5.3 Kurfürst Johann Sigismund (1608—1619)

5.3 Kurfürst Johann Sigismund (1608—1619)

Johann Sigismund war wohl schon beim Antritt seiner Regierung nicht mehr im Besitz der vollen Gesundheit, obwohl er erst 37 Jahre alt war. Er war eine weiche, leicht erregbare, aber wenig energische Natur. Die Kräfte des Gemüts waren stärker bei ihm ausgebildet als der politische Sinn und die Fähigkeit, verantwortungsvolle Entschlüsse zu fassen. Er war von tiefer Frömmigkeit, aber zugleich von einer derben Genussfreudigkeit, wie sie damals an den Fürstenhäusern überhaupt sehr stark im Schwange ging. Er liebte die Freuden der Tafel und einen starken Trunk; zunehmender Leibesumfang verband sich früh bei ihm mit geistiger Schwerfälligkeit und Unlust zu den Geschäften. Seine Ehe mit der preußischen Prinzessin Anna, der voraussichtlichen Erbin der jülichschen Lande, hatte den Charakter der Innigkeit, den sie anfänglich gehabt zu haben scheint, früh verloren, aber ohne das die eheliche Treue darunter gelitten hätte. Die Prinzessin war eine harte, eigenwillige und herrschsüchtige Natur; sie erhob den Anspruch, über ihr jülichsches Erbe nach eigenem Gefallen, unter Umständen auch wohl zugunsten eines jüngeren Sohnes, verfügen zu dürfen. Außer dem Kurprinzen Georg Wilhelm waren noch 6 Kinder aus dieser Ehe entsprossen, von denen das jüngste kurz nach dem Regierungsantritt geboren worden ist. Die Kurfürstin war starr lutherisch, während ihr Gemahl schon längst zum Calvinismus neigte. Sie hatte beständig ihre Partei am Hofe und arbeitete in vielen Stücken den Absichten ihres Gemahls entgegen. Es gab häusliche Szenen zwischen den Ehegatten, bei denen Teller und Gläser in Scherben gingen. Neben dem im Allgemeinen gutmütigen und schwachen Gemahl hat die Kurfürstin in den späteren Jahren mehr und mehr die Herrschaft im Hause und am Hofe an sich gerissen. In den früheren Jahren hatte Johann Sigismund einen Statthalter, der seine Stelle vertrat und den Vorsitz im Geheimen Rat führte. Diese Einrichtung war veranlasst durch die Tatsache, dass Johann Sigismund, als er die Nachricht vom Tode seines Vaters empfing, auf einer Reise nach Preußen begriffen war, die er nicht unterbrechen mochte; daher wurde zunächst für die Zeit seiner Abwesenheit sein Vertrauter, der Amtskammerpräsident Adam von Putlitz, zum Statthalter in Berlin bestellt — ein Verhältnis, das dann bestehen geblieben ist. Putlitz war ein Calvinist, der früher im Dienst des pfälzischen Johann Kasimir gestanden hatte; er gehörte zu den Gegnern des Kanzlers Löben und gab sich alle Mühe, ihn und seine Freunde zum Rücktritt zu veranlassen. Zuerst gelang ihm das bei dem Oberkämmerer Grafen Schlick, der sich aus Verdruss über die Eingriffe des Statthalters in sein Hofamt auf seine böhmischen Güter zurückzog; nach der Rückkehr des Kurfürsten erhielt auch Löben die nicht ganz freiwillig erbetene Entlassung; an seine Stelle als Kanzler trat Dr. Pruckmann, der im Stillen längst dem Calvinismus anhing. Bylandt, der früher dem Kurprinzen besonders nahe gestanden hatte und wohl als sein politischer Mentor angesehen werden darf, war kurz nach seinem Regierungsantritt gestorben.

Im März 1609 trat durch den Tod des irrsinnigen Herzogs Johann Wilhelm von Jülich der längst erwartete Fall der Eröffnung der großen niederrheinischen Erbschaft ein. Von brandenburgischer wie von neuburgischer Seite wurde eine rein formelle Besitzergreifung vorgenommen; aber der Kaiser verbot dies Vorgehen und lud die Beteiligten vor seinen Reichshofrat. Der Präsident dieser kaiserlichen Behörde, Graf Johann Georg von Hohenzollern-Sigmaringen (aus der Linie Hechingen), wurde mit der Vertretung des Kaisers an Ort und Stelle beauftragt, während der junge Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm, der die Erbschaft für sich in Anspruch nahm, persönlich dort erschien und Johann Sigismund seinen Bruder, den Markgrafen Ernst, entsandte. Die Landstände hielten sich zurück und traten nur für die Erhaltung der Einheit des ganzen Territorialbesitzes ein.

Eben damals schlossen die Niederlande den 12 jährigen Waffenstillstand mit Spanien, so dass auf ihre Unterstützung in der Jülicher Frage jetzt kaum zu rechnen war. Daher ließ sich Markgraf Ernst durch den klugen Rat des Landgrafen Moritz von Hessen, dem die Eintracht unter den protestantischen Fürsten am Herzen lag, dazu bestimmen, seine Instruktion zu überschreiten und im Mai 1609 zu Dortmund mit dem Neuburger ein Abkommen zu treffen, wonach beide Mitbewerber bis zur Entscheidung der Rechtsfrage gemeinschaftlich Besitz ergreifen wollten. Die Landstände waren damit einverstanden; sie leisteten jetzt den beiden „possidierenden“ (possidieren = besitzen) Fürsten die Erbhuldigung, die von Cleve-Mark in Duisburg, die von Jülich-Berg in Düsseldorf; sie bestanden dabei namentlich auf der Gewährleistung der Religionsfreiheit für die drei im Lande vertretenen Konfessionen. Die Festung Jülich aber wurde von dem Kommandanten den kaiserlichen Kommissarien übergeben, und der Erzherzog Leopold, ein streitbarer Kirchenfürst, Bischof von Passau und Koadjutor von Straßburg, übernahm dort das Kommando im Namen des Kaisers. Es handelte sich jetzt darum, ob das Haus Österreich hier am Niederrhein, in der Nähe der noch immer nicht dauernd befriedeten Niederlande, wo Erzherzog Albrecht als spanischer Statthalter waltete, festen Fuß fassen werde. Die Gegner Spaniens und Österreichs rührten sich überall; die possidierenden Fürsten sahen sich auf ihre Bundesgenossenschaft angewiesen. Christian von Anhalt machte den Vermittler, Erst jetzt trat Brandenburg im Februar 1610 auf dem Tage zu Schwäbisch-Hall zusammen mit Moritz von Hessen der Union bei, die damit ihren eigentlichen Abschluss erhielt. Zugleich schlossen die deutschen Protestanten ein Bündnis mit Frankreich, dem auch England und die Niederlande beitraten; ein Heer von 30.000 Mann, aus den Kontingenten der Verbündeten, hauptsächlich der Franzosen, gebildet, stand im Frühjahr 1610 bereit, Jülich dem Kaiser wieder zu entreißen. Es schien zu einem allgemeinen Kriege oder wenigstens zu einem großen Kriege zwischen Frankreich und Spanien kommen zu sollen; aber alles war noch unsicher. Die Republik der Niederlande hielt noch fest an dem Waffenstillstand mit Spanien, und auf der anderen Seite vermied es auch die katholische Liga, der Gegenbund, der sich gegen die protestantische Union im Reiche gebildet hatte, in der Jülicher Sache Partei zu ergreifen, so lange nicht katholische Interessen verletzt wurden; zwischen Frankreich und Spanien aber suchte die Kurie zu vermitteln, um den Krieg zu verhüten, für den die spanisch-österreichische Partei damals schlechter gerüstet war als Heinrich IV. von Frankreich. Um keinen Vorwand zum Kriege zu geben, war auch Erzherzog Albrecht geneigt, dem französischen König den Durchzug durch das belgische Gebiet zur Befreiung Jülichs zu gestatten. Noch ehe die Frage sich entschied, ob diese Unternehmung sich auf Jülich beschränken würde, ist Heinrich IV. (14. Mai) ermordet worden. Durch seinen Tod war nun die Gefahr eines großen Krieges abgewandt. Der Zug beschränkte sich auf Jülich. Die Festung wurde von den Verbündeten ohne große Mühe genommen, und die Possidierenden waren nun vorläufig im vollen tatsächlichen Besitz der Erbschaftsländer. Die Entscheidung des Erbstreites wollten sie nicht dem kaiserlichen Reichshofrat überlassen, weil dieser ganz aus Katholiken zusammengesetzt und kein unabhängiges Gericht, sondern ein politisches Werkzeug in der Hand des Kaisers war; sie dachten vielmehr an ein freigewähltes Fürstengericht, das allerdings im Namen des Kaisers die Entscheidung treffen sollte.

Brandenburg setzte sich durch diese Haltung in offenen Widerspruch zu der kaiserlichen Autorität. In der Ratsstube des Kaisers Rudolf zu Prag war schon die Rede von einer Ächtung des Kurfürsten; es war eine Gefahr, die alle lutherischen Verwandten Johann Sigismunds mit Angst und Entsetzen erfüllte. Man sieht, wie weit Johann Sigismund doch über die Linie der früheren lutherischen Politik hinausgegangen war. Im Gegensatz zu Brandenburg hatte Sachsen, dessen Ansprüche auf Jülich weniger gut begründet waren, Abstand davon genommen, im Lande Besitz zu ergreifen und sich mit der Entscheidung der Frage durch den Reichshofrat einverstanden erklärt. Kurfürst Christian II. schloss sich ebenso wie sein Bruder, der Herzog Johann Georg, umso enger an den Kaiser an, je mehr sich Brandenburg von diesem entfernte. Er erhielt denn auch im Juni 1610 von ihm die Belehnung mit den umstrittenen Landen, allerdings unter Vorbehalt der rechtlichen Entscheidung. Sachsen war zugleich vom kaiserlichen Hofe dazu ausersehen, bei der Vollstreckung der Reichsacht gegen den Brandenburger kräftig mitzuwirken. Kurfürst Christian II. drohte damals, er werde in die Mark einfallen, wenn der Brandenburger nach Jülich gehe. Johann Sigismund wurde von seinen nächsten Verwandten zum Nachgeben gedrängt, von seinem Bruder, dem Administrator Christian Wilhelm von Magdeburg, ebenso wie von seinem Oheim Christian von Bayreuth. Auch die märkischen Stände waren voll von Besorgnis und suchten auf die sächsische Landschaft einzuwirken, um einen Bruch zu verhüten und den Frieden zu erhalten. Am sächsischen Hofe aber waren die Worte stärker als Mut und Kraft zur Tat. Unter Vermittlung des hessischen Landgrafen Moritz kam es zwischen den beiden Kurfürsten am 31. März 1611 in Jüterbog zu einem Vergleich, in dem Brandenburg sich bereiterklärte, falls Neuburg zustimme, den Kurfürsten von Sachsen als Dritten in die Gemeinschaft der Possidierenden aufzunehmen; die Entscheidung sollte der Kaiser, aber nicht durch den Reichshofrat, sondern durch ein Fürstengericht treffen. Indessen der Pfalzgraf von Neuburg, dem schon der brandenburgische Mitbesitzer lästig war, erhob Widerspruch gegen den Dritten im Bunde, und so wurde das Abkommen von Jüterbog hinfällig; es gefiel auch schon an sich den calvinistischen Räten Johann Sigismunds je länger je weniger. Immerhin genügte die Annäherung zwischen Brandenburg und Sachsen, um den Argwohn des Neuburgers zu erwecken, der schon lange mit Verdruss wahrnahm, das Brandenburg bei der Union und ihren Verbündeten mehr Gewicht habe als er. Er fing an, seine Blicke auch nach der entgegengesetzten Seite zu richten und mit dem scharf katholischen Herzog Maximilian von Bayern in Verbindung zu treten. Nichtsdestoweniger hat er noch um die Hand einer Tochter Johann Sigismunds angehalten, und es wurde bei gelegentlichen Besuchen ernsthaft darüber verhandelt. Bei einem dieser Besuche sind Kurfürst und Pfalzgraf in Königsberg beim Trunk einmal scharf aneinander geraten (Februar 1612); — es ist zwar nicht zu der legendarischen Ohrfeige gekommen, aber Johann Sigismund hatte schon den Degen ziehen wollen —; indessen der Streit ist wieder beigelegt worden, und die Verhandlungen über das Verlöbnis gingen weiter. Der Pfalzgraf wollte als Schwiegersohn des brandenburgischen Kurfürsten ganz allein die Regierung in den Jülicher Landen haben, und am Hofe war man nahe daran, ihm das zuzugestehen. Bei alledem aber spielte der Pfalzgraf ein doppeltes Spiel; er hatte zwei Eisen im Feuer. Er war ebenso oft in München beim Herzog Max, wie beim Kurfürsten von Brandenburg; und das Ende war, das er im Juli 1613 insgeheim katholisch wurde und bald darauf zur großen Überraschung des brandenburgischen Hofes die bayerische Prinzessin heiratete. Dadurch wurde der Bruch zwischen den beiden possidierenden Fürsten unvermeidlich, und die brandenburgische Politik bedurfte einer neuen Orientierung. Die Leitung der Geschäfte und des Geheimen Rats hatte schon vorher im Herbst 1612 an Stelle von Putlitz, den die Kurfürstin Anna zu verdrängen gewusst hatte, des Kurfürsten Bruder, Markgraf Johann Georg von Jägerndorf, übernommen. Er rückte mit Entschiedenheit von Sachsen ab und schloss sich umso enger an die Union an, die freilich eine friedliche Auseinandersetzung zwischen Brandenburg und Sachsen lieber gesehen hätte, weil man fürchtete, der Kurfürst von Sachsen möchte sonst der protestantischen Sache ganz entfremdet werden. Bei der Kaiserwahl des Erzherzogs Matthias, bei dem Vorgehen der protestantischen Opposition, das den Reichstag von 1613 abermals zerriss, beteiligte sich Brandenburg an der Seite von Kurpfalz und im Gegensatz zu Sachsen. Im Mai 1613 wurde zwischen der Union und der Republik der Niederlande ein Defensivbündnis auf 12 Jahre geschlossen. Brandenburg verhandelte noch besonders mit den Generalstaaten und mit Moritz von Oranien über ein Bündnis zum Schutz der brandenburgischen Interessen in Jülich. Die Generalstaaten wollten einen Konflikt mit Spanien vermeiden und lehnten deshalb ein offenes Bündnis ab; aber in geheimen Verabredungen mit Moritz von Oranien wurde doch niederländische Hilfe in Aussicht gestellt, um den Neuburger aus Jülich zu vertreiben und um einer etwaigen Einmischung der Spanier entgegenzutreten. In dieser gespannten politischen Lage hat Johann Sigismund den Entschluss gefasst, den längst erwogenen Übertritt zum reformierten Bekenntnis endlich zu vollziehen. Zusammen mit seinem Bruder Johann Georg von Jägerndorf und einigen seiner Räte nahm er zu Weihnachten 1613 im Dom zu Berlin das Abendmahl in der Form der reformierten Kirche; zugleich ließ er ein ausführliches Glaubensbekenntnis veröffentlichen. Es ist kein Zweifel, dass dieser Übertritt nicht aus politischer Berechnung, sondern aus innerer Überzeugung erfolgt ist. Es war der Abschluss einer langen inneren Entwicklung, und man wird dem Wort des Kurfürsten, das er Ruhe in seinem Gewissen haben wolle, den Glauben nicht versagen dürfen. Von politischer Bedeutung war der Schritt nur insofern, als Johann Sigismund sich jetzt offen zu einer Religionspartei bekannte, die ein ganz bestimmtes politisches System mit Entschiedenheit vertrat; es war die Konsequenz der ganzen bisherigen Haltung seiner Regierung, die er in diesem kritischen Moment zog, mehr um seine Rechnung mit dem Himmel ins Reine zu bringen, als um weltliche Vorteile zu erlangen; das Verhältnis zu den Niederlanden ist dadurch nicht verändert worden, während die Stellung des Kurfürsten in den lutherischen Landen, Brandenburg und Preußen, dadurch sehr viel schwieriger wurde. Die Bedenken, die aus der Rücksicht auf die lutherischen Untertanen entsprangen, hatten den Kurfürsten lange abgehalten, den entscheidenden Schritt zu tun; er hat sich jetzt davon freigemacht, aber nach seiner Art mehr, um innerlich Ruhe zu finden, als um das politische System, zu dem er sich damit bekannte, mit Nachdruck und Konsequenz durchzuführen.

Es dauerte nicht lange, so trafen Spanier und Niederländer, trotz des fortdauernden Waffenstillstandes, auf dem Boden von Jülich zusammen, und dieser Konflikt verflocht sich mit dem nun offen ausbrechenden Streit zwischen Brandenburg und Neuburg. Aber Brandenburg mit seinen ganz unzulänglichen Kriegsrüstungen spielte nur eine klägliche Rolle in dem Kampf der Großen und vermochte nicht, seine Interessen zur Geltung zu bringen. Die Union, Frankreich und England traten vermittelnd zwischen die Kämpfenden, und es kam 1614 zu dem Frieden von Xanten, in dem Brandenburg darauf verzichten musste, seinen Anspruch auf die ganze Erbschaft durchzusetzen; an die Stelle des gemeinschaftlichen Besitzes trat jetzt vielmehr eine Halbierung der Einkünfte und eine Teilung der Regierung, so das Brandenburg von Cleve aus über die vorwiegend protestantischen Länder Cleve, Mark, Ravensberg und Ravenstein herrschte, während Neuburg die vorwiegend katholischen Gebiete Jülich und Berg mit der Hauptstadt Düsseldorf bekam. Es war nur eine vorläufige Auseinandersetzung und ein unsicherer Besitz. Spanier und Holländer behielten in dem brandenburgischen und in dem neuburgischen Anteil ihre Besatzungen, um die neue Ordnung, die keinen der beiden Mitbewerber befriedigte, unter Umständen mit Gewalt aufrecht zu erhalten. Der Kurprinz Georg Wilhelm wurde als Statthalter nach Cleve gesandt; ihn berieten Putlitz, der frühere Leiter des Geheimen Rats, und ein Verwandter Bylandts, der katholische Graf Adam von Schwartzenberg, der am Niederrhein ansässig war und schon dem alten Fürstenhause gedient hatte.

An diesem unbefriedigenden Ausgang war nicht bloß die persönliche Schwäche Johann Sigismunds, sondern vor allem auch die Unzulänglichkeit seiner Mittel schuld. Die Stände der Kurmark hatten begreiflicherweise keine Neigung, große Opfer zu bringen, um die Herrschaft ihres Fürstenhauses über die weit entfernten niederrheinisch-westfälischen Gebiete auszudehnen. Sie hatten dem neuen Herrscher bei seinem Regierungsantritt eine Summe von 700.000 Talern zur Deckung drängender Schulden bewilligt; die jährlichen Einkünfte des Kurfürsten betrugen nur etwa 280.000 Taler; damit ließ sich keine große Politik betreiben. Das brandenburgische Fähnlein, das seit 1611 am Niederrhein gehalten wurde, konnte niemals regelmäßig bezahlt werden und verschwand zwischen dem stattlichen Kriegsvolk der Spanier und Niederländer. Das „Defensionswerk“, zu dessen Aufrichtung Brandenburg eigentlich durch die Satzungen der Union verpflichtet war, konnte aus Mangel an Mitteln nicht zustande gebracht werden. Der Glaubenswechsel des Kurfürsten, der in der Mark Brandenburg wie im Herzogtum Preußen die Stände und die Geistlichkeit, ja die ganze Bevölkerung erregte und hie und da selbst Unruhen in den Straßen der Städte hervorrief, trug natürlich nicht dazu bei, den Ständen stärkere Neigung zu Geldbewilligungen einzuflößen. Immerhin haben sie in den Jahren 1614 und 1615 noch 235.000 Taler kurfürstlicher Schulden übernommen. Aber das war nur eine ganz unzureichende Hilfe. Die Schuldenlast des Hofes ist bis zum Jahre 1618 auf 2.142.000 Taler gestiegen.

Nichtsdestoweniger hat die brandenburgische Politik, die neben dem Markgrafen Johann Georg, dem Statthalter, damals hauptsächlich von dem Geheimen Rat Abraham Dohna und dem Kanzler Pruckmann geleitet wurde, noch einmal den Versuch gemacht, die Republik der Niederlande und die Union der deutschen Protestanten für ihre niederrheinischen Interessen in Bewegung zu setzen. Aber die Republik hielt an ihrem Waffenstillstand mit Spanien fest und lehnte 1615 die Vorschläge Dohnas ab; auch die Union versagte sich auf dem Heilbronner Tage von 1617 dem Wunsche Brandenburgs, der dahin ging, das Cleve-Mark in den Bund mit aufgenommen werden sollte. Unter diesen Umständen hatte Brandenburg kein erhebliches Interesse mehr an der Union und nahm davon Abstand, den 1618 ablaufenden Bündnisvertrag zu erneuern. Inzwischen war der Statthalter Markgraf Johann Georg von Jägerndorf 1615 von seinem Posten zurückgetreten, weil die beständigen Misshelligkeiten mit dem Kurfürsten ihm die Wirksamkeit am Hofe verleidet hatten. Johann Sigismund selbst erlitt 1616, erst 44 Jahre alt, einen Schlaganfall, der seine geistige und körperliche Kraft vollends brach, so das seit dieser Zeit von einer persönlichen Regierung des Kurfürsten eigentlich nicht mehr die Rede sein kann. Die Kurfürstin trat damals an seine Stelle; die Räte folgten der herrischen Frau nur mit Widerstreben; aber sie setzte in der Hauptsache ihren Willen durch.

In eben derselben Zeit, wo die Verbindung Brandenburgs mit der Union sich löste, wurde von anderer Seite her ein Versuch gemacht, es zum Gliede eines neuen großen evangelischen Bundes zu gewinnen. König Gustav Adolf von Schweden, der 1617 in dem Frieden von Stolbowa von Russland die Abtretung von Ingermanland und Karelien erlangt und dadurch die schwedischen Besitzungen in Finnland und Estland in Verbindung gebracht hatte, kämpfte noch mit Polen um Livland und war bestrebt, eine protestantische Koalition zustande zu bringen, deren Grundlage das 1612 mit der Republik der Niederlande abgeschlossene Bündnis bilden sollte. Für diese Koalition wünschte er auch Brandenburg zu gewinnen, und damit verband sich die Absicht des jungen Schwedenkönigs, die zweite Tochter des Kurfürsten, Marie Eleonore, zum Weibe zu nehmen. Zu diesem Plan, der schon seit Jahren ins Auge gefasst war, hatte Landgraf Moritz von Hessen, der eifrige Beförderer eines allgemein europäischen Bundes der Protestanten, die Anregung gegeben; die Generalstaaten, die zugleich ein Handelsinteresse an den preußischen Häfen hatten, übernahmen die Vermittlung und knüpften 1617 deswegen Verhandlungen mit dem brandenburgischen Hofe an. Der kranke, noch immer in der Sprache gestörte Kurfürst war der Verbindung mit Schweden nicht abgeneigt, zumal Gustav Adolf kein unduldsamer Lutheraner war und auch die Calvinisten gelten lies; aber die Kurfürstin Anna, die von ihrer preußischen Heimat her mehr Neigung für Polen als für Schweden hatte, war durchaus gegen den Plan und suchte die Heirat auf alle Weise zu hintertreiben. Auch die Räte waren bedenklich, weil sie die Rache Polens fürchteten; ebenso der Kurprinz Georg Wilhelm.

Ehe noch die Entscheidung in dieser wichtigen Frage gefallen war, starb am 28. August 1618 der Herzog Albrecht Friedrich von Preußen, und damit trat der lang erwartete Moment ein, wo der Kurfürst von Brandenburg zum wirklichen Herrscher in dem alten Ordenslande werden musste.

Johann Sigismund war gleich nach dem Tode seines Vaters in Preußen erschienen, um als Verweser an dessen Stelle zu treten; aber erst nach langen Verhandlungen hatte er 1611 die Vormundschaft samt der Anerkennung seines Nachfolgerechts unter ähnlichen Schwierigkeiten und Demütigungen erlangt, wie 1605 Joachim Friedrich. Die Krone Polen hatte ihm dieselben harten Bedingungen zugemutet wie seinem Vorgänger, und auch die Stände hatten wieder, durch Polen unterstützt, bei dieser Gelegenheit für die Vermehrung ihrer Selbstständigkeit gesorgt. Der preußische Adel fügte sich nur ungern unter die brandenburgische Herrschaft, die ihm trotz ihrer Schwäche und Nachgiebigkeit im Vergleich mit der polnischen Freiheit als eine Art von Despotismus erschien; aber die Furcht vor der Unterdrückung des lutherischen Glaubens und der deutschen Art und Sitte durch ein polnisch-katholisches Regiment brachte die Verständigeren doch immer wieder dazu, diese Wendung als die einzige Rettung der Selbstständigkeit des Landes zu begrüßen. Der Übertritt Johann Sigismunds zum reformierten Bekenntnis hat allerdings auch hier abschreckend gewirkt. Die Engherzigkeit der lutherischen Orthodoxie ging hier so weit, das den Reformierten die Duldung oder wenigstens die Zulassung zu den Ämtern versagt wurde; in einem Streit, der darüber mit der Landesherrschaft entstand, entschied die Krone Polen wie gewöhnlich zugunsten der ständisch-lutherischen Partei: ein Amtshauptmann aus der reformierten Dohnaschen Familie wurde abgesetzt, und dieses vornehme Herrengeschlecht, das sich mit besonderem Eifer in den Dienst des brandenburgischen Kurfürsten gestellt hatte, blieb um der Religion willen und auch wohl wegen dieser seiner politischen Stellungnahme von allem Einfluss auf die Landesverwaltung ausgeschlossen.

Durch alle diese Umstände war die Landesherrschaft in Preußen zu einer so ohnmächtigen Stellung herabgedrückt worden, das die Nachfolge des brandenburgischen Hauses der Krone Polen keinen Grund mehr zu Besorgnissen geben konnte. Aber auch, wenn die Absicht bestanden hätte, diese Nachfolge zu verhindern, so hätte jeder Versuch dazu doch damals 1618 unterbleiben müssen angesichts der schwedischen Truppenmacht in Livland, die zweifellos zugunsten der brandenburgischen Sache in Preußen eingesetzt worden wäre. So ist das Verhältnis zu Schweden auch ohne förmliches Bündnis der Durchsetzung des brandenburgischen Erbanspruches in Preußen damals zugutegekommen.

Die Tage Johann Sigismunds waren gezählt. Sein Zustand verschlimmerte sich und zwang ihn schon am 3. November 1619, die Regierung auf seinen Sohn Georg Wilhelm zu übertragen. Zwei Monate darauf ist er, am 2. Januar 1620, 47 Jahre alt, in dem Hause seines Kammerdieners, Anton Freitag, in der Poststraße zu Berlin gestorben.

Seine Regierung ist eine der bedeutsamsten in der Geschichte des hohenzollernschen Hauses. Wenn ihm, dem frühzeitig durch Krankheit zerrütteten Mannes, auch die Kraft gefehlt hat, bei diesem ersten Anlauf zu einer selbständigen Machtpolitik einen Erfolg zu erringen, der die Nachfolger hätte ermutigen können, so hat er ihnen doch den Weg gezeigt und mit dem reformierten Bekenntnis seinem Hause einen Talisman zugeeignet, dessen moralisch-politische Kraft in späteren Generationen wirksam werden konnte. Und die Tatsache bleibt bestehen, das unter ihm die Erwerbung der niederrheinisch-westfälischen Erbschaft, wenn auch nur zur Hälfte, und die von Ostpreußen, wenn auch unter starker Schmälerung der landesherrlichen Macht, gelungen ist. Damit hatte das Haus Brandenburg aufgehört, eine lediglich ostdeutsche Macht zu sein. Seine Interessen reichten nun von der polnischen bis zur niederländischen Grenze; es war hineingezogen in die großen europäischen Kämpfe, bei denen im Westen Spanier, Niederländer und Franzosen, im Osten namentlich Schweden und Polen einander gegenüber standen. Es war eine ungeheuer schwierige Aufgabe, vor die das Haus Brandenburg damit gestellt war, da es sich zunächst nur auf die unzulänglichen Machtmittel angewiesen sah, die ihm die Kurmark darbot. Der alte enge Horizont des territorialen Kleinfürstentums musste erweitert werden; und wenigstens in einem Punkte hat Johann Sigismund den Bann der alten beschränkten landesfürstlichen Anschauungen durchbrochen: zugleich mit seinem Übertritt zum reformierten Bekenntnis verkündete er den bedeutsamen Grundsatz, dass er auf sein, höchstes fürstliches Regalrecht, das des Glaubenszwangs, verzichte; und er hat in der Tat keinen Versuch gemacht, die märkische oder gar die preußische Landeskirche im Sinne seines neuen Glaubens zu beeinflussen. Selbst der Hof war nicht durchweg reformiert, da die Kurfürstin Anna bei ihrem lutherischen Glauben verharrte; von den Räten blieb der Ostpreuße Adam von Schlieben ebenfalls lutherisch; erst 1615 war der ganze Rat calvinistisch. Auch die Universität Frankfurt erhielt mit der Zeit einen reformierten Charakter. Damit aber waren die calvinistischen Einwirkungen erschöpft. Die brandenburgische Landeskirche blieb durchaus lutherisch; eine Generalsynode von 1614 — übrigens die letzte, die im alten Brandenburg gehalten worden ist — brachte das zu entschiedenem Ausdruck. Den Landständen gab der Kurfürst in dem Rezess von 1615 noch besondere Bürgschaften für die Erhaltung des Bekenntnisstandes: er verzichtete darauf, an den Orten kurfürstlichen Patronats den Gemeinden missliebige Geistliche aufzuzwingen; wenn es nottat, so sollten auch Deputierte der Stände zum Konsistorium zugezogen werden — was aber, wie es scheint, in der Praxis nicht zur Ausführung gekommen ist. Diese Zugeständnisse waren die Gegenleistung dafür, das sich die lutherische Landeskirche nach wie vor das Kirchenregiment des calvinistischen Landesherrn gefallen ließ. Auf dieses wichtige Stück der fürstlichen Macht haben die Hohenzollern seit ihrem Übertritt zum reformierten Bekenntnis keineswegs verzichtet; und darin lag von vornherein ein starkes Motiv für eine Kirchenpolitik, die bestrebt sein musste, den scharfen Gegensatz zwischen den beiden evangelischen Konfessionen zu mildern und die am letzten Ende zur Union der beiden Bekenntnisse geführt hat. In dieser Richtung, die von dem brandenburgischen Generalsuperintendenten Pelargus im Gegensatz zu der übrigen lutherischen Geistlichkeit nach Kräften begünstigt wurde, lag auch schon das Verbot des Schmähens und Lästerns von den Kanzeln, das Johann Sigismund 1614 erließ und das bei den starren Lutheranern heftigen Widerspruch hervorrief; ebenso der Versuch, einen Kirchenrat als Organ des landesherrlichen Kirchenregiments dem Geheimen Rat an die Seite zu stellen, der dem lutherischen

Konsistorium seine wichtigsten Befugnisse entzog und ihm eigentlich nur noch die Ehegerichtsbarkeit übrig ließ. Freilich war der Widerstand gegen diese Neuerung so stark, dass die kurfürstliche Regierung sich entschlossen hat, den Kirchenrat 1618 wieder aufzuheben. Wichtige Angelegenheiten des Kirchenregiments aber, wie die Bestellung der Inspektoren und die Besetzung der landesherrlichen Patronatsstellen, kamen nun nicht mehr an das Konsistorium zurück, sondern gingen auf den Geheimen Rat über; so wurde die Möglichkeit geschaffen, das diese oberste weltliche Behörde des Landesherrn sich in Zukunft bei der Erweiterung des Herrschaftsgebiets mehr als bisher auch des geistlichen Regiments annehmen konnte; und dies ist im Sinne einer zunehmenden Toleranz geschehen, die mehr noch aus politischer als aus religiöser Quelle stammte: in dem konfessionell so stark gespaltenen Deutschland konnte nur ein Fürstenhaus, das religiöse Duldung übte, eine Herrschaft gewinnen, die vom Rhein bis an die Memel reichte. Es war ein neues Prinzip, das damit in die deutsche Staatenwelt eintrat: der in sich abgeschlossene konfessionelle Territorialstaat war damit innerlich überwunden.

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