3.1 Die allgemeine Lage im 15. Jahrhundert
Die große Aufgabe, die dem ersten Hohenzollern in der Mark und seinen Nachfolgern gestellt war, ein gänzlich zerrüttetes, nach innen und außen in Verfall und Auflösung geratenes Grenzland zu alter Macht und Ordnung wiederherzustellen, musste unter erschwerenden Umständen in Angriff genommen werden, wie sie aus der Veränderung der allgemeinen Weltlage entsprangen. Die günstigen Bedingungen, unter denen einst die Machtbildung der Askanier zustande gekommen war, hatten sich in das Gegenteil verkehrt. Rings um die Mitte Europas bildeten sich im 15. Jahrhundert mächtige Staaten aus, während das Deutsche Reich in seiner Auflösung langsam, aber unaufhaltsam fortschritt; vor allem die Völker des Ostens, deren Schwäche früher die Ausdehnung des deutschen Volkstums begünstigt hatte, gewannen politische Gestalt und Stärke in Staatsbildungen, die dem deutschen Wesen fremd und feindlich gegenüberstanden und nicht bloß seiner weiteren Ausdehnung einen Damm entgegensetzten, sondern es auch in den früher gewonnenen Grenzen bedrohten. Wie im Westen das burgundische Reich sich die deutschen Niederlande einverleibt hatte und durch seine Ausdehnungsbestrebungen dazu beitrug, dass im Süden die schweizerische Eidgenossenschaft ihre Kräfte in selbständiger Abwehr entfaltete und erprobte, um sich schließlich dem Reiche ganz zu entziehen, wie im Norden die skandinavische Union sich Schleswig-Holstein angliederte und der Hansa die Herrschaft über das Baltische Meer streitig machte, so bildeten sich im Osten in Polen, Böhmen und Ungarn gefährliche Nachbarn für die Hüter der deutschen Grenzmarken heraus, die bestrebt waren, wie in einer Gegenbewegung gegen die vorausgegangene deutsche Besiedelungs- und Ausdehnungsepoche, bedeutende Stücke des ostelbischen Kolonialgebiets unter ihre Botmäßigkeit zu bringen; und während die südliche deutsche Grenzmacht, Osterreich, im 16. Jahrhundert die längst erstrebte Herrschaft über Böhmen und Ungarn wirklich gewann, hat es Jahrhunderte gedauert, bis Polen aufhörte, ein bedrohlicher Nachbar für Brandenburg zu sein.
Der Deutsche Orden, seit dem Zusammenbruch der askanischen Dynastie im 14. Jahrhundert zur Zeit seiner höchsten Blüte der Vorkämpfer des Deutschtums auf dem Kolonialboden des Ostens und die vorwaltende Macht in diesen Gegenden überhaupt, hatte sich gegen das vereinigte polnisch-litauische Reich des Wladislaw Jagello auf die Dauer nicht zu behaupten vermocht, und seit der Niederlage von Tannenberg, die nicht zufälligen Umständen, sondern tiefliegenden Gründen zuzuschreiben ist, waren die Tage seiner Macht nicht nur, sondern auch seiner Selbstständigkeit gezählt. Die heillose Schwäche dieser Staatsbildung bestand vornehmlich darin, dass der Orden, als eine Genossenschaft landfremder, ehelos lebender Ritter eine Herrschaft darstellte, die nicht im Lande selbst wurzelte und weder in den Bürgerschaften der Städte, noch in der Landritterschaft und ihren untertänigen Bauern einen Rückhalt fand. Auch die Ausbildung einer ständischen Verfassung hat die Bevölkerung nicht enger an den Orden zu binden vermocht; gerade ihr Abfall und ihr Anschluss an Polen hat nach 13 jährigem Kriege das Schicksal des Ordens entschieden, das der Thorner Friede von 1466 besiegelte. Westpreußen musste der Orden an Polen abtreten, für Ostpreußen musste er die polnische Oberhoheit anerkennen. Von Deutschland abgeschnitten, in der Abhängigkeit von Polen, hatte der Rest des alten Ordensstaates keine erhebliche politische Bedeutung mehr, auch nicht, als er sich im 16. Jahrhundert in ein weltliches Herzogtum verwandelte; erst die Verbindung Ostpreußens mit Brandenburg unter der Hohenzollernschen Dynastie hat die tüchtigen Kräfte, die das Land barg, für die deutsche Geschichte zurückgewonnen.
Das Haus Österreich hatte die Verbindung mit Böhmen und Ungarn, die nach des Luxemburgers Sigmund Tode unter König Albrecht II. eingetreten war, nicht lange zu behaupten vermocht. Als dessen Nachfolger, Ladislaus Postumus, im 18. Jahre an der Pest gestorben war, da erhob sich in beiden Reichen eine einheimische Fürstengewalt, die nicht nur den österreichischen Ansprüchen, sondern auch dem deutschen Übergewicht im Osten mit Kraft und Erfolg entgegentrat. In Böhmen war diese Umwandlung schon durch die Hussitenkriege vorbereitet worden, die ebenso die Stoßkraft des durch religiöse Leidenschaft erregten tschechischen Volkstums zum Ausdruck brachten wie die Ohnmacht und Unbehilflichkeit der deutschen Reichsverfassung; in dem Boden dieses Volkstums und der utraquistischen Lehren wurzelte die Herrschaft des Königs Georg Podiebrad, der, solange er lebte (✝1471), auch für die Hohenzollern eine Macht bedeutete, deren Einfluss oft maßgebend war. In Ungarn war es die Türkengefahr, die zur Zusammenfassung der nationalen Kräfte zwang und den Sohn des kriegsberühmten Gubernators Hunyadi Janos, Matthias Corvinus, auf den ungarischen Thron brachte. Dessen Hand hat noch schwerer als die des von ihm bekämpften Hussitenkönigs auf dem deutschen Osten gelegen. Er hat Mähren, Schlesien und die Lausitzen von Böhmen abgerissen und in seine Hand gebracht; er ist dem Vordringen Brandenburgs ebenso in Pommern wie in Schlesien hinderlich gewesen. Im Gegensatze zu ihm hatte Georg Podiebrad sich auf Polen gestützt und hatte auch die Nachfolge in Böhmen an den Sohn des polnischen Königs Kasimir II., Wladislaw, gebracht, der ihm 1471 folgte und 1479 dem Ungarnkönig die abgerissenen Nebenländer durch förmlichen Vertrag überließ. Aber die Vereinigung von Ungarn und Böhmen, die Matthias Corvinus vergeblich erstrebt hatte, ist nach seinem Tode 1490 doch zustande gekommen, und zwar in der Weise, das König Wladislaw, der die Witwe des Königs Matthias heiratete, auch in Ungarn zum König erhoben wurde. Die Türkengefahr drängte zu einer Vereinigung von Reichen, weil die einzelnen für sich nicht mächtig genug schienen. Diese Verbindung von Böhmen und Ungarn unter einem König aus jagellonischem Hause brachte aber zugleich die beiden Reiche in ein engeres Verhältnis zu Polen und gab damit der jagellonischen Dynastie ein entschiedenes Übergewicht im europäischen Osten, das Österreich durch einen Erbvertrag von 1491 für sein Hausinteresse auszunutzen verstand, das aber für die brandenburgische Machtstellung eben damals verhängnisvoll geworden ist.
Diese Verhältnisse, die den Hintergrund der allgemeinen Politik charakterisieren, muss man im Auge behalten, wenn man die politische Haltung der brandenburgischen Hohenzollern im 15. Jahrhundert, ihre Entwürfe und Schicksale, ihre Errungenschaften und Misserfolge richtig verstehen will.