine engere Verbindung unterhandelte. Er bemühte sich damals ernstlich um die Hand der Königin Christine, der Tochter Gustav Adolfs. Aber Christine wollte unvermählt bleiben, und die schwedischen Staatsmänner wünschten keinen Gemahl für die Königin, der eine so unbequeme Herrschernatur war wie der brandenburgische Kurfürst. Sie verstanden ihn aber im Interesse ihrer politischen Verhandlungen hinzuhalten bis in das Jahr 1646 hinein. Sobald der Kurfürst ihre Absicht durchschaute, gab er mit kurzem Entschluss den schwedischen Heiratsplan auf und bewarb sich um die Hand der Tochter des Prinzen Friedrich Heinrich von Oranien, Luise Henriette, die, damals durch eine andere Neigung gefesselt, nur widerwillig und auf den dringenden Wunsch ihrer Mutter das Jawort gab. Sie war eine Enkelin des großen Oraniers Wilhelms des Schweigsamen, eine Urenkelin des Admirals Coligny. Im Sommer 1646 fand die Verlobung statt, im Dezember die Hochzeit. Der Gedanke an diese Verbindung war so wenig neu wie der schwedische Heiratsplan; sie lag wie dieser in der Richtung einer evangelischen Politik. Ein Bündnis mit der Republik der Vereinigten Niederlande wäre dem Kurfürsten damals sehr erwünscht gewesen; aber es war schwer zu erreichen, weil die Generalstaaten und insbesondere die Amsterdamer Kaufmannsaristokratie, die in Holland den Ausschlag gab, davon eine Stärkung des monarchischen Prinzips, das die Oranier in der Republik darstellten, befürchteten; vergeblich ist der Kurfürst selbst im Februar 1647 vor den Generalstaaten mit seinem Bündnisvorschlage aufgetreten. Die politischen Vorteile der oranischen Heirat verschwanden vollends durch den bald darauf erfolgten Tod des Prinzen Friedrich Heinrich ( März 1647) und das unerwartet frühe Hinsterben seines Sohnes Wilhelms II. ( 1650); aber in Luise Henriette hatte der Kurfürst eine vortreffliche Lebensgefährtin gefunden, deren zarte Lieblichkeit mit der Strenge und Kraft seines männlichen Wesens gut zusammenklang, während Religiosität und Pflichtgefühl für beide Gatten den gemeinsamen Boden einer ernsten Lebensführung bildeten.
Das große politische Interesse dieser Jahre knüpfte sich an die Friedensverhandlungen, die seit 1644 in Münster und Osnabrück zwischen Kaiser und Reich einerseits, Frankreich und Schweden andererseits im Gange waren. Brandenburg war in Münster hauptsächlich durch den Grafen von Sayn-Wittgenstein und den Dr. Fromhold, in Osnabrück, wo Adler Salvius die schwedische Sache führte, durch Herrn v. Löben und Dr. Wesenbeck vertreten. Seit dem Frankfurter Deputationstage von 1643, wo auch Brandenburg selbständiger gegen den Kaiser aufgetreten war, stand es fest, dass der Prager Friede mit dem Übergewicht des Kaisers nicht mehr die Grundlage für den allgemeinen Friedensschluss sein könne, dass die „Libertät“ der Reichsstände nicht nur in vollem Umfange gewahrt, sondern das sie im Sinne der völkerrechtlichen Selbständigkeit fortgebildet werden müsse. Das Recht der Fürsten, eigene Truppen zu halten und Bündnisse mit fremden Mächten zu schließen, das der Westfälische Friede brachte, ist die Grundlage der ganzen weiteren brandenburgischen Politik geworden; ein äußeres Zeichen für diese erhöhte Stellung war das Prädikat „Serenitas“, das der Kurfürst sich auf dem Kongress erstritten hat. Auch das war nicht mehr zweifelhaft, das man in der religiösen Frage auf den Augsburger Religionsfrieden zurückgreifen musste; es handelte sich nur noch darum, wie die Stellung der Reformierten gestaltet werden sollte, die ja bisher reichsrechtlich überhaupt nicht gesichert war, weil man sie nicht zu den „augsburgischen Konfessionsverwandten“ rechnete. Die lutherischen Reichsstände, an ihrer Spitze Kurfürst Johann Georg von Sachsen, suchten sie auch jetzt noch von den Vorteilen des Religionsfriedens auszuschließen; aber der Energie und Entschiedenheit des brandenburgischen Kurfürsten, für den dies eine Frage von fundamentaler Bedeutung war, gelang es, freilich erst in letzter Stunde, für seine Glaubensgenossen dieselben Rechte wie für die Lutheraner durchzusetzen; es ist das ideale Moment in diesen sonst ganz auf realen Vorteil und Gewinn gerichteten Verhandlungen.
Die Punkte, um die in Münster und Osnabrück am heftigsten gekämpft worden ist, betrafen die „Satisfaktion“ der „fremden Kronen“, Frankreich und Schweden, und damit die Fragen der neuen Länderverteilung, der Umgestaltung der Karte des Deutschen Reiches; und unter diesen Fragen stand die, welche vornehmlich Brandenburg anging, auch für das allgemeine Interesse im Vordergrunde: die pommersche Frage. Seit Schweden den dänischen Krieg (1643—45) siegreich beendet und den Frieden von Brömsebro mit Dänemark geschlossen hatte, forderte Salvius ganz Pommern als „Satisfaktion“ für Schweden und bot dem brandenburgischen Kurfürsten, dessen gutes Recht ja nicht zu bestreiten war, zur Entschädigung die säkularisierten Stifter. Vergebens versuchte der Kurfürst den Beistand Frankreichs zur Behauptung der pommerschen Erbschaft zu gewinnen; die Sendung Fabians v. Dohna nach Paris blieb in der Hauptsache ohne Erfolg. Nach langem Schwanken entschloss sich der Kurfürst dann im August 1646, Vorpommern den Schweden zu überlassen, aber nur bis zur Peene; Wolgast und die Odermündungen samt Stettin und der freien Oderschifffahrt forderte er für sich und dazu, als Entschädigung für Vorpommern, die Stifter Halberstadt, Minden, Hildesheim, Osnabrück, Münster, Bremen samt der Anwartschaft auf Magdeburg und auf die schlesischen Fürstentümer Glogau, Sagan, Schweidnitz, Jauer. Auch an Jülich und Berg dachte er noch. Aber es war keine Aussicht vorhanden, mit diesen starken Forderungen durchzudringen. Den Ausschlag gab schließlich die Vermittlung Frankreichs. Bei den erneuten Verhandlungen mit dieser Macht ist einmal der Gedanke aufgetaucht, Brandenburg durch die Überlassung von ganz Schlesien zu entschädigen, das anfangs die Schweden auch noch für sich gefordert hatten; die Aussicht, den Kurfürsten dauernd und auf das schärfste mit dem Kaiser zu verfeinden, passte natürlich gut in die Pläne der französischen Politik. Es war aber nur eine vorübergehende Wendung. Die Grundlage des Friedens ist eine Punktation geworden, die der französische Kongressvertreter Graf d’Avaux nach langem Kampf mit Johann Oxenstjerna am 7. Februar 1647 zum Abschluss gebracht hat; sie beruhte auf dem Prinzip einer Teilung von Pommern, wobei aber den Schweden außer Vorpommern auch die Odermündungen mit Stettin zufallen sollten. Nachdem auch das niederländische Allianzprojekt sich aufgelöst hatte, erwog der Kurfürst im Juni 1647, wie wir aus einer eigenhändigen Aufzeichnung wissen, in der er gleichsam wie im Selbstgespräch das Für und Wider erörtert, die Aussichten eines näheren Anschlusses an den Kaiser, der ihn damals als Ersatz für das unzuverlässige Bayern zu gewinnen suchte, oder an Schweden.
Der Anschluss an den Kaiser schien ihm nicht rätlich, vor allem, weil er meinte, das Haus Österreich als eine katholische Macht werde ihm, dem Ketzer, niemals Wort halten. Aber auch aus dem engeren Anschlusse an Schweden wurde nichts. Dem Kurfürsten blieb nichts anderes übrig, als sich zu fügen. Als Entschädigung erhielt er — außer den Kamminer Stiftslanden in Hinterpommern — die säkularisierten Bistümer Minden und Halberstadt und die Anwartschaft auf das Erzbistum Magdeburg, das der damalige Administrator, der sächsische Prinz August, noch bis zu seinem Tode behalten sollte. Diese Gebiete gingen an Umfang wie an Ertrag weit über das schwedische Pommern hinaus; dennoch hätte der Kurfürst sie gern dafür hingegeben. Noch nach dem Friedensschluss hat er den Schweden einen Tausch angeboten; er wollte zu den Entschädigungslanden sogar noch 2 Millionen Taler zulegen. Aber die Schweden wussten die Lage Pommerns und die Bedeutung der Odermündungen für Handel und Schifffahrt ebenso gut zu schätzen wie der Kurfürst von Brandenburg; das Tauschprojekt wurde abgelehnt.
Für die brandenburgische Politik bedeutet diese territoriale Gestaltung eine wichtige Wendung. Die Pläne des Kurfürsten gingen auf die Begründung einer See- und Handelsmacht nach dem Muster der Niederlande. Nun war Brandenburg gerade an dem wichtigsten Punkte von der See abgeschnitten. Mit den Entschädigungsprovinzen wurde es auf das Binnenland, auf die Ausdehnung in Norddeutschland, auf die Teilnahme an den Reichsangelegenheiten hingewiesen. Aber das war nach der Auffassung des Kurfürsten noch keine Entscheidung für immer: die Erwerbung des schwedischen Pommerns, namentlich Stettins und der Odermündungen, hat auch späterhin noch im Mittelpunkt seiner politischen Bestrebungen gestanden, und auf die Seemacht- und Handelspläne hat er niemals ganz verzichtet.
War es dem jungen Kurfürsten nicht gelungen, durch seine Neutralitätspolitik das pommersche Erbe in der gewünschten Ausdehnung seinem Hause zu sichern, so hatte er doch wenigstens der Mark Brandenburg mehrere Jahre vor dem allgemeinen Friedensschluss etwas von den Wohltaten verschafft, die mit dem Aufhören des Kriegszustandes verbunden waren. Die Mark war von allen seinen Ländern weitaus am schwersten durch die Kriegsnot betroffen worden. Sie hat die Bevölkerungszahl, die vor dem großen Kriege vorhanden war, erst nach hundert Jahren wieder erreicht, und zwar nur mit Hilfe ausländischer Einwanderer, die von der Regierung als Kolonisten hereingezogen wurden. Der Verlust an Menschen, den der Krieg gebracht hat, lässt sich nicht mit einer auch nur annähernden Genauigkeit angeben; nur so viel ist sicher, dass er erschreckend groß war. In der Altmark hat man ihn zu 50 Prozent, in der Mittelmark sogar zu 75 Prozent berechnen wollen. Es handelt sich dabei natürlich nicht bloß um Vernichtung von Menschenleben, wie sie namentlich durch Hunger und Pest, die unzertrennlichen Begleiter der Kriegsfurie, bewirkt wurden, sondern vielfach nur um eine Verschiebung der Bevölkerung, der durch Brand oder Verwüstung die Heimstätte genommen und die wirtschaftliche Lebensgrundlage zerstört war, und die nun aus den verbrannten, ausgeplünderten Dörfern und Städten, in denen Sicherheit, Nahrung und Unterkommen nicht mehr zu finden waren, entwich, um ein vagierendes Leben zu führen oder unter die Soldateska zu gehen oder anderswo einen Unterschlupf zu finden. Eine Tabelle der städtischen Feuerstellen aus dem Jahre 1645 zeigt, in welchem Maße das Eigentum durch den Krieg zerstört worden war. In vielen Städten ist die Hälfte, in andern zwei Drittel, in einigen gar fünf Sechstel der Häuser wüst geworden. Die Vorstädte von Berlin waren 1641 beim Herannahen der Schweden durch den Oberst v. Kracht abgebrannt worden; innerhalb der Walle zählte man in Berlin und Cölln nur noch 999 statt 1236 Feuerstellen; die Zahl der Einwohner betrug aber immerhin noch gegen 10.000. Wie es auf dem platten Lande aussah, zeigt ein Protokoll des Kreises Oberbarnim vom Jahre 1635: dort war damals schon ein Drittel aller Hufen und Höfe wüst geworden. Begreiflicherweise waren es namentlich die Bauern und Kossäten, die von dem Kriegsschaden betroffen wurden, während der Adel sich besser zu schützen vermochte. Die adligen Gutsbesitzer haben dann später auch vielfach die wüst gewordenen Höfe, deren Wirte nicht wiederkehrten, eingezogen und zum Rittergut geschlagen oder auch in Meiereien verwandelt. Der Umfang der Rittergüter, die damals durchschnittlich nur zwölf Hufen, gleich 300 Morgen, groß waren (also den siebenten Teil von dem durchschnittlichen Umfang im 19. Jahrhundert betrugen), haben sich in den nächsten 50 Jahren um 30 Prozent vergrößert. Als die Kriegsnot vorüber war, begann sich das Land langsam wieder zu erholen; der Getreidebau war lohnend, namentlich in den Jahren, wo noch ringsumher die Truppen im Felde standen. Viel langsamer als das platte Land kamen die Städte wieder zu Kräften. Ihre Blüte hatte schon lange vor dem Kriege aufgehört; die Konjunktur in Handel und Gewerbe war ihrem Gedeihen nicht förderlich in einer Zeit, wo die Staatliche Ohnmacht und Zersplitterung Deutschlands aller Welt offenbar wurde, während ringsumher, in Frankreich, in den Niederlanden, in England und den nordischen Reichen eine starke Staatsgewalt auch das Wirtschaftsleben der Bevölkerung zu schützen und zu entwickeln vermochte.
Auch in Brandenburg hat es nicht an Versuchen gefehlt, den zerstörten Wohlstand des Landes wiederherzustellen. Der Kurfürst hat sich namentlich bemüht, ausländische Kolonisten, insbesondere Niederländer, anzusiedeln, die verwahrlosten Deiche und Dämme der Flussniederungen herzustellen, öde Ländereien mit neuen Wirten zu besetzen. Aber von großer Bedeutung konnte diese Staatshilfe zunächst nicht sein; es fehlte an Mitteln dafür, auch an einem geeigneten Beamtenapparat. Die fortdauernde Kriegsrüstung, die doch eine bittere Notwendigkeit war, verschlang fast alles, was das Land herzugeben vermochte. Der Zusammenbruch des ständischen Kreditwerks, das schon zu Anfang des Krieges seine Zahlungen eingestellt hatte, war von den verderblichsten Folgen für die Geldbesitzer geworden, die ihre Kapitalien hier angelegt hatten. Die ungeheuren Kontributionen, die Kaiserliche und Schweden während des Krieges dem Lande abpressten, hatten die ohnehin nicht große Kapitalkraft der Bewohner erschöpft. Es bedurfte eines gesetzlichen Eingriffs, um die Schuldner, die jetzt zahlen sollten, vor dem gänzlichen Ruin zu bewahren. Auf dem Landtage von 1643 wurde ein Moratorium, d. h. eine Stundung der Zahlungsverpflichtungen an Zinsen und Kapital, zunächst auf fünf Jahre erlassen; es hat später noch verlängert werden müssen. Erst allmählich gelang es, die verwirrten Kreditverhältnisse wieder zu ordnen.