5.1 Allgemeiner Charakter des Zeitalters von 1598—1648

5.1 Allgemeiner Charakter des Zeitalters von 1598—1648

Die allgemeine Weltlage war in dem nächsten halben Jahrhundert von 1598 – 1648 einer Verwirklichung der brandenburgischen Ansprüche namentlich auf die jülich-cleveschen Länder nicht günstig. Die katholische Partei war nicht nur im Reich, sondern in ganz Europa im Vordringen. Zwar hatte Philipp II. von Spanien seine großen Pläne, die auf eine Beherrschung von Frankreich und England im Dienste der katholischen Idee hinausliefen, nicht durchzuführen vermocht; aber Spanien blieb eine starke Stütze der katholischen Restauration, und die Haltung des kaiserlichen Hauses von Österreich diente den Bestrebungen der katholischen Stände im Reich immerhin zum Rückhalt, wenn auch Rudolf II. in seinen eigenen Erblanden zum Teil vor den protestantisch-ständischen Bewegungen zurückweichen und in Böhmen durch den Majestätsbrief von 1609 religiöse Duldung zugestehen musste, und obwohl nach dem lähmenden Bruderzwist im habsburgischen Hause mit Kaiser Matthias 1612 eine mildere und versöhnlicher Richtung aufkam, deren Hauptvertreter der Kardinal Klesl war. Aber die protestantische Welt gewann dadurch nur eine kurze Ruhepause. Der Sturz Klesls und das Prager Bündnis von 1617 bezeichnen eine neue Epoche, in der die beiden habsburgischen Häuser in Spanien und Österreich mit vereinten Kräften bemüht waren, die protestantischen Mächte niederzuwerfen und ihr eigenes Übergewicht in Europa zur Geltung zu bringen. Spanien verfolgte damals den groß angelegten Plan, von Mailand aus über das Veltlin und den Rhein entlang sich eine Reihe von Stützpunkten zu erwerben, die eine militärische Verbindung mit den Niederlanden ermöglichen und Frankreich, den alten Gönner der deutschen Protestanten, von dem Einfluss auf das Reich abschneiden sollte. In diesem Zusammenhange gewannen die jülichschen Erbschaftslande eine ganz besondere Bedeutung für die spanische Politik; und das österreichische Interesse war hier umso stärker im Spiel, als der österreichische Erzherzog Albrecht, der Gemahl der Tochter Philipps II., Isabella, in den spanischen Niederlanden als erblicher Statthalter waltete. Mit dem Regierungsantritt Ferdinands von Steiermark, der jenen Prager Vertrag mit Spanien geschlossen hatte, verbanden sich in dem habsburgischen Kaisertum mit den Hausinteressen noch einmal die alten Bestrebungen der Wiederherstellung des Katholizismus und der Aufrichtung des kaiserlichen Dominats im Reich. Diese verbündete spanisch-österreichische Politik errang zunächst im Dreißigjährigen Kriege große Erfolge; und auch nach dem Eingreifen der schwedischen und der französischen Krone blieb die Macht des Kaisers doch noch immer so bedeutend, dass Brandenburg auf die Dauer nicht imstande war, sich seinem Einfluss zu entziehen. Erst in den letzten Jahren des Dreißigjährigen Krieges, als Spanien von Frankreich wirksamer bekämpft wurde und die Schweden in Bayern und Böhmen siegreich vordrangen, brach die vereinigte spanisch-habsburgische Macht zusammen, und der schwere Druck, der auf der protestantischen Welt und namentlich auch auf Brandenburg gelastet hatte, begann nachzulassen. Erst durch diese Wendung ist es für Brandenburg möglich geworden, die neuen Länder, die ihm durch Erbschaft in diesem Zeitraum zugefallen sind, wenn auch keineswegs in vollem Umfange, zu behaupten und außerdem noch weitere Gebiete zu erwerben. Erst seit dem Westfälischen Frieden war auch durch die Veränderung der großen Weltverhältnisse die Möglichkeit zu einer selbständigen und erfolgreichen Politik Brandenburgs geboten, wie sie der große Kurfürst auf die Bahn gebracht hat: seine Erfolge beruhten darauf, dass er zwischen der kaiserlich-spanischen Partei und den beiden fremden Kronen eine nach den Konjunkturen wechselnde Stellung wählen konnte und so durch eine geschickte Gleichgewichtspolitik allmählich emporzukommen und seine Länder zu einem selbständigen Staatswesen zu erheben vermocht hat.

Während die katholische Partei nicht bloß im Reiche fest zusammenhielt, sondern auch in der europäischen Staatenwelt hauptsächlich durch das Zusammenwirken von Spanien und Österreich eine imponierende Macht darstellte, waren die Protestanten uneinig und haben es nur mit Mühe und nur auf kurze Zeit zu einer Vereinigung ihrer Kräfte im Reiche und in der europäischen Politik gebracht. Das Haupthindernis war der Gegensatz zwischen Lutheranern und Calvinisten, der nicht bloß in den Abweichungen der Glaubenslehre, sondern zugleich auch in dem verschiedenartigen politischen Geist der beiden Glaubensparteien wurzelte. Der Calvinismus, wie er sich in Westeuropa, namentlich in dem Freiheitskampf der Niederlande und in den Hugenottenkriegen betätigt hatte, trug ein revolutionäres, der monarchischen Staatsordnung feindliches Zeichen an sich, das den deutschen Fürsten verdächtig, ja unheimlich erschien. Aber in diesem Lager leuchteten Namen wie Coligny und Oranien, und der Heroismus des Glaubenskampfes verband sich hier mit einem weiten politischen Horizont und mit Erfahrung und Geschick in den Künsten des Krieges und der Diplomatie. Auf der andern Seite waren die lutherischen Fürsten Deutschlands mit ihrer unpolitischen Gewohnheit, still zu sitzen und höchstens einen bloß passiven Widerstand auf dem Boden der gemeinen Reichsverfassung zu leisten, der katholischen Übermacht durchaus nicht gewachsen und in Gefahr, ihrer reichsverfassungsmäßigen Rechte verlustig zu gehen. Hier war Kleinmut und Ängstlichkeit, politische Kurzsichtigkeit und Ratlosigkeit, und es schien nur die Wahl zu bleiben zwischen den beiden Möglichkeiten, entweder durch Paktieren mit dem Kaiser unter grundsätzlicher Abwendung von den calvinistischen Rebellen in Westeuropa die Duldung im Reich und vielleicht einige kleine Vorteile zu erlangen oder aber in Verbindung mit den Calvinisten eine kühne Machtpolitik ins Werk zu setzen, unbekümmert darum, ob dadurch der Bruch mit dem Kaiser und seinem katholischen Anhang im Reich unvermeidlich wurde. Den einen Weg hat Sachsen eingeschlagen, den andern Brandenburg.

Es ist kein Zufall, dass das Haus Brandenburg seit dem Moment den Annäherungsversuchen der Calvinisten entgegengekommen ist, wo die Aussicht auf die Erwerbung der jülichschen Ländermasse sich eröffnete. Es war vorauszusehen, dass diese Erwerbung auf den Widerstand Spaniens und des österreichischen Kaisers stoßen würde, und das sie nur in Gemeinschaft mit den europäischen Gegnern dieser beiden Mächte, d. h. durch einen allgemeinen evangelischen Bund der deutschen Protestanten mit den Niederländern und Franzosen werde durchgesetzt und behauptet werden können. Der wesentlichste Schritt, den Brandenburg auf dieser Bahn getan hat, war unter Joachim Friedrich die Herstellung eines politischen Einverständnisses und einer Familienverbindung mit dem calvinistischen kurpfälzischen Hause, das damals den Zusammenhang zwischen der deutschen protestantischen Welt und den Reformierten in Frankreich und den Niederlanden aufrecht erhielt und schon längst an Sachsens Stelle die Führung der evangelischen Sache in Deutschland übernommen hatte. Damals hat Johann Sigismund den Heidelberger Katechismus kennen gelernt und einen tiefen Eindruck von dem Geist empfangen, der bei den Calvinisten herrschte. Es war nicht bloß ein anderes Glaubensbekenntnis, sondern auch eine andere politische Wellanschauung, die seinem empfänglichen Gemüt hier entgegentrat; und wenn von den Kräften, die darin wirksam waren, die religiösen ihn auch stärker ergriffen haben als die politischen, so war es doch unvermeidlich, das mit seinem Übertritt zum calvinistischen Glaubensbekenntnis zugleich die Politik seines Hauses eine neue in die Zukunft wirkende Richtung erhielt. Im Gegensatz zu der Haltung Sachsens, das in kleinfürstlicher Ängstlichkeit und beschränkter Loyalität den spanisch-österreichischen Einflüssen unterlag, fasste Brandenburg damals das große Ziel einer selbständigen protestantischen Macht ins Auge; und wenn auch die persönlichen Eigenschaften der beiden ersten reformierten Hohenzollern und die Kräfte ihres Landes noch nicht ausgereicht haben, um unter den damals obwaltenden schwierigen Weltverhältnissen dieses Ziel zu erreichen oder auch nur es unentwegt zu verfolgen, so war doch damit eine Aufgabe gestellt, an der spätere Generationen sich wieder versuchen mussten. Selbst der völlige politische Rückfall unter Georg Wilhelm, der Brandenburg im Dreißigjährigen Kriege wieder an die Seite Sachsens führte, hat nicht ausgereicht, um die Traditionen von 1605 und 1613 auszulöschen. Der Bekenntniswechsel hat freilich nicht vermocht, die Fürsten des brandenburgischen Hauses auch mit den heroischen Charaktereigenschaften auszurüsten, die die großen Führer der Calvinisten auszeichneten und deren es bedurft hätte, um in den Stürmen der Zeit das Steuer fest in der Hand zu behalten; aber als dann in Friedrich Wilhelm, dem großen Kurfürsten, der rechte Mann erschien, da war es doch von unendlicher Wichtigkeit, dass er im calvinistischen und nicht im lutherischen Lager stand, und das seine schwungvolle und tatkräftige Seele den starken Einflüssen geöffnet war, die aus den Traditionen Colignys und Oraniens entsprangen und die schon das Denken und Fühlen seiner Vorfahren berührt hatten, ohne ihnen mit der allgemeinen Richtung ihrer Politik zugleich auch Kraft und Erfolg zu verleihen.

 

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